1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Gesellschaft

Lobby auf zwei Rädern

Silke Schmidt
25. November 2016

Gefährlich, chaotisch, aufmüpfig - Sierra Leones Motorradtaxis haben keinen guten Ruf. Doch das soll sich ändern: Die Branche will sich Regeln geben und politisch Einfluss nehmen. Hilfe kommt aus der EU.

https://p.dw.com/p/2TAQa
Sierra Leone - Motorräder und Verkehr
Bild: DW/S. Schmidt

Lautes Hupen gehört in Sierra Leones Hauptstadt Freetown zum guten Ton - und für Ibrahim Thulla zum Job. Er ist Motorradtaxi-Fahrer und überzeugter Gewerkschafter in der "Bike Riders Union". "Motorradtaxis helfen den Menschen pünktlich von einem Ort zum anderen zu kommen. Sie übernehmen damit eine wichtige öffentliche Dienstleistung", sagt Thulla. Viele Straßen in Sierra Leone sind nicht asphaltiert und für Autos unbefahrbar, öffentliche Verkehrsmittel gibt es kaum. "Unsere Taxis sind extrem wichtig", so Thulla.

Sierra Leone - Motorräder und Verkehr
Gewerkschafter Ibrahim Thulla Bild: DW/S. Schmidt

Trotzdem haben er und die anderen Fahrer keinen besonders guten Ruf. Weil es nach dem Ende des blutigen Bürgerkriegs 2002 in Sierra Leone kaum Arbeit gab, sind auch viele ehemalige Rebellen ins Motorradtaxi-Geschäft eingestiegen. Auch Ibrahim Thulla. Er wurde mit 14 Jahren von Milizen verschleppt und zum Kindersoldaten ausgebildet. Nach kurzer Zeit gelang ihm die Flucht. Doch die Vergangenheit holt denn heute 32-Jährigen immer wieder ein. "Wir waren vielleicht mal Rebellen, aber wir haben eine Wandlung durchgemacht. Wir sind jetzt friedfertige Sierra Leoner", betont Thulla, auch wenn einige seiner Kunden das immer noch nicht wahrhaben wollten. Viele Fahrer fühlten sich stigmatisiert und diskriminiert, erzählt er. Am schlechten Ruf der Branche müsse sich endlich etwas ändern.

Unfälle und Imageprobleme

Leichter gesagt, als getan. Rund 140.000 Motorrad-Taxis - sogenannte "Okadas" - sind mittlerweile auf den Straßen von Sierra Leone unterwegs. Sie sind zwar das schnellste Verkehrsmittel im ganzen Land, aber auch das gefährlichste. Viele Okadas fahren riskant und provozieren Unfälle. Oft haben sie keine Helme für die Fahrgäste dabei, auch Raubüberfälle gibt es immer wieder. Wenn die Fahrer wütend auf korrupte Polizisten sind oder sich über neue Behördenauflagen ärgern - dann machen sie ihrem Frust auch mal mit gewaltsamen Protesten Luft. Vor kurzem wurden die Taxis aus dem Stadtzentrum verbannt. Für die Fahrer bedeutet das: weniger Geld.

Die Branche fängt gerade erst an, sich verbindliche Regeln zu geben. Welche Rechte hat zum Beispiel der Fahrgast, welche der Fahrer als Arbeitnehmer? Genau dabei versucht die Europäische Union zu helfen. Knapp 300.000 Euro hat Brüssel deshalb in die Ausbildung von Gewerkschaftsführern investiert, auch in anderen Branchen. "Es ging im Wesentlichen darum, ihnen beizubringen, wie sie ihren Unmut und ihre Probleme kanalisieren und kommunizieren", erklärt Josephus Ellie von der EU-Delegation in Freetown, der das Projekt betreut hat. "Sie haben gelernt, wie man einen politischen Dialog führt, wie man Lobbyarbeit betreibt, wie man verhandelt".

Sierra Leone - Motorräder und Verkehr
Seitdem Okadas nicht mehr ins Stadtzentrum von Freetown dürfen, müssen die Fahrer lange auf Kunden wartenBild: DW/S. Schmidt

Friedlich für die eigenen Rechte

Ibrahim Thulla versucht all das jetzt in die Praxis umzusetzen - und sich mit den Mitteln eines Gewerkschafters gegen Korruption und alltägliche Ungerechtigkeiten zu wehren. "Wenn ein Polizeibeamter dich festnimmt und derselbe Mann dich dann auch noch vor Gericht zerrt - wie kann das sein? Das ist doch ungerecht. Es sollte unabhängige Staatsanwälte geben", sagt Thulla.

Die EU will in Sierra Leone vorrangig Projekte fördern, die die Rechtsstaatlichkeit und Regierungsarbeit verbessern. Auch die Zivilgesellschaft soll stärker werden, damit sie die Regierenden besser kontrollieren kann. Allein dafür sollen bis 2020 jedes Jahr durchschnittlich 25 Millionen Euro in das westafrikanische Land fließen.

Dass Ibrahim Thulla in Sierra Leone etwas bewegen will, hat sich auch bei seinen Okada-Kollegen rumgesprochen. "Manchmal, wenn wir uns treffen, dann rufen sie schon meinen Namen: Thulla, Thulla, ist das DER Mister Thulla?", erzählt der Gewerkschafter. "Ich stehe einfach für die richtigen Dinge, das ist alles." Große Pläne für seine Zukunft hat der 32-Jährige auch schon. Er möchte Politikwissenschaften studieren. Das Geld dafür muss er allerdings noch verdienen - als Motorradtaxi-Fahrer.