1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Bernd Posselt im Interview

5. Januar 2011

Die EU pflegt eine Partnerschaft mit Russland, zugleich gibt es dort Verhaftungen von Demonstranten und politisch motivierte Prozesse. DW-WORLD.DE sprach darüber mit dem EU-Abgeordneten Bernd Posselt.

https://p.dw.com/p/ztKt
Bernd Posselt (Foto: bernd-posselt.de)
Im Europa-Parlament in Straßburg: Bernd PosseltBild: bernd-posselt.de

DW-WORLD.DE: Herr Posselt, die Meldungen aus Russland vermitteln ein düsteres Bild. Politisch motivierte Prozesse, keine Demonstrationsfreiheit, eine kontrollierte Medienöffentlichkeit und entrechtete Arbeitsemigranten. Was für eine Russlandpolitik, Herr Posselt, erwarten Sie unter solchen Umständen von der Europäischen Union?

Bernd Posselt: Eine wesentlich klarere, eine wesentlich realistischere. Denn wir müssen an Russland Maßstäbe ansetzen, die nicht vergleichbar sind mit jenen, die man etwa an China oder an afrikanischen Staaten anwendet. Russland ist Mitglied des Europarates, hat die Menschenrechtskonventionen unterzeichnet, gehört der OSZE an, ist ein privilegierter Partner der EU. Das heißt, Russland hat sich selbst zu höchstmöglichen Menschenstandards verpflichtet, und die muss es auch einhalten.

Geben Sie uns ein Beispiel. Was muss als nächstes passieren?

Also, das Entscheidende ist zunächst einmal, dass diese Willkürherrschaft von Herrn Putin aufhört, die erst jetzt sehr sichtbar geworden ist. Dieses ganze Chodorkowski-Verfahren war doch nichts anderes als der weitere Versuch, einen potenziellen Konkurrenten oder auch Unterstützer von Konkurrenten bei der nächsten russischen Präsidentenwahl auszuschalten, bei der Herr Putin ein Comeback plant. Da bin ich sehr klar. Und da wird alles getan, um unliebsame Leute hinter Schloss und Riegel zu schaffen, um unabhängige Medien, so lang es sie noch gibt, mundtot zu machen. Das ist mehr als die übliche Manipulation, das ist ein Weg zurück zur Diktatur.

EU-Vertreter wie die Außenbeauftragte Catherine Asthon oder Ratspräsident Herman van Rompuy sprechen immer wieder von einer strategischen Partnerschaft mit Russland. Was steckt hinter diesen Floskeln?

Natürlich ist Russland ein strategischer Partner. Es ist unser unmittelbarer Nachbar in Eurasien. Es ist eine große und wichtige Macht, politisch und wirtschaftlich, vor allem energiepolitisch. Da steckt natürlich eine Menge dahinter. Deshalb ist die EU auch entschlossen, ihre Energiepolitik und ihre Energieaußenpolitik auszubauen, um weniger abhängig von anderen, unter anderem von Russland, zu werden. Aber strategische Interessen kann man nicht verfolgen, ohne auf saubere Menschenrechtsstandards zu achten, zu denen sich noch dazu, wie gesagt, Russland dann selbst verpflichtet hat. Lady Asthon ist da leider sehr schwach. Sie heißt ja bei uns im Europäischen Parlament schon "Lady Absent", weil sie nie da ist, weil sie nichts tut. Van Rompuy ist da schon etwas solider. Aber wir als Europa-Parlament haben auch schon bereits im Dezember in einer Entschließung sehr klar gesagt, dass wir eine andere Politik gegenüber Russland fordern, von Rat und Kommission wesentlich strengere Maßstäbe. Und für den Fall, dass sie nicht eingehalten werden, auch schon Maßnahmen bis dahin, dass man darüber nachdenkt, dass einzelne Persönlichkeiten auf dem Gebiet der EU für unerwünscht erklärt werden. Da gab es schon Opposition, nicht zuletzt auch von Deutschland, aber ich habe zu der Mehrheit gehört und war ein Rädelsführer der Mehrheit, die für eine klarere Linie eingetreten ist.

Zunächst kommt die EU ja Russland entgegen. Beim EU-Russlandrat im Dezember hat die EU dem Beitritt von Russland zur Welthandelsorganisation WTO zugestimmt. Bekommt die EU dafür auch politisch etwas zurück?

Also zunächst einmal muss man sagen, der Beitritt Russlands zur Welthandelsorganisation ist in beiderseitigem Interesse, weil man hier einfach gemeinsame Regeln zwischen zwei wesentlichen Partnern des Welthandels hat. Das ist eine Sache, von der ich glaube, dass sie vernünftig ist. Nur erwarten wir auch, dass Russland auch seine selbstauferlegten Verpflichtungen einhält. Davon kann aber nicht die Rede sein, und deshalb muss endlich eine deutlichere Sprache gesprochen werden, damit manche Leute das in Moskau verstehen. Denn das, was jetzt stattgefunden hat, zum Beispiel mit der Verhaftung von Herrn Njemzov, ist absolut inakzeptabel. Dies ist nicht ein etwas raueres Verständnis von Rechtsstaatlichkeit, sondern das ist die Nicht-Existenz von Rechtsstaatlichkeit in ihren elementaren Funktionen wie Demonstrationsfreiheit und Medienfreiheit.

Russland ist ja schon seit 1996 Mitglied im Europarat, trägt also quasi das Gütesiegel der Demokratie. War diese Aufnahme aus heutiger Sicht verfrüht?

Ich habe sie damals scharf kritisiert, und sie war auch verfrüht. Auf der anderen Seite würde ich sagen, wenn man es nicht als Gütesiegel missversteht, sondern als Herausforderung, an der man jemanden prüfen kann, kann es auch hilfreich sein. Wir haben das gesehen zum Beispiel im Fall von Tschetschenien. Ich kenne viele, viele tschetschenische Familien oder auch andere Familien in Russland, die nur dadurch etwas gegen die Willkür-Justiz dort unternehmen konnten, indem sie sich doch erfolgreich an den Menschengerichtshof in Straßburg gewandt haben. Also, es gibt da doch noch eine Instanz, die zuweilen positiv wirken kann und die schwachen rechtsstaatlichen Elemente in Russland stärken kann. Aber das würde noch effizienter, wenn man das nicht nur den Richtern und dem Europarat, der eine gute Rolle spielt, überlassen würde und dem Europaparlament, das eine sehr klare Menschenrechtshaltung hat. Wichtig wäre, wenn hier auch Rat und Kommission der EU endlich eine deutliche Sprache sprechen würden. Solange man da nur mit geteilten Rollen operiert und sagt, für Menschenrechte sind Parlamentarier zuständig, und die Macht- und Interessenpolitik machen Rat und Kommission, wird man in Russland als EU nicht ernst genommen.

Das Interview führte Günther Birkenstock

Redaktion: Gero Rueter