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Sierens China: Vorbild Helmut Schmidt

Frank Sieren13. November 2015

Noch nie wurde einem verstorbenen Ausländer in China so viel Ehre erwiesen wie Helmut Schmidt. Die Deutschen sollten sich überlegen, wie sie mit dem Erbe Schmidts umgehen, meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

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Helmut Schmidt und Deng Xiaoping 1984
1984: Helmut Schmidt zu Besuch bei Deng XiaopingBild: picture-alliance/dpa

Wenn man einem Toten "Gesicht geben" kann, dann hat der verstorbene Altbundeskanzler Helmut Schmidt sehr viel "Gesicht bekommen". Dafür gibt es im Chinesischen einen festen Ausdruck: "Gei mian zi". Das Gesicht eines anderen zu respektieren oder es durch die eigenen Handlungen oder Worte sogar aufblühen zu lassen, ist eines der wichtigsten Elemente des Harmoniegedankens des chinesischen Konfuzianismus.

Doch was die chinesische Regierung anlässlich des Todes von Helmut Schmidt arrangiert hat, geht weit darüber hinaus, was im Rahmen des "Gei mian zi" nötig gewesen wäre. In den wichtigsten nationalen Abendnachrichten zur besten Sendezeit um 19 Uhr wurde am Mittwochabend seiner gedacht. Als wichtigste Nachricht des Tages wurde die Kondolenzbotschaft der beiden chinesischen Spitzenpolitiker Xi Jinping und Li Keqiang gezeigt. Im Anschluss hat CCTV einen filmischen Nachruf auf Schmidt gesendet, in dem er als "alter Freund des chinesischen Volkes" geehrt wurde.

So viel Anerkennung ungewöhnlich

Das ist in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich, da die CCTV-Sendung eigentlich fast nur innenpolitischen Themen vorbehalten ist, Schmidt sogar von beiden Spitzenpolitikern Chinas Beileidsbekundungen bekam und diese auch Anlass waren, um die besondere Freundschaft Chinas zu Deutschland zu betonen. Verstärkt wurde die Botschaft noch dadurch, dass sowohl Staatspräsident Xi Jinping als auch Premier Li Keqiang ihr Beileid nicht nur als Amtsträger aussprachen, sondern auch "in eigenem Namen".

Frank Sieren Kolumnist Handelsblatt Bestseller Autor China
DW-Korrespondent Frank Sieren lebt seit mehr als 20 Jahren in Peking.Bild: Frank Sieren

Der Grund dafür liegt auf der Hand. Helmut Schmidt ist neben Henry Kissinger weltweit der ausländische Politiker, der sich am intensivsten mit China auseinandergesetzt hat. Wie Kissinger ging es ihm dabei nicht darum, die Chinesen zu belehren oder gar vorzuführen, sondern sie zu verstehen und Chinas wachsender Bedeutung in der Welt gerecht zu werden. Dass er dabei Einschätzungen zum Beispiel in Fragen der Menschenrechte hatte, über die man im Westen streiten kann und muss, die jedoch wiederum der chinesischen Regierung in den Kram passten, ist allerdings nur ein Aspekt seiner vielfältigen Beschäftigung mit China.

Umfassende Beschäftigung mit China

Das ist nicht der ausschlaggebende Grund, warum Schmidt in China geachtet wird. Bundeskanzlerin Angela Merkel trifft auf jeder ihrer Reisen mit Dissidenten zusammen und spricht Menschenrechtsfälle gegenüber ihren chinesischen Counterparts offen an - so auch auf ihrer letzten Reise vor zwei Wochen. Dennoch ist sie mit großem Abstand die am höchsten geachtete europäische Politikerin im Amt. Es ist vielmehr die umfassende Beschäftigung mit China, warum Schmidt die Ehre zuteil wird. In seinen vielen Büchern, von denen die meisten ins Chinesische übersetzt worden sind, und in seinen öffentlichen Auftritten hat er sich immer auch mit China beschäftigt. China und Europa waren die großen Themen seines politischen Lebens.

Dabei hat er wie die staatliche chinesische Tageszeitung "Global Times" schreibt, "eigene, besondere und weitsichtige" Standpunkte und Ansichten vertreten. Als erster Bundeskanzler habe sich Schmidt 1975 mit Mao Zedong getroffen, so die Zeitung. In den 40 Jahren, die seitdem vergangen sind, sei Schmidt immer wieder nach China gereist, um sein Bild des Landes immer wieder aufs Neue zu vervollständigen. Zahlreiche Fotos zeigen ihn mit unterschiedlichen Parteichefs und Premierministern Chinas und dokumentieren so, wie nachhaltig und tief greifend er die deutsch-chinesischen Beziehungen geprägt hat.

Wie umgehen mit Erbe Helmut Schmidts?

Wir Deutschen sollten uns nun überlegen, wie wir das Andenken an Helmut Schmidt in China angemessen aufrecht halten können. Ja, mehr noch: Wir sollten dafür sorgen, dass auch die Jugendlichen Chinas sich weiterhin mit dem großen Deutschen beschäftigen. Denn eines darf man natürlich nicht ausblenden: Viele aus der jüngeren Generation Chinas kennen den Namen Helmut Schmidt kaum. In den jungen sozialen Medien Chinas spielte sein Tod keine große Rolle.

Während Staatspräsident Xi, der Schmidt 2014 das letzte Mal getroffen hat, Schmidt dafür dankte, dass er die "große Tür der Zusammenarbeit" zwischen Deutschland und China geöffnet hat, ist es für die jungen Chinesen heute selbstverständlich, dass China und Deutschland eng zusammenarbeiten. Während Premier Li, der noch 2013 Schmidt in Hamburg besuchte, sagte, dass Schmidts Engagement mit dazu geführt habe, dass Deutschland heute in Chinas Europa-Strategie eine herausragende Rolle spielt, wissen die Jungen nicht mehr, wie schwierig es war, die Beziehungen aufzubauen.

Beziehungen immer wieder erneuern

Das Image Deutschlands wird von unseren Autos, unseren Fußballspielern und vielleicht noch von unseren Umweltstandards geprägt. Dass dies so bleibt, darauf sollten wir uns nicht verlassen. Helmut Schmidt steht dafür, dass man die Beziehungen zu einem Land immer wieder erneuern muss. Dabei kann uns Helmut Schmidt auch nach seinem Tod als Vorbild helfen. Wichtiger jedoch ist noch, dass wir seinem Vorbild nach handeln.

Unser Korrespondent Frank Sieren lebt seit mehr als 20 Jahren in Peking.