1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Sierens China: Späte Scheidung

Frank Sieren
25. April 2018

Peking schafft den Joint-Venture-Zwang für ausländische Autohersteller ab. Für die großen deutschen Player kommt das zu spät. Sie sind inzwischen viel zu eng mit ihren Partnern verflochten, meint Frank Sieren.

https://p.dw.com/p/2weCl
2018 Beijing International Automobile Exhibition | BMW 8er
Bild: Reuters/J. Lee

Die am Mittwoch eröffnete Beijing Auto Show ist inzwischen die weltweit größten Automesse. Schon am Eröffnungstag wurde bereits genauso hitzig über Innovationen in der E-Mobilität diskutiert, die den Markt umkrempeln könnten, wie über die politische Reform, die Peking nach Jahren der Kritik nun endlich umsetzen will: Noch in diesem Jahr soll der Joint-Venture-Zwang für ausländische Autobauer fallen. Zuerst für Hersteller von Elektro- und Hybrid-Fahrzeugen, bis 2020 dann für Nutzfahrzeuge und bis 2022 für den gesamten Pkw-Sektor. Zusätzlich sollen Einfuhrzölle auf Automobile "bedeutend" gesenkt werden. Das wäre die umfassendste Marktöffnung in der Autoindustrie, welche die auf Kontrolle bedachte Regierung in Peking in den vergangenen Jahren gewagt hat.

Ausländische Hersteller sind keine Gefahr mehr

Seit der Öffnung des Landes sind ausländische Firmen in China verpflichtet, sich mit einem chinesischen Partner zusammenzutun und sich dabei mit maximal 50 Prozent am Gemeinschaftsunternehmen zufrieden zu geben. So wollte Peking sicherstellen, dass ein noch schwaches China nicht von ausländischen Herstellern überrollt wird. Die Gefahr ist inzwischen sehr gering. Schon 2010 überholte China Japan als zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt. Nur noch die USA sind ökonomisch stärker. Mit 6,8 Prozent Wachstum im ersten Quartal übertraf China auch in diesem Jahr wieder die Erwartungen. Sogar die eigenen. Allerdings befindet sich China gleichzeitig beim Pro-Kopf-Einkommen noch auf dem Niveau von Mazedonien - hat also noch viel Spielraum nach oben.

Frank Sieren *PROVISORISCH*
DW-Kolumnist Frank SierenBild: picture-alliance/dpa/M. Tirl

Im Handelsstreit mit Donald Trump zieht Chinas Staatspräsident Xi Jinping nun diesen Trumpf. Er will zeigen, dass sich die Welt auf seine Versprechen für bessere Marktbedingungen und faireren Wettbewerb verlassen kann. Natürlich weiß auch Xi, dass die großen chinesischen Autobauer längst stark genug sind, um die Öffnung zu verkraften und durch den Konkurrenzdruck sogar noch stärker zu werden - insbesondere im Bereich der Elektromobilität, wo chinesische Unternehmen bereits jetzt den Takt vorgeben.

Der chinesische Automarkt floriert

Während Europas Automarkt stagniert, floriert er in China. 28,9 Millionen Fahrzeuge wurden im vergangenen Jahr verkauft. Im ersten Quartal 2018 wuchs der chinesische Pkw-Markt immerhin noch um knapp vier Prozent. Die Zahl der Neuzulassungen in den EU-Ländern ist dagegen im Vergleich zum Vorjahr um 5,3 Prozent auf knapp 1,8 Millionen Fahrzeuge gesunken. Dass chinesische Hersteller wie SAIC und BAIC heute gute Autos herstellen, liegt auch am Know-how ihrer Partner in den Gemeinschaftsunternehmen. Dabei waren die Chinesen für die ausländischen Partner nicht nur lästige Abstauber. Sie dienten ihnen auch als Risikominimierer und Türöffner, um etwa die Kosten im Einkauf zu senken oder leichter an Kredite zu kommen und den Bau der nächsten Fabrik mit einer Lokalregierung einzutüten. Gut möglich, dass viele Unternehmen in Zukunft weiter freiwillig diesen Weg gehen werden, um in China Fuß zu fassen.

2018 Beijing International Automobile Exhibition | Volkswagen CC
Beliebt auch in China: Das Modell, das man in Deutschland als VW Passat kenntBild: Reuters/D. Sagolj

Der erste deutsche Autokonzern, der vor fast 30 Jahren den Sprung nach China wagte, war Volkswagen. Eine Expansion, die sich auszahlte: Jeder zweite VW wird heute in China verkauft. Die beiden Gemeinschaftsunternehmen mit den chinesischen Herstellern SAIC und FAW wurden zu den wichtigsten Ertragsbringern für die Wolfsburger. Zusammen verkaufte man mehr als 27 Millionen Fahrzeuge. Auch bei BMW und Daimler sieht es nicht anders aus. Daimler hat mit BYD und BAIC nicht nur zwei chinesische Partner, sondern mit Geely-Chef Li Shufu seit kurzem auch einen chinesischen Großaktionär. Im vergangenen Jahr verkaufte Mercedes rund 588.000 Premiumautos in China, ein Plus von rund 26 Prozent. Und auch BMW verkauft mittlerweile gut ein Viertel seiner Premium-Wagen im Reich der Mitte. Mit Great Wall aus Baoding plant das bayerische Unternehmen zudem derzeit, eine Produktion von Elektro-Minis in China aufzubauen.

Alte Verträge binden die Deutschen noch auf Jahre

Von all diesen Punkten abgesehen wäre eine Trennung auch rechtlich nicht einfach. VW zum Beispiel hängt in Verträgen, die noch Jahrzehnte gültig sind. Das Joint-Venture mit dem staatlichen Hersteller SAIC läuft bis 2035, an FAW ist VW bis 2041 gebunden. Die Verträge für das neueste Joint-Venture, das VW kürzlich mit JAC aus Zentralchina zum Bau von Elektroautos gegründet hatte, sehen eine Zusammenarbeit bis 2042 vor. Für die großen deutschen Player kommt die neue Reform also nicht nur zum falschen Zeitpunkt, sondern insgesamt auch zu spät.

2018 Beijing International Automobile Exhibition | Mercedes-Maybach Ultimate Luxury
Premiere in Peking: der Mercedes-Maybach Ultimate Luxury - eine Mischung aus Limousine und SUV mit vier ElektromotorenBild: Reuters/D. Sagolj

Von der Öffnung profitieren nun zunächst vor allem Newcomer, allen voran Tesla-Chef Elon Musk, der seit Monaten auf die Eröffnung einer E-Auto-Fabrik in Schanghai ohne chinesische Beteiligung drängt. Noch im März beschwerte er sich über das "unfaire Umfeld" in China. Jetzt dürfte seinen weit fortgeschrittenen Plänen nichts mehr im Weg stehen.

Wie frei der Markt nach der Öffnung sein wird, und ob die Ausländer ihre Fabriken wirklich ohne Einschränkungen alleine besitzen können, muss sich natürlich erst noch zeigen. Im vergangenen Herbst hat die KP angekündigt, ihren Einfluss auf Unternehmen mit neu eingerichteten Parteizellen bis in die Führungsebene weiter auszuweiten. Und die chinesische Konkurrenz wird es sich ebenfalls nicht nehmen lassen, ihren Heimvorteil zu nutzen, um ausländische Alleingänge zu erschweren.

Neue China-Strategien gesucht

Langfristig müssen sich ausländische Autobauer nun so oder so eine neue China-Strategie überlegen. Das gilt insbesondere für die Deutschen, die durch ihre Joint-Ventures bereits gut aufgestellt sind. Sie könnten zum Beispiel ihre Produktion in Eigenregie weiter ausbauen und in China neue Fabriken hochziehen, die nicht nur den chinesischen Markt bedienen, wo deutsche Marken nach wie vor äußerst populär sind, sondern auch andere Länder in Asien beliefern, etwa die Zukunftsmärkte Vietnam und Indonesien. China wird sich mit der Öffnung unterdessen neues Kapital ins Land holen, um seine E-Auto-Industrie weiter auszubauen. Durch riesige Verbraucherdaten-Pools, staatliche Subventionen, ausgefeilte Software und besseren Zugang zu Batterie-Rohstoffen hat sie hier schon jetzt enorme Standortvorteile. Pünktlich zur Pekinger Automesse hat VW nun angekündigt, in China bis Ende 2022 mit seinen Joint-Venture-Partnern weitere 15 Milliarden Euro in E-Autos und Digitalisierung zu investieren.

Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit über 20 Jahren in Peking.