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Skepsis über Nordkorea-Sanktionen

Fabian Kretschmer17. Juni 2016

Die UN haben die Sanktionsschraube gegen Nordkorea angezogen, auch China steht dahinter. Wie wirksam aber sind die Strafmaßnahmen? Das Regime scheint unbeeindruckt zu sein.

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Lachender Kim Jong Un im Hemd mit Gefährten (einer in Uniform) Foto: Getty Images/AFP/KNS)
Bild: Getty Images/AFP/KNS

Vor Kurzem hat China bekanntgegeben, dass es seine Handelssanktionen gegen Nordkorea ausgeweitet hat auf weitere sogenannte Dual-Use-Güter, die sowohl für militärische wie auch für zivile Zwecke gebraucht werden können. Bereits im September 2013 hatte das chinesische Handelsministerium eine Liste solcher Güter veröffentlicht. Damals wie heute beruft sich China auf entsprechende UN-Sanktionen, denen es Folge leiste.

Während die Sanktionen gegen Dual-Use-Güter schon länger in Kraft sind, wurden bei den jüngsten Sanktionsbeschlüssen der UN vom März dieses Jahres neue harte Handelsbeschränkungen verhängt: Weder Kohle noch Eisen, Gold oder seltene Erden dürfen Nordkorea abgekauft, Treibstoff für Flugzeuge nicht mehr geliefert werden. Auch diesen Beschlüssen hatte sich China, der wichtigste Handelspartner und Verbündete Nordkoreas, angeschlossen.

Freundschaftsbrücke über den Yalu zwischen China und Nordkorea (Foto: MARK RALSTON/AFP/Getty Images)
Was über die alte "Freundschaftsbrücke" die Grenze zwischen Nordkorea und China passiert, bleibt im Dunkeln.Bild: MARK RALSTON/AFP/Getty Images

"Illegaler Grenzhandel floriert weiterhin"

Aber wie wirksam sind sie? Um die Auswirkungen der Nordkorea-Sanktionen zu beobachten, muss sich das Gros der internationalen Beobachter mit teils spekulativen Statistiken begnügen. Kang Min Ji hingegen, die einst aus Nordkorea ins südliche Nachbarland flüchtete, kennt die Realität vor Ort wie nur wenige Experten. Als Wirtschaftsredakteurin für das Fachmedium "Daily NK" unterhält sie ein breites Netz an Informanten aus Kreisen nordkoreanischer Markthändler, die regelmäßig nach China reisen, um neue Waren einzukaufen. Aus dieser Gruppe rekrutiert Daily NK ihre "Bürgerjournalisten" oder Informanten, die sie mit chinesischen Handys ausstatten und die, sobald sie in der Grenzregion sind, der Redaktion telefonisch Auskunft geben. Was ihre Quellen berichten, lässt Zweifel an der Effizienz der jüngst verhängten UN-Resolution aufkommen.

Der illegale Schmuggel über den Yalu-Fluss floriere nämlich nach wie vor, behauptet Kang. Die Lastwagen der chinesischen Händler würden im Dunkel der Nacht die Brücke zwischen den Grenzstädten Dandong und Shinuiju passieren - mit ausgeschalteten Scheinwerfern, um von den Satellitenaufnahmen unbemerkt zu bleiben, und ohne die von den UN zwingend vorgeschriebenen Kontrollen. "Meiner Einschätzung nach haben die Sanktionen bislang keine signifikanten Folgen in Nordkorea", sagt die Journalistin.

Wu Dawei (l) ist Pekings Mann für Gespräche mit Nordkorea (Foto: picture alliance/Kyodo)
Wu Dawei (l) ist Pekings Mann für die schwierigen Gespräche mit dem schwierigen Verbündeten NordkoreaBild: picture alliance/Kyodo

China und die zwei kleinen Brüder

Ob die Sanktionen tatsächlich greifen, lässt sich wohl erst in mehreren Monaten beurteilen. Eine entscheidende Rolle kommt China zu, schließlich ist das Reich der Mitte für weit über 80 Prozent des nordkoreanischen Handels verantwortlich. China hat sich zwar zunehmend die UN-Position zu Eigen gemacht, die jüngsten Entwicklungen deuten jedoch daraufhin, dass sich die abgekühlten Beziehungen zwischen den zwei Staaten wieder bessern. Erst Anfang Juni reiste Nordkoreas ehemaliger Außenminister Ri Su-yong nach Peking, wo er von Staatspräsident Xi Jinping begrüßt wurde. Auch die chinesischen Staatszeitungen berichteten prominent über den höchsten nordkoreanischen Gast seit 2013.

"China betrachtet Nord- und Südkorea wie zwei kleine Brüder. Wir denken nicht darüber nach, wer der gute und wer der böse ist", sagt Keyu Gong vom Shanghai Institute for International Studies, die als einzige Chinesin an einer von der Friedrich-Naumann-Stiftung in Seoul ausgerichteten Konferenz über die jüngsten Nordkorea-Sanktionen teilnahm. Sanktionen alleine können ihrer Meinung nach das nordkoreanische Atomproblem jedenfalls nicht lösen. "Wenn Nordkorea eine Öffnung nach chinesischem Vorbild einschlagen will, dann können wir dabei helfen. In der derzeitigen Situation jedoch ist es sehr schwierig." Die chinesische Expertin bestreitet allerdings, dass der Schlüssel für die Lösung des Nordkorea-Problems bei China liegt. Vielmehr liege der bei den USA, denn Nordkorea glaube immer noch, dass die USA auf einen "regime change" hinarbeiten würden, und "sie wollen kein zweiter Irak werden".

Der Amerikaner William Newcomb, der bei den Nordkorea-Sanktionen von 2009 im Fachgremium der UN saß, stellte zu diesem Vorwurf ebenfalls auf der Tagung der deutschen Stiftung in Seoul klar: "Unser Ziel ist es, dass Nordkorea sich dazu gedrängt sieht, sein Atomprogramm aufzugeben und an den Verhandlungstisch zurückzukehren." Dass die jüngste UN-Resolution den Sturz des Kim-Regimes herbeiführen solle, ist laut Newcomb "absolut nicht der Fall".

Kim Jong-Un mit Sprengsatz (modell) (Foto: picture-alliance/dpa/KCNA)
Kim Jong-Un baut (bislang) in aller Ruhe sein Waffenarsenal ausBild: picture-alliance/dpa/Kcna

Regime scheint fest im Sattel zu sitzen

In der Tat gibt es keine Anzeichen für eine Destabilisierung dieses Regimes. Im Gegensatz zu vorangegangenen UN-Sanktionen, in deren unmittelbarer Folge es stets zu schlagartigen Hamsterkäufen und explodierenden Marktpreisen kam, ist in den letzten Monaten das Gegenteil zu beobachten: Die Preise für Reis und Getreide stagnieren. Auch der Dollar-Wechselkurs entwickelt sich relativ stabil. Nur die Preise für Diesel-Treibstoff sind seit Frühjahr um mehr als die Hälfte gestiegen.

Da Wirtschaftsdaten aus nordkoreanischen Quellen jedoch oft unverlässlich oder nicht verfügbar sind, legen viele Forscher Satellitenaufnahmen ihren Analysen zu Grunde. Lee Yong-suk von der Stanford Universität hat auf diese Weise die wirtschaftlichen Folgen der Sanktionen in Nordkorea seit den 1990er-Jahren systematisch beobachtet. Ein Ergebnis: Je stärker die Sanktionen in der Vergangenheit waren, desto stärker hat das Kim-Regime seine Energiezuteilungen auf Pjöngjang konzentriert, während weiten Teilen des Landes die Stromzufuhr gekappt wurde. "Trotz der Absicht, das Verhalten der Autokraten zu verändern, haben die Sanktionen stets das regionale Gefälle verstärkt - und zwar auf Kosten der strukturschwachen Regionen", sagte Lee auf der Nordkorea-Tagung.

Wenn es, aus welchen Gründen auch immer, dazu kommen sollte, dass die Sanktionen die Situation der einfachen Bevölkerung verschlechtern, wird auch das nach Ansicht des russischen Nordkorea-Experten Andrei Lankow keinerlei Eindruck auf das Regime machen. Noch nicht einmal eine humanitäre Katastrophe wie bei den Hungersnöten der 90er-Jahre würde Kim Jong Un von seinen atomaren Ambitionen abhalten: "Er würde das wahrscheinlich aus der Sicht eines Generals betrachten, dessen Soldaten im Krieg gefallen sind: bedauerlich, aber kein Grund, den Kampf aufzugeben."