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Kulturaustausch in Zeiten des Populismus

Laura Döing
18. Januar 2018

Statt Abgrenzung: Die neue Leiterin des DAAD-Künstlerprogramms in Berlin setzt auf den offenen Austausch der Künste. Reicht das als Antwort auf Nationalismus und Populismus?

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Silvia Fehrmann, Leiterin des Berliner Künstlerprogramms des DAAD
Silvia FehrmannBild: Krzysztof Zieliński

Seit Januar leitet Silvia Fehrmann das Berliner Künstlerprogramm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Deutschlands angesehenstes Artist-in Residence-Programm lädt jedes Jahr rund 20 Künstlerinnen und Künstler aus der ganzen Welt nach Deutschland ein – Literaten und Musiker ebenso wie Filmemacher oder Bildende Künstler. Sie dürfen nicht nur, sie sollen sich sogar in politische und ästhetische Debatten hierzulande einmischen.

Deutsche Welle: Frau Fehrmann, wie funktioniert das in Zeiten aufkeimenden 
Nationalbewusstseins und rechtspopulistischer Entwicklungen?

Silvia Fehrmann: In den heutigen Zeiten kommt dem Berliner Künstlerprogramm in der Tat eine neue Bedeutung zu. Entstanden ist es im Kalten Krieg, um Berlins Kulturszene eine Art Frischzellenkur zu verabreichen. Im Mittelpunkt seiner Arbeit steht die Einladung an herausragende internationale Künstler und Künstlerinnen, nach Berlin zu kommen – eine Einladung zum Innehalten, Nachdenken, und oft dann auch der Impuls zu neuen Arbeiten. Im Laufe der Zeit hat es sich immer wieder neuen Aufgaben gestellt, nach der Wiedervereinigung zum Beispiel dem Erschließen besonders osteuropäischer Kulturproduktionen. Im Zuge der Globalisierung lag ein verstärktes Augenmerk auf Künstlern aus dem globalen Süden.

Heute stehen wir aus meiner Sicht vor der Situation, dass große Erwartungen an Deutschland gestellt werden, an Berlin als eine weltoffene Stadt, in der ein öffentlicher Diskurs möglich ist, ein Ort, an dem die Freiheit der Kunst und der Wissenschaft hochgehalten wird, und da ist das Berliner Künstlerprogramm ein ganz wesentliches Instrument, um die Möglichkeiten eines kritischen Diskurses aufzuzeigen.

Was kann das DAAD-Künstlerprogramm Neonationalismen entgegensetzen?

Die eingeladenen internationalen Vordenker können wichtige Perspektiven liefern. Zum Beispiel, was die Pluralisierung von Geschichten angeht. Es gibt viele Geschichten, nicht nur eine. Auch Vergangenheit kann auf die eine oder andere Weise erzählt werden. Viele zeitgenössische Künstler arbeiten heute mit Archiven, viele Literaten oder Filmemacher an einer Neuschreibung von historischen Narrative.

Bei der Kulturarbeit in Zeiten von Neonationalismen ist es immer wieder wichtig, die vielen pluralen Geschichten sichtbar zu machen und auch gegen die Idee zu wirken, dass es eine reine Sprache gibt, eine reine Kultur, die ohne fremde Einflüsse vor sich hin lebt. Eine Kultur entsteht immer aus der Übersetzung, der Übertragung, der Vermischung. Künstler sind stark darin zu denken, wie Dinge anders sein könnten – und das eröffnet einfach eine unglaubliche Freiheit.

Die Ausstellungseröffnung von Rayyane Tabet in der daadgalerie in Berlin
Die daadgalerie in Berlin sieht Fehrmann als "Kraftzentrum" für Austausch und BebegnungBild: Krzysztof Zieliński

Welche Schwerpunkte möchten Sie setzen?

Mir ist es wichtig, einen Resonanzraum zu schaffen: für die Bilder, Ideen, Geschichten, die unsere Gäste mitbringen. Einen Resonanzraum, in dem auch die internationale Stadtgesellschaft Berlin ins Gespräch kommt, und in dem die vielen Künstler und Wissenschaftler, die Berlin als Wohnort wählen, Teil dieser Auseinandersetzung mit Kunst, Literatur, Musik und Film werden.

Zum anderen interessiert mich sehr, was zwischen den Künsten und den Wissenschaften möglich ist, und wie sich künstlerische Praktiken verändern. Wenn man sich heute Künstlerbiografien anschaut, sieht man, dass viele Künstler zwischen den Genres arbeiten, sich die Grenzen zwischen Literatur und Film und Musik und bildender Kunst immer wieder verschieben. Es gibt bildende Künstler, die sich als Autoren begreifen, Musiker, die eher Performer werden, Literaten, die auch als Kuratoren wirken. Und diese Veränderung der künstlerischen Praktiken findet in Berlin eine tolle Bühne, weil hier sehr viele Künstler und ein sehr anspruchsvolles Publikum weiterverfolgen, wie sich die Künste entwickeln.

Lässt sich diese Vermischung der Genres auch bei den Gästen des Jahres 2018 beobachten? 

Wir haben zum Beispiel den argentinischen Dichter Sergio Raimondi eingeladen, der ein hochpolitisches Verständnis von Dichtung hat, der sich als Forscher versteht. Er ist nicht nur Lyriker, sondern auch Verleger, Kurator und er war Direktor des Hafenmuseums seiner Heimatstadt Bahía Blanca. Außerdem ist die taiwanesische Musikerin Liping Ting zu Gast, deren Arbeit sich zwischen Tanz, Videokunst, Fotografie, Poesie und Klangkunst bewegt.

Der bolivianische Komponist Carlos Gutiérrez ist Instrumenten-Erfinder, Dirigent, Forscher der indigenen Kulturen in Bolivien und macht mit autochthonen (einheimischen, Anm.d.Red.) Instrumenten experimentelle Musik. Die österreichische Künstlerin Ashley Hans Scheirl lehrt einerseits kontextuelle Malerei an der Universität, andererseits ist sie auch eine ganz wesentliche Stimme im Queer Cinema Österreichs. Aus Singapur wird Ho Rui An zu Gast sein. Er ist bildender Künstler, Autor und Performer.

Bilder von Ashley Hans Scheirl, ausgestellt auf der Documenta 14 in Kassel
Bilder von Ashley Hans Scheirl, Gast des Künstlerprogramms 2018, ausgestellt auf der Documenta 14Bild: picture-alliance/dpa/A. Tzortzinis

Solcherlei Schnittstellen, solcherlei Querverbindungen zwischen zeitgenössischer Kunst, Musik, Theorie und Performance sind ein wiederkehrendes Motiv in der Arbeit vieler zeitgenössischer Künstler, was auch der Tatsache geschuldet ist, dass die Auseinandersetzung mit der komplexen Gegenwart, in der wir leben, multiple Zugänge erfordert.

Silvia Fehrmann leitet seit dem 1. Januar 2018 das Berliner Künstlerprogramm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Zuvor war sie stellvertretende Intendantin und Leiterin des Bereichs Kommunikation und Kulturelle Bildung am Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Fehrmann ist in Buenos Aires geboren, wo sie am Goethe-Institut arbeitete und an der Universität unterrichtete.

Das Berliner Künstlerprogramm gibt es seit 1963. Es wird mit Mitteln des Auswärtigen Amtes und der Stadt Berlin finanziert. Mehr als 1000 Künstlerinnen und Künstler waren mit einem Stipendium schon zu Gast in Berlin – darunter Margaret Atwood, John Cage, Swetlana Alexijewitsch, Imre Kertész, Marina AbramovićMario Vargas Llosa, Susan Sontag, Gao Xingjian, Ingeborg Bachmann, Jim Jarmusch.

Das Gespräch führte Laura Döing.