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Ungewohntes Terrain

Frank Sieren7. Dezember 2014

Gegen den internationalen Terrorismus kommt man nicht an, wenn man innerhalb seiner Landesgrenzen bleibt. Nun muss Peking umdenken, meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

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Archivbild Chinesische Soldaten (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Das Jahr ist noch nicht vorbei, aber eines weiß man jetzt schon: Es war das Jahr mit den meisten Terroranschlägen in China. Und dazu noch das Jahr mit den meisten Terroropfern. Lange beschränkten sich die Attacken auf die Unruheregion Xinjiang weit im Westen des Landes und waren im chinesischen Alltag als kleiner Schreck schnell wieder vergessen. Es waren bisher auch keineswegs professionelle Terroristen, die ihr blutiges Spiel in China trieben, sondern fanatische Einzeltäter oder kleine Gruppen, die es auf Chinesen im Alltag abgesehen haben.

Terrorismus im Reich der Mitte

Dieses Jahr allerdings wird nicht so schnell vergessen werden. Nicht nur die Regierung in Peking, auch die Menschen merken, dass der Terror nun nicht mehr nur in den Nachrichten zu sehen ist, sondern auch am heimischen Bahnhof. Erst im Frühjahr wurden in der südchinesischen Stadt Kunming 29 Menschen getötet. Der internationale Terrorismus hat das Reich der Mitte erreicht. Ein Krieg also, in dem China einzelnen Gruppen, die aus dem Ausland agieren, ausgeliefert ist. Und deshalb ist es kein Wunder, dass ein brisanter Gesetzesentwurf der Chinesen erst Anfang der vergangenen Woche die Runde gemacht hat.

Demnach will Peking künftig im Kampf gegen den Terrorismus auch Soldaten im Ausland einsetzen. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, denn wenn der Terrorismus international agiert, muss auch der, der ihn bekämpfen will, international agieren. Da reicht es nicht mehr, die Polizeipräsenz zu erhöhen, und auch nicht, die Einheiten, wie Staats- und Parteichef Xi Jinping es gemacht hatte, darauf einzuschwören, im Frieden mehr zu schwitzen, um im Krieg weniger bluten zu müssen. Gerade wenn der Terror sich im Ausland organisiert. Für die Chinesen, die sich seit je her innerhalb ihrer eigenen Grenzen bewegen und militärische Einsätze im Ausland kaum als eine Option sahen, ist das Neuland. Doch es führt wohl kein Weg daran vorbei: Seitdem sich die USA aus dem Mittleren Osten zurückziehen, haben die terroristischen Aktivitäten in China zugenommen.

Frank Sieren (Foto: Frank Sieren)
DW-Kolumnist Frank SierenBild: Frank Sieren

Messer anstatt Kalaschnikow

Waren statt Waffen und wirtschaftlicher Aufbau ist immer noch ein vernünftiges Motto und nimmt in vielen Regionen Terrorzellen den Rückhalt in der Bevölkerung. Es läuft allerdings schleppend an und die Terroristen warten nicht. Die Terrormiliz "Islamischer Staat" hat sich bereits auf die Fahnen geschrieben, die Muslime in der Provinz Xinjiang zu befreien. China steht also erst am Anfang dessen, worunter der Westen, allen voran die USA, schon lange leiden. Allein schon, weil die Attentäter in China bislang mit Messer und Machete anstatt mit Kalaschnikow und Granate - oder Boeing 747 -unterwegs waren. Natürlich kamen auch Bomben zum Einsatz, bei weitem allerdings nicht so ausgeklügelte und schlagkräftige, wie man sie von anderen Terrorgruppen kennt.

Einen Nachteil allerdings hat China gegenüber den USA, die immerhin von zwei Ozeanen umgeben sind: Afghanistan und Pakistan sind Chinas Nachbarn, und die Grenze zur Unruheprovinz Xinjiang ist nicht weit von den ostafghanischen Regionen entfernt, in denen viele Terroristen Zuflucht suchen und ausgebildet werden. Waffen können also immer nach China geschafft werden; und solange Peking die Staatsgrenze nicht überschreiten will, wird die Quelle an Waffen und Munition nicht versiegen. Außerdem ist es schon bemerkenswert, dass ein Land wie China mit solch internationalem Einfluss, aber auch mit weitreichenden Interessen beispielsweise an Öl und funktionierenden Pipelines, nicht schon längst eine Truppe zusammengestellt hat, die diese Interessen zumindest gegen die Terrorgefahr schützen soll. Peking kann also nicht mehr zuschauen und abwarten, was passiert.

Als Chinas Präsident im Sommer sagte, man müsse Terroristen wie Ratten zertreten, ließ das zwar erst einmal nichts Gutes erahnen. Der nun vorgelegte Gesetzesentwurf allerdings zeigt, dass Peking nicht rasend vor Wut handelt. Denn in dem Papier heißt es ausdrücklich, Soldaten sollten nur dann entsandt werden, wenn die Länder, in denen sie operieren, vorher zugestimmt haben. Dass nun bald neben amerikanischen Seals auch chinesische Spezialeinheiten ungefragt in andere Länder eindringen, oder neben amerikanischen auch chinesische Kampfdrohnen den Luftraum anderer Staaten verletzen, ist deshalb sehr unwahrscheinlich. Einstweilen zumindest.

Unser Kolumnist Frank Sieren gilt als einer der führenden deutschen China-Spezialisten. Er lebt seit 20 Jahren in Peking.