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Gabriel: "Spüren tiefen Vertrauensverlust"

Naomi Conrad, Berlin 9. Mai 2016

Die SPD befindet sich im Umfragetief: Gerade mal ein Fünftel der Wähler würde die Partei nach den letzten Erhebungen wählen. Sigmar Gabriel mahnt, die Partei müsse sich stärker um die soziale Gerechtigkeit kümmern.

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SPD-Chef Sigmar Gabriel bei der Wertekonferenz Gerechtigkeit (Foto: picture-alliance/AP Photo/M. Schreiber)
Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Schreiber

Ein kleines, weißes Auto schiebt sich durch den Verkehr vor dem Willy-Brandt-Haus, der Parteizentrale der SPD in Berlin. Davor stehen Männer und Frauen in Anzügen und Sommerkleidern, trinken Kaffee und reden. Ein Kamerateam führt gerade ein Interview, als sich ein dicker, kahler Mann aus dem Auto lehnt und grölt: "Die Sozialdemokraten haben uns verraten." Ein Mann schüttelt irritiert den Kopf: "Was für ein Idiot" - und verschwindet dann mit anderen Delegierten im Willy-Brandt-Haus.

Die SPD hat zur "Wertekonferenz Gerechtigkeit - Neue und alte Fragen an die Sozialdemokratie" geladen. Mit dieser ersten einer ganzen Reihe von Veranstaltungen startet sie in die Programmarbeit für die Bundestagswahl im kommenden Jahr - und will wohl auch einen Ausweg aus dem Umfragetief finden, in dem die Partei seit längerem dümpelt. Experten attestieren ihr oft eine mangelde "Profilschärfe". In den letzten Umfragen kommt die SPD auf 20 Prozent, die rechtspopulistische AfD auf 14.

Auch Parteichef Sigmar Gabriel gilt als angeschlagen, beim Parteitag wurde er mit lediglich 74 Prozent der Delegiertenstimmen wiedergewählt. Am Wochenende hatten Äußerungen von Helmut Markwort, Herausgeber der Zeitschrift "Focus", für Aufregung gesorgt: Dieser hatte gesagt, Gabriel wolle zurücktreten, ein Nachfolger stehe bereits fest. Gabriel hatte die Gerüchte als "Unfug" bezeichnet, auch Parteikollege Justizminister Heiko Maas hatte die Äußerungen zurückgewiesen.

Gabriel: "Alarmsignal"

Im dichtgedrängten Atrium der Parteizentrale zeigte Gabriel sich besorgt angesichts der Umfragewerte: "Natürlich spüren wir den tiefen Vertrauensverlust", so Gabriel, er treffe die Sozialdemokratie "besonders hart". Es sei ein "Alarmsignal", dass nur noch 32 Prozent der Bürger den Sozialdemokraten in Fragen der sozialen Gerechtigkeit etwas zutrauten - obwohl sie viele Projekte mit auf den Weg gebracht hätten, wie etwa den Mindestlohn oder die Mietpreisbremse. Er warnte eindringlich, ohne die AfD namentlich zu nennen, vor der Konkurrenz von neuen rechten Parteien, die offen gegen Minderheiten wetterten und einen "anti-europäischen Chauvinismus" propagierten.

Die SPD müsse sich ernsthaft fragen, ob sie den "Gerechtigkeitshunger" einer sich rasch verändernden Gesellschaft richtig wahrnehme, so Gabriel: Denn wenn es um die Zahl und Programme gehe, die die SPD vorangebracht habe, "müssten wir bei 50 Prozent liegen." Die Partei müsse ein tieferes Verständnis für die Entwicklungen im Lande erlangen und sich um die steigende soziale Ungerechtigkeit und Ungleichheit kümmern. "Durchhalteparolen helfen nicht weiter", so Gabriel.

Der Vizekanzler kündigte außerdem an, die Abgeltungssteuer in der kommenden Wahlperiode abschaffen zu wollen. Es sei ein Fehler gewesen, Kapitalerträge geringer zu besteuern als Erträge aus Arbeit, so Gabriel. Die geltende Abgeltungssteuer von 25 Prozent auf Kapitalerträge war vom früheren SPD-Finanzminister Peer Steinbrück eingeführt worden. Das zusätzliche Geld wolle er ins Bildungssystem stecken.