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Politik

"So weit würde ich nicht gehen"

Reza Shirmohammadi aus Hamburg
16. Juli 2018

Der Selbstmord eines jungen Afghanen nach seiner Abschiebung nach Kabul hat erneut die prekäre Lage der vielen abgelehnten Asylbewerber ins Licht gerückt. Die DW hat mit ehemaligen Mitbewohnern des Mannes gesprochen.

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Das Hamburger Flüchtlingsheim, letzter Wohnort des abgeschobenen Afghanen in Deutschland Bild: DW/R. Shirmohammadi

Mitten in einem Industriegebiet liegt die Wohnunterkunft Lademannbogen in Hamburger Stadtteil Hummelsbüttel. Es besteht aus einem Gebäude mit Backsteinfassade (Artikelbild), das alleinstehenden Männern vorbehalten ist, sowie aus Wohncontainern für Familien und für Singles. Ein Container ist für das Sicherheitspersonal reserviert. Im Minutentakt fliegt ein Passagierflugzeug über die Anlage hinweg, der Flughafen ist nur wenige Autominuten entfernt.

Hier hat Jamal Nasser Mahmoudi zuletzt gewohnt, bevor er von der Polizei abgeholt und in einem Charter-Flugzeug von Düsseldorf nach Afghanistan abgeschoben wurde, als einer von 69  Afghanen. Am 4. Juli kam der 23-Jährige in Kabul an. Dort kannte er niemanden. Für die Dauer von zwei Wochen bietet die afghanische Regierung in Zusammenarbeit mit der Internationalen Organisation für Migration (IOM) ein Hotel als Unterkunft für Abgeschobene und Rückkehrer aus Europa an.

Mahmoudis gesamte Familie lebt im Iran, wo er aufgewachsen ist. Afghanistan kennt er nur aus Erzählungen. Er will zunächst nach Herat im Westen Afghanistans. Dort hofft er, sich ein Jahr lang als Tagelöhner zu verdingen und damit die Weiterreise in den Iran zu finanzieren. Dies berichten seine Mitbewohner in Hamburg und Mitarbeiter der IOM. Aber er führt den Plan nicht aus, sondern erhängt sich in seiner Unterkunft.

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Jalal Ahmadi: "Jamal hatte viele psychische Probleme" Bild: DW/R. Shirmohammadi

Selbstmord hat Hamburger Zimmergenossen nicht überrascht

"Jamal hatte viele psychische Probleme", erklärt Jalal Ahmadi, der vier Monate mit ihm in der Unterkunft in Hummelsbüttel in Hamburg verbracht hat und ebenfalls abgelehnt wurde. Er habe zwar das Zimmer mit ihm geteilt, aber ob Mahmoudi in ärztlicher Behandlung war, wisse er nicht, sagt Ahmadi gegenüber der DW. "Oft hat er mit anderen Bewohnern und mit Freunden Streit angefangen. Es war offensichtlich, dass etwas mit ihm nicht stimmte."

Jawad Anwari, der erst seit kurzem in der Wohnunterkunft lebt, bestätigt das. Er habe nur zwei Tage ein Zimmer mit Mahmoudi geteilt, aber in dieser Zeit habe er ihn als sehr besorgt und unruhig wahrgenommen. Viele der afghanischen Flüchtlinge, deren Asylantrag abgelehnt wurde, darunter auch Anuris, machten sich große Sorgen wegen einer eventuellen Abschiebung. Aber Selbstmord begehen, das zeige, wie verzweifelt Mahmoudi war, sagt Anwari. "Möge er in Frieden ruhen. Ich würde nie so weit gehen; Selbstmord ist eine Sünde im Islam. Ich und meine Freunde, die abgelehnt wurden, wollen natürlich auch nicht abgeschoben werden. Wir haben uns mit viel Mühe nach Deutschland durchgeschlagen, um ein neues Leben aufzubauen."

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Hamburger SPD-Abgeordneter Gulfam Malik: Bleibeperspektive auch für abgelehnte Asylbewerber Bild: DW/R. Shirmohammadi

Hamburg schiebt normalerweise nicht nach Afghanistan ab

Gulfam Malik ist SPD-Abgeordneter der Hamburgischen Bürgerschaft und vertritt den Bezirk, in dem Mahmoudi gelebt hat. Er  rechtfertigt die Abschiebung Mahmoudis mit Verweis auf dessen Vorstrafenregister. Dies könne sich ein Rechtsstaat nicht bieten lassen. Andererseits lebten viele Afghanen in Hamburg seit über einem Jahrzehnt mit einem Abschiebebescheid. Solange diese keine Straftaten begingen, würden sie nicht nach Afghanistan abgeschoben, eine Praxis, die der SPD-Politiker richtig findet. Wie er gegenüber der DW sagte, hätten die Hamburger Behörden von einer psychischen Erkrankung des jungen Mannes nichts gewusst.

Mitarbeit: Waslat Hasrat-Nazimi