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Politik

Skandal beim ESC-Vorentscheid in der Ukraine

Roman Goncharenko | Maksym Drabok
25. Februar 2019

Die Teilnahme der Ukraine am Eurovision Song Contest wird zu einer Zerreißprobe. Nach massiver Kritik an den geplanten Auftritten in Russland fährt die Vorentscheid-Siegerin nicht nach Tel Aviv.

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ESC-Teilnehmerin aus der Ukraine, die Sängerin Maruv
Sängerin MaruvBild: picture-alliance/dpa/S.Glovny

Eigentlich will der Eurovision Song Contest (ESC) ein rein musikalischer Wettbewerb sein, ohne Politik. Dieser Anspruch ist in der Ukraine in diesem Jahr besonders spektakulär gescheitert. Die Ergebnisse des nationalen Vorentscheids wurden am Montag über Bord geworfen und die Teilnahme der Ukraine am ESC-Finale im Mai in Tel Aviv infrage gestellt. Es könnte sein, dass das osteuropäische Land damit zum zweiten Mal nach der russischen Krim-Annexion 2014 die Teilnahme am Gesangwettbewerb stornieren muss.

Ein Ultimatum an die Vorentscheid-Siegerin 

Der Paukenschlag kam am späten Montagnachmittag. Der zuständige öffentlich-rechtliche Rundfunksender "UA:Suspilne Mowlennja" teilte mit, man habe sich mit der Siegerin des nationalen Vorentscheids, der Künstlerin Maruv, nicht einigen können. Es gebe "Anzeichen einer Politisierung" des Wettbewerbs. Wie es weitergehen soll, war zunächst unklar.

Die 27-jährige Maruv gewann beim Vorentscheid am 23. Februar. Mit ihrem betont aufreizend vorgetragenen Titel "Siren Song" (Sirenenlied) bekam sie die meisten Stimmen sowohl von der Jury, als auch von den Zuschauern des zuständigen öffentlich-rechtlichen Rundfunksenders.

Zum Verhängnis für Maruv, die im wirklichen Leben Anna Korsun heißt und aus der russischsprachigen Provinz im Südosten der Ukraine stammt, wurden ihre geplanten Auftritte in Russland. Für Mitte April ist ihr erstes Solo-Konzert in St. Petersburg angekündigt. Eine Künstlerin, die die Ukraine beim ESC vertritt, dürfe nicht vor dem "Aggressor", wie das ukrainische Parlament Russland eingestuft hat, auftreten, so die Kritik. Vor allem in sozialen Medien gibt es eine wachsende Welle der Empörung. Die Tatsache, dass die Rechte am "Siren Song" dem russischen Label Warner Music Russia gehören, löste ebenfalls eine Kontroverse aus.

Mit dem ukrainischen Vizeregierungschef Wjatscheslaw Kyrylenko bekamen die Kritiker prominente Unterstützung. Diese Geschichte sei noch nicht zu Ende, twitterte Kyrylenko. Auch das Kulturministerium äußerte sich kritisch, distanzierte sich jedoch vor jeglicher Einflussnahme. Der verantwortliche Sender stellte Maruv am Wochenende eine Art Ultimatum: Um die Ukraine beim ESC vertreten zu dürfen, müsse die Künstlerin binnen 48 Stunden einem Vertrag mit Zusatzklauseln zustimmen.

Was darin steht, veröffentlichte Maruv in ihrem Profil bei Facebook. Sie solle sich vor allem verpflichten, keine Auftritte in Russland zu machen und dafür sorgen, die Rechte am Lied übertragen zu bekommen. Außerdem dürfe sie auf der Bühne nicht improvisieren, ohne es vorher abgesprochen zu haben, und nicht mit Journalisten ohne Zustimmung des Senders sprechen. Bei Zuwiderhandlung drohen hohe Geldstrafen. Alle Kosten für den Auftritt solle sie selbst tragen. "Ich sehe darin einen klaren Versuch, mich dazu zu bewegen, die Teilnahme am ESC-2019 als Vertreterin meines Landes abzusagen", schrieb Maruv und erklärte sich allerdings bereit, künftige Auftritte in Russland abzusagen. 

Kritik am ukrainischen ESC-Veranstalter

Szenekenner wie der Sänger Olexander Ponomarjow, der die Ukraine 2003 bei der ersten ESC-Teilnahme vertreten hat, kritisieren die Veranstalter. Man hätte im Vorfeld dafür sorgen sollen, dass so eine Situation wie mit Maruv nicht entstehe, sagte Ponomarjow in einem DW-Gespräch. "Sonst sieht es etwas chaotisch aus, besonders von Europa aus betrachtet", so der Künstler.

Ähnliche Vorwürfe erhebt auch der bekannte Kiewer Musikproduzent Wolodymyr Bebeschko. "Man hätte rechtzeitig die Kandidaten nach ihrer Staatsangehörigkeit, Konzerten in Russland und der Krim-Zugehörigkeit befragen sollen", sagte Bebeschko der DW. Der Fall Maruv habe zu einer "politischen Provokation" und einer Spaltung der Gesellschaft geführt, so Bebeschko. Maruv habe "ehrlich gewonnen" und solle nach Tel Aviv hinfahren, findet Bebeschko. Wenn die Künstlerin ihre Teilnahme doch absagt, dann solle die Ukraine aus dem diesjährigen Wettbewerb ganz aussteigen. Das scheint jetzt wahrscheinlich.

Verhältnis zu Russland als Gretchenfrage

Dabei ist der Streit um Maruv kein Einzelfall. So stellte sich beim Vorentscheid heraus, dass eine andere Sängerin einen russischen Pass hat und in Russland, wie sie sagte "bei sich zu Hause", aufgetreten war. Noch größer war die Kontroverse um das Duo "Anna Maria", zwei auf der Krim geborenen Zwillingsschwestern, deren Eltern bis heute auf der annektierten Halbinsel leben und dort hochrangige Ämter unter neuen Machthabern haben. Für besonders viel Empörung sorgte ein Interview, in dem die beiden Sängerinnen auf die Frage, wem die Krim gehöre, eine Art Gretchenfrage der modernen Ukraine, ausweichend geantwortet hatten.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Folgen der Krim-Annexion den ESC überschatten. 2017 verweigerte die Ukraine der russischen Künstlerin Julia Samojlowa die Einreise zum Finale nach Kiew, weil sie vorher ohne Genehmigung aus Kiew auf der annektierten Halbinsel aufgetreten war - für die Ukraine eine schwere Grenzverletzung. Russland sagte daraufhin die Teilnahme ganz ab.

Der amtierende Chef des ukrainischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Surab Alasanija, wies Kritik an den Veranstaltern des nationalen ESC-Vorentscheids zurück. Tatsache sei, dass fast alle diesjährigen Finalisten starke Verbindungen zu Russland hatten, schrieb Alasanija auf Facebook. Das sei "gefährlich" und ein Zeichen davon, dass die ukrainische Kulturszene und vor allem das Musikgeschäft stärker mit Russland verbunden sei als vielen in der Ukraine bewusst und lieb sei. Und das trotz des andauernden "Krieges, den Russland gegen die Ukraine" führe.

Eurovision Song Contest 2019 in Tel Aviv