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Wettbewerb im Endspurt

13. Februar 2009

Überraschung: Einen Film aus Peru hatte es im Wettbewerb der Berlinale noch nie gegeben. Außerdem hat sich Jochen Kürten am achten Tag der Berlinale köstlich über einen Hollywood-Film amüsiert.

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Unser Wettbewerbsbeobachter Jochen KürtenBild: DW

Tilda Swinton hat gelacht. Das kann ich bezeugen. Ich sitze nämlich fast immer hinter Tilda Swinton. Nicht, weil ich ein besonders großer Fan der Schauspielerin und diesjährigen Jury-Vorsitzenden bin, sondern weil die Plätze direkt in der Reihe hinter der Jury immer einen ungehinderten Blick auf die Leinwand gewähren. Was vor allem wichtig ist, weil die Filme ja in der Regel mit Untertiteln laufen und man auf diese unbedingt angewiesen ist, wenn man nicht gerade des Spanischen, des Rumänischen oder des Chinesischen mächtig ist.

Oscar-Nominierungen 2008 Tilda Swinton
Ihr hat´s gefallen: Jurypräsidentin Tilda SwintonBild: picture-alliance/dpa

Tilda Swinton hat sich also amüsiert. Beim ersten Film des Donnerstages "The Milk of Sorrow“ der peruanischen Regisseurin Claudia Llosa, die übrigens mit dem Schriftsteller Mario Vargas Llosa verwandt ist. "The Milk of Sorrow“ ist dabei alles andere als eine Komödie. Vielmehr spielt der Film mit verschiedenen Motiven des magischen Realismus und ist eine Art Passionsgeschichte einer jungen Peruanerin. Das ganze spielt am Rande der Hauptstadt Lima in den hoch gelegenen Elendsvierteln der Metropole.

Magischer Realismus

Die junge Fausta ist seit den Tagen des peruanischen Terrors von einer geheimnisvollen Krankheit gezeichnet. Seitdem kommt es bei ihr immer wieder zu seltsamen Blutungen. Die Mutter ist gerade gestorben, Fausta lebt bei Onkel und Tante, ihre Cousine wird gerade auf die Hochzeit vorbereitet. Überhaupt spielen Verlobungen und Hochzeitsfeiern eine wichtige Rolle in diesem Film. Fausta arbeitet im Haushalt einer angesehenen und erfolgreichen Konzertpianistin, die in einer alten spanischen Villa wohnt, gelegen inmitten des Elends der Favelas.

Filmfestspiele Berlin 2009 La teta asustada
Die junge Fausta (rechts) im Film "The Milk of Sorrow"Bild: Internationale Filmfestspiele Berlin

In ruhig dahinfließenden Bildsequenzen zeigt Regisseurin Llosa die Leidengeschichte Faustas. Ein wenig erinnert der Film in seiner Mischung aus realistischen Szenen und phantastischen Momenten an die großen Vorbilder lateinamerikanischer Literatur. "The Milk of Sorrow“ verlangt Geduld vom Zuschauer, auch weil man sich auf die manchmal wahrlich bizarren Details einlassen muss. Doch Llosa lockert die Handlung immer wieder mit humoristischen Szenen auf, vor allem, wenn die Lebenslust der Menschen in Szene gesetzt wird. Das hat der Juryvorsitzenden offenbar gefallen.

Radikaler Wechsel nach Hollywood

Das Kontrastprogramm im Anschluß an den peruanischen Film hätte nicht größer sein können. "My One and Only“ ist eines jener typischen Hochglanzprodukte aus Hollywood, welche das Berlinalepublikum in der Regel spaltet. Einerseits kann man sich der perfekt polierten Oberfläche nicht entziehen, auf der anderen Seite ist man – gerade nach kleineren Filmen aus unbekannten Kinonationen – auch ein wenig abgestoßen vom oberflächlichen Glanz der US-Produktionen.

Filmfestspiele Berlin 2009 My One And Only
Nicht wählerisch in Sachen Männer - Renée Zellweger in "My One and Only".Bild: Internationale Filmfestspiele Berlin

Doch "My One and Only“ bietet eine über weite Strecken höchst vergnügliche Reise in die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts. Der britische Regisseur Richard Loncraine blättert die Erinnerungen des Schauspielers George Hamilton auf, der vor allem in den 50er und 60er Jahren als Hollywood-Beau einige Erfolge feiern konnte. Nach Hamiltons Erinnerungen entstand so ein Film, der mit seinen geschliffenen Dialogen, den ausgeprägt witzigen Charakteren und einer schwungvollen Inszenierung zu überzeugen weiß. Ich kann mich nicht erinnern, dass in den vergangenen Tagen während des Wettbewerbs im großen Saal des Berlinale-Palasts so viel gelacht wurde, wie während der Vorführung der US-Produktion "The One and Only".

Zwischen Anstrengung und Vergnügen

„My One and Only“ wird wohl keinen Bären gewinnen hier in Berlin. Loncraines Streifen verlässt dafür – bei allen Stärken - zu selten die glitzernde Oberfläche purer Unterhaltung. Solche Filme werden in der Regel nicht ausgezeichnet bei Wettbewerben. Dafür haben sie ihren Platz dann im normalen Kinoalltag außerhalb der Festivals. "The Milk of Sorrow“ dagegen könnte in einer Nebenkategorie durchaus für einen Bären gut sein.

Auch das spielt nämlich bei Jury-Entscheidungen immer eine Rolle. Dass ein Film etwas ganz Besonderes, Einzigartiges zu bieten hat, etwas, was man so noch nie vorher gesehen hat. Das kann eine Landschaft sein, eine bizarre Story, fremde Gesichter, nie gesehene Schauspieler und exotische Kulissen. Oder eben Szenen voller Witz, Humor und Menschlichkeit, abseits üblicher Kinokonventionen. Tilda Swinton zumindest, so hatte ich den Eindruck, hat ihn gemocht, den Einfallsreichtum der peruanischen Regisseurin Claudia Llosa.

Fazit: 202 Minuten Film. Eine traurig-phantastische Geschichte aus Peru und eine unterhaltsame Reise durch die Vereinigten Staaten von Amerika der 50er Jahre. Der Wettbewerb hat sich wieder ein wenig erholt.

Jochen Kürten