1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Sklaverei auf der Straße

23. August 2018

Obwohl überall verboten, gibt es sklavereiähnliche Zustände auf der ganzen Welt - auch in Deutschland. Der "Internationale Tag der Erinnerung an den Sklavenhandel und dessen Abschaffung" ist mehr als nur ein Gedenktag.

https://p.dw.com/p/33SYl
Symbolbild Zwangsprostitution
Zwangsprostitution ist die in Deutschland am meisten verbreitete Form moderner SklavereiBild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Laut Schätzungen des Global Slavery Index der australischen Organisation "Walk Free Foundation" leben derzeit mehr als 40 Millionen Menschen in moderner Sklaverei, 167.000 davon in Deutschland. Das entspricht circa 0,2 Prozent der hiesigen Bevölkerung.

Doch während die historische Sklaverei auf einem rechtlich anerkannten Besitzverhältnis eines Menschen über einen anderen beruhte, funktioniert Sklaverei heutzutage anders. Dietmar Roller, Vorstandsvorsitzender des deutschen Büros der Menschenrechtsorganisation "International Justice Mission" (IJM), erklärt: "Sklaverei ist zwar nicht mehr legal, doch sie ist wie ein Chamäleon und lebt im Verborgenen weiter." 

Ein grundsätzliches Merkmal ist laut "Walk Free Foundation", dass Menschen "Situationen der Ausbeutung aufgrund von Drohungen, Gewalt, Zwang, Täuschung oder Machtmissbrauch nicht verhindern oder verlassen" können. Moderne Sklaverei wird demnach als Oberbegriff für verschiedene Formen der Unterwerfung und Ausbeutung benutzt, unter die auch etwa Menschenhandel, Schuldknechtschaft oder Zwangsehen fallen können. Die Grenzen, was nun als Sklaverei bezeichnet werden kann und was nicht, sind oft fließend.

Karte Moderne Sklaverei DE

Warnung vom Europarat 

Dies betrifft nicht nur  Länder wie Libyen, Katar oder die Demokratische Republik Kongo, die regelmäßig mit unterschiedlichen Formen von Sklaverei Schlagzeilen machen.  Auch in Europa seien Menschenhandel und Sklavenarbeit auf dem Vormarsch, warnte erst im April der Europarat - insbesondere Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft. 

In Deutschland betraf dies laut Bundeskriminalamt (BKA) 2017 vor allem Migranten in der Baubranche und Gastronomie. Auch Hausarbeit, Fleischverarbeitung, Landwirtschaft oder Transportwesen sind anfällige Bereiche. Insgesamt wurden den Behörden im vergangenen Jahr 180 Opfer aus elf abgeschlossenen Ermittlungsverfahren bekannt, die meisten aus Osteuropa. 

"Deutschland ist das Bordell Europas"

Wesentlich verbreiteter ist in Deutschland sexuelle Ausbeutung. "Deutschland ist das Bordell Europas", sagt Dietmar Roller von IJM, das gehe auch mit einer großen Zahl an Zwangsprostituierten einher. Laut dem BKA gab es 2017 diesbezüglich 327 Verfahren und 500 dokumentierte Opfer.

Dietmar Roller
Dietmar Roller bekämpft mit der IJM Sklaverei und anderen Formen von UnterdrückungBild: IJM Deutschland

Während im Bereich der Zwangsarbeit eher Männer betroffen sind, ist die große Mehrheit der Opfer sexueller Ausbeutung weiblich. In der Statistik des BKA waren deren Hauptherkunftsländer Bulgarien, Rumänien und dann Deutschland. Die Behörde stellte zudem einen deutlichen Anstieg nigerianischer Opfer fest.

Viele Frauen geraten demnach durch Täuschung über die tatsächlichen Umstände in die Prostitution - und kommen dann nicht mehr raus. Auch die "Loverboy-Methode" spiele eine größere Rolle. Dabei täuschen Zuhälter jungen Frauen eine Liebesbeziehung vor und drängen sie aus dieser emotionalen Abhängigkeit heraus in die Prostitution. Oft geben sie vor, Schulden zu haben und reden dem Mädchen ein, es müsse helfen, diese ab zu bezahlen. 

"Wie viele Sklaven halten Sie?"

In den letzten Jahren hat laut Roller zudem eine weitere Spielart sexueller Ausbeutung zugenommen, nämlich die über das Internet. "Deutsche Kunden können sich etwa für eine Stunde ein Kind auf den Philippinen mieten, das dann vor der Webcam machen muss, was sie wollen."

Dieses Beispiel sowie auch die ausländische Herkunft vieler Opfer in Deutschland zeigen, dass moderne Sklaverei nicht vor Landesgrenzen Halt macht. Vielmehr handelt es sich um ein globales Phänomen mit weltweit vernetzten Akteuren. 

Vor zwei Jahren erregte die Wirtschaftswissenschaftlerin Evi Hartmann mit dem Buch "Wie viele Sklaven halten Sie?" Aufsehen. Jeder Durchschnittsdeutsche halte sich allein durch sein Konsumverhalten indirekt etwa 60 Sklaven - so die These darin.

Roller erläutert: "Allein durch den Kauf von Kleidung oder etwa von Produkten, die Rohstoffe aus Konfliktregionen enthalten, fördere ich sklavereiähnliche Arbeitsbedigungen in anderen Teilen der Welt." Auch bei Lebensmitteln, wie etwa Fisch aus Thailand, sei dies der Fall - Zwangsarbeit auf Fischerbooten sei dort weit verbreitet. 

Bangladesch Textilarbeiterinnen
Textilarbeiterinnen in Bangladesch (Archivbild)Bild: Getty Images/AFP/M. Uz Zaman

Minderjährige besonders gefährdet

Spricht man über moderne Sklaverei, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass gerade Minderjährige gefährdet sind, derartigen Strukturen zum Opfer zu fallen - auch in Deutschland. Zuletzt schockierte der Missbrauchsskandal von Staufen die Öffentlichkeit: Ein Paar vergewaltigte den heute zehnjährigen Sohn mehr als zwei Jahre lang vielfach und bot ihn gegen Geld zum Sex an.

In den letzten Jahren sind zudem Zwangsehen in den Fokus der Behörden gerückt. Jährlich erfasst die Polizei in Deutschland zwischen 50 und 60 Fällen.

Aktion gegen moderne Sklaverei

"Man muss die Geschäftsmodelle unattraktiv machen"

In allen Bereichen moderner Sklaverei ist von hohen Dunkelziffern auszugehen. Umso mehr müsse man derartige Strukturen "mit Energie angehen", so Roller. Auch in Deutschland sei noch ein weiter Weg zu gehen.

Dennoch ist IJM vor allem in anderen Ländern etwa in Asien oder Afrika aktiv, wo moderne Sklaverei noch verbreiteter ist und Menschen keinen Zugang zu Rechtssystemen haben. "Meist geht es ums Geld", sagt Roller, "deshalb muss man die Geschäftsmodelle für die Akteure unattraktiv machen."  

So schult IJM etwa philippinische Polizisten in Sachen Kinderprostitution, bringt dort Täter vor Gericht - und trifft damit vielleicht auch einen Deutschen, der übers Internet seine pädophilen Neigungen an philippinischen Kindern auslässt.

DW Fact Checking-Team | Ines Eisele
Ines Eisele Faktencheckerin, Redakteurin und AutorinInesEis