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Politik

Eine deutsch-birmanische Erfolgsgeschichte

Rodion Ebbighausen aus Myanmar
15. Januar 2019

Vor fast 40 Jahren wurde in Myanmar mit deutscher Hilfe eine Berufsschule gegründet, die alle politischen Umbrüche und Wirren überdauert hat. Laut Myanmar-Kennern "ein glücklicher Einzelfall".

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ITC Sinde
Bild: DW/R. Ebbighausen

Freudige Gesichter, Lachen und viel zu erzählen. Die Teilnehmer des diesjährigen Treffens der ehemaligen Berufsschüler vom Industrial Training Center Sinde (ITC Sinde) haben sich herausgeputzt: Fast alle tragen traditionelle Longyis (Wickelröcke), die bei Männern von weißen Hemden, bei den Frauen von farbenprächtigen Blusen ergänzt werden. Kurz nach zehn Uhr morgens drängt der Moderator die in Grüppchen zusammenstehenden Alumni auf einen pünktlichen Beginn, obwohl er Verständnis dafür hat, dass manche überwältigt seien, alte Freunde nach vielen Jahren wiederzusehen.

Die Teilnehmer des Treffens der Alumni (etwa 350 inklusive Familienmitgliedern) in der Nähe von Yangons berühmter Shwedagon Pagode feiern in gewisser Weise auch eines der erfolgreichsten Projekte deutscher Entwicklungszusammenarbeit in Myanmar. Kyaw Lwin, ein ehemaliger Lehrer und Schulleiter aus Sinde, der 1977 für anderthalb Jahre nach Deutschland kam und unter anderem in der Nähe von Mannheim ausgebildet worden war, sagt auf der Feier: "Es war und ist ein wunderbares Projekt, das mit deutscher Hilfe viele sehr gut ausgebildete Schüler hervorgebracht hat." Insgesamt haben bis heute mehr als 4000 Berufsschüler einen Abschluss in Sinde gemacht.

ITC Sinde
Eröffnungszeremonie im Dezember 1979Bild: Helmar Bischoff

Anfänge einer Erfolgsgeschichte

Ende 1970 fragte der Erziehungsminister der sozialistischen Regierung Birmas bei der bundesdeutschen Botschaft in Rangun an, ob mit deutscher Hilfe ein Modellprojekt zur Berufsbildung auf den Weg gebracht werden könne. Seine Recherchen hätten ergeben, dass das duale System mit einem Schwerpunkt auf der praktischen Ausbildung das beste der Welt sei. Die Bundesregierung stimmte zu.

Durchgeführt wurde das Projekt allerdings erst Jahre später. Erst unter Maung Cho, einem bei der deutschen Firma Fritz Werner ausgebildeter Militär, der 1975 das neu geschaffene Ministerium für Schwerindustrie übernommen hatte, wurden die Pläne in die Tat umgesetzt. Als Ort für die Schule bestimmte er das 300 km nördlich von Yangon am Irrawaddy gelegene Sinde, wo es schon eine mit Hilfe von Fritz Werner gebaute Fabrik für Landmaschinen gab.

Mit Unterstützung deutscher Lehrkräfte unterrichteten im ersten Jahrgang 24 birmanische Lehrer, die wie Kyaw Lwin zum Teil eine Ausbildung in Deutschland durchlaufen hatten, im ersten Jahrgang 108 Berufsschüler. Die Ausbildung dauerte drei Jahre.

ITC Sinde
Luftaufnahme des ITC Sinde-Geländes. Ganz rechts im Bild die benachbarte PagodeBild: Hermann Maier

Rückschläge und neue Möglichkeiten

"Die Berufsschule entwickelte sich langsam und organisch", wie der deutsche Myanmarexperte Hans-Bernd Zöllner in einer Studie über ITC Sinde schreibt. Bis Ende 1985 übergaben die Deutschen die Einrichtung vollständig in birmanische Verantwortung, allerdings gab es weiterhin finanzielle Unterstützung und Hilfe bei der Beschaffung von Lehrmaterial. Das endete 1988 abrupt, als die Bundesregierung nach der Machtübernahme durch das Militär die Entwicklungszusammenarbeit einstellte.

Die Schule bestand jedoch weiter, auch wenn die "goldenen Jahre" damit vorbei waren. Nach und nach wurde die Ausbildung auf zwei und dann schließlich auf ein Jahr verkürzt. Die Maschinen und das Lehrmaterial veralteten zusehends. Am Schluss reduzierte sich die Ausbildung gezwungenermaßen auf den theoretischen Teil, auf den bislang nur ein Fünftel entfallen war.

Gleichzeitig jedoch öffnete die Militärregierung das Land für ausländische Investitionen und erlaubte es den Absolventen aus Sinde, ins Ausland zu gehen oder privatwirtschaftlich aktiv zu werden, was vorher nicht möglich war. Im Ausland entfalteten viele der Sinde-Schüler ihr volles Potential, denn die meisten waren für den heimischen Arbeitsmarkt überqualifiziert.

ITC Sinde
Bis heute das Motto der Schule: Skill - Honor - Ability (Fertigkeit - Ehre - Können)Bild: Hans-Bernd Zöllner

Ein Neuanfang

Bergauf ging es mit der Schule  dann wieder 2012 nach der Übergabe der Regierungsverantwortung vom Militär an eine nominell zivile Regierung  und den Nachwahlen, die Aung San Suu Kyi erstmalig ins Parlament brachte. Nach Aufhebung der EU-Sanktionen  war das ITC Sinde der erste Anknüpfungspunkt für die Wideraufnahme der deutsch-birmanischen Entwicklungszusammenarbeit. Tatsächlich war Deutschland das erste westliche Land, das nach dem Ende der Sanktionen wieder in Myanmar aktiv wurde – unter anderem wegen der guten Verbindungen zum ITC Sinde.

Wie nachhaltig wirksam das Projekt bis in die Gegenwart ist, zeigt nicht nur die schnelle Wiederaufnahme der Zusammenarbeit mit Deutschland, sondern auch das Treffen der Ehemaligen. Auf der Feier werden Spender geehrt, die sich in besonderer Weise um die Organisation der Alumni oder durch Spenden verdient gemacht haben. Der bisherige Lebensweg des Unternehmers und Vorsitzenden der Alumni-Vereinigung Ye Htoot ist ein gutes Beispiel für den Erfolg der Schule.

ITC Sinde
Ye Htoot (links) im Gespräch auf dem Alumni-Treffen in YangonBild: DW/R. Ebbighausen

Eine Karriere

Ye Htoot gehörte zum ersten Jahrgang des ITC Sinde. Nach Abschluss seiner Ausbildung wurde er 1982 als Junior-Ingenieur in ein Staatsunternehmen in Yangon übernommen. Als 1988 die sozialistische Ära Myanmars durch einen Volksaufstand endete, schloss sich Ye Htoot den Demonstranten an. Er gründete gemeinsam mit Kollegen eine Gewerkschaft. Nach Niederschlagung der Demonstrationen durch das Militär im September stellte ihn das neue Militärregime vor die Wahl: Entweder die Gewerkschaftsarbeit aufgeben und Weiterbeschäftigung oder Ausschluss aus dem Staatsbetrieb. Ye Htoot entschied sich - wie viele gut ausgebildete Männer und Frauen, die am Aufstand teilgenommen hatten - zu kündigen und das Land zu verlassen. Zuvor kam er aber noch einer Bitte seines Chefs nach: Das Staatsunternehmen hatte den Auftrag, in mehreren Krankenhäusern noch technische Geräte wie Röntgenapparate zu installieren. Hier ging es nicht um Politik, sondern um Menschen. Also beendete Ye Htoot den Auftrag, was mehr als ein Jahr in Anspruch nahm.

ITC Sinde
Ye Htoot in Singapur Mitte der 1990er JahreBild: Ye Htoot

Danach ging Ye Htoot nach Singapur, wo er sechs Jahre arbeitete und einen Abschluss als Wirtschaftsingenieur machte. Nach einer Station in Thailand kehrte er 1999 nach Myanmar zurück, um sein eigenes Unternehmen zu gründen. "Ich wollte etwas beitragen zur Entwicklung meiner Heimat", sagt der der DW. Er gründete die Multi Power Engineering Company (MPEC), die sich auf die Herstellung von elektrischen Schaltbrettern, Paneelen und die Elektrifizierung von Großprojekten spezialisierte. Angefangen mit sieben Mitarbeitern, beschäftigt MPEC heute rund 120 Mitarbeiter (darunter 23 ehemalige Schüler aus Sinde) und ist verantwortlich für die Elektrifizierung der Coca-Cola-Fabrik in Myanmar und von Sportstadien. Nicht ohne Stolz wird hier nach der internationalen Qualitätsmanagementnorm ISO 9001:2015 produziert.

Im Rückblick sagt Ye Htoot: "Alles, was ich erreicht habe, basiert letztlich auf Sinde." Er hebt dabei insbesondere die praktische Ausbildung hervor: "Es gab viele, die mehr wussten als ich, aber ich war in der Lage, das Gelernte anzuwenden." Das sei, so Ye Htoot, bis heute ein großes Problem in Myanmar. Viele Absolventen der technischen Universitäten in Myanmar wüssten eine Menge, aber sie könnten das Wissen nicht umsetzen. "Reden reicht nicht! Es kommt darauf an zu üben und praktische Erfahrungen zu sammeln!"

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Berufsschüler aus Sinde in Ye Htoots FirmaBild: DW/R. Ebbighausen

Nächste Generation

Aus diesem Grund gehört Ye Htoots Firma heute zu den ständigen Ausbildungsstätten der Studenten aus Sinde. Die Schülerinnen und Schüler, die fast die gleichen blauen Uniformen wie vor 39 Jahren tragen, sehen mit viel Zuversicht in die Zukunft, denn der Ruf des Berufsschule ist in Myanmar nach wie vor hervorragend. Eine Studentin aus dem Schan-Staat erklärt, dass sie nach der Ausbildung weiterlernen möchte – am liebsten in Japan. Der Geist von Sinde scheint hier durch, der nach Ye Htoot viel mit Wissbegierde und Disziplin zu tun hat.

Die Gründe, warum das Projekt, im Gegenteil zu vielen anderen Projekten der internationalen Zusammenarbeit in Myanmar, ein nachhaltiger Erfolg war und ist, sind nach Ansicht von Zöllner, der Sinde systematisch erforscht, vielfältig: "Zum ersten wurde den Schüler beigebracht, ihre Leben selbst in die Hand zu nehmen. Motivation war das Wesentliche. Und dann war es die besondere Mischung, in der sich deutsches Know-how auf fruchtbare Weise mit birmanischen Traditionen und Vorstellungen verband." Zöllner glaubt nicht, dass sich so etwas kopieren lässt. "Das war ein nicht planbarer glücklicher Einzelfall." 

Ye Htoot, der sich des besonderen Status‘ Sindes bewusst ist, weist zum Abschied darauf hin, dass die Berufsschule im kommenden Jahr ihr 40-jähiriges Rubin-Jubiläum feiert. Es soll eine große Feier geben und ein eigenes Magazin mit vielen Fotos und der Geschichte des Projekts. Auch wenn sich Sinde nicht kopieren lässt, ist er zuversichtlich, dass die Erfolgsgeschichte fortgeschrieben wird.

ITC Sinde
Gruppenfoto mit Schülern, Lehrern, Ausbildern und Fabrikbesitzer Ye HtootBild: DW/R. Ebbighausen
Rodion Ebbinghausen DW Mitarbeiterfoto
Rodion Ebbighausen Redakteur der Programs for Asia