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Gesellschaft

Das Dorf der Lotto-Millionäre

Reiner Wandler
22. Dezember 2016

Kein Christbaumschmuck lässt das Herz der Spanier so hoch schlagen wie die Weihnachtslotterie. Immer am 22. Dezember wird der Hauptpreis "El Gordo" gezogen. Reiner Wandler hat ein Dorf besucht, das so 2011 reich wurde.

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Spanien Weihnachtslotterie El Gordo Sodeto
Unscheinbar: Sodeto - das Dorf der Lotto-MillionäreBild: Reiner Wandler

Wer nach Luxusautos und Prunkvillen fragt, erntet im 250-Seelen-Dorf Sodeto verständnislose Blicke. "Wenn in der Stadt die Menschen in der Lotterie gewinnen, würden sie wohl in große Wohnungen, in Autos, in Luxus investieren", erklärt Ramón Paban. "Hier auf dem Land ist das anders." Der 23-Jährige trinkt einen Kaffee und isst ein belegtes Brötchen in der Kneipe auf dem Platz in Sodeto.

Als "Millionärsdorf" ist der Ort zwischen Saragossa und Huesca bekannt, seit 2011 der "El Gordo" - zu Deutsch: "der Dicke" - das Dorf beglückte. "El Gordo" ist der Hauptgewinn der weltgrößten Lotterie, der spanischen Weihnachtsauslosung. 720 Millionen Euro sind es, davon landeten in Sodeto 2011 mehr als 100 Millionen. Den genauen Betrag kann oder will keiner verraten.

"Luxushotel" für Kälber und Schweine

Spanien Weihnachtslotterie El Gordo Ramon Paba
Ramón Paban hat auch dieses Jahr ein Los der Weihnachtslotterie gekauftBild: Reiner Wandler

Alle Familien hatten mindestens ein Los und gewannen damit mindestens 100.000 Euro. Wie viel es bei der Familie Paban war, verrät Ramón nicht. "Wir haben in unsere Landwirtschaft investiert", sagt er. Sein Vater zahlte die Kredite, die er bei der Bank hatte, ab und errichtete eine riesige Halle, in der 80 Kälber stehen und 2000 Schweine gemästet werden. "So eine Art Luxushotel", grinst Ramón. Die Tiere kommen von großen Unternehmen. Ramón und sein Vater ziehen sie auf, bis sie abgeholt werden. Zuvor bauten sie nur Mais an. Das ist alles, was sich bei den Pabans seit dem großen Gewinn verändert hat.

Auch Rosa Pons kann sich noch gut an jenen 22. Dezember 2011 erinnern, als die Nummer 58.268 gezogen wurde. "Wir, das heißt der örtliche Hausfrauenverein, hatten die Lose verkauft", berichtet die 57-jährige Sozialarbeiterin, die bis 2015 Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde war, zu der Sodeto gehört. "Als wir auf dem Platz feierten, war einer der ersten, den ich sah, der Vorsitzende des Bewässerungsvereins. Er sagte: 'Jetzt können wir die Raten für die neue Anlagen bezahlen.'" Ein neues computergesteuertes Bewässerungssystem war kurz zuvor in Betrieb gegangen. Alle Landwirte waren hochverschuldet - und das in Zeiten der Wirtschaftskrise.

Investition in kleine Freuden

Spanien Weihnachtslotterie El Gordo Rosa Pons
Rosa Pons: "Plötzlich kamen allerlei Vertreter, die uns ihre Waren verkaufen wollten"Bild: Reiner Wandler

Über Nacht brach das Chaos herein. Presse und Fernsehen belagerten wochenlang den Platz. "Auf dem Dorf klingelst Du beim Nachbarn und gehst einfach hinein", erklärt Pons. "Die Türen sind nicht abgeschlossen. Damals kamen plötzlich allerlei Vertreter, die uns ihre Waren verkaufen wollten. Wir fingen an, die Türen abzuschließen." Doch das ist lange her. Jetzt stecken die Schlüssel wieder von außen; die Türen sind offen.

"Luxus? Wenig", sagt Pons. "Ich habe mit einigen Freundinnen eine Kreuzfahrt entlang der norwegischen Küste gebucht, andere haben Möbel gekauft oder ihr Haus renoviert." Der Unterschied: "Vorher kauftest Du dir das billige Sofa - und jetzt das, das dir am besten gefällt." Das Auto etwas größer als das alte, aber ohne zu übertreiben, eine etwas zu großer Fernsehapparat, etwas teureres Spielzeug für die Enkel. Es sind diese kleine Freunden, die sich die Menschen in Sodeto dank der Lotterie gönnten.

Junge Dorfbewohner haben wieder eine Perspektive

Spanien Weihnachtslotterie El Gordo Luis Sanchez
Luis Sánchez präsentiert stolz die computergesteuerte Bewässerungsanlage des DorfesBild: Reiner Wandler

"Mit der Bewässerungsanlage haben wir jetzt zwei Ernten pro Jahr", freut sich Luis Sánchez. Der sportliche Mittfünfziger, der einst in der dritten spanischen Liga kickte, baut Gerste und Mais an. Mit dem Lottogewinn - 200.000 Euro seien es in seinem Fall gewesen - habe er ebenfalls in seinen Betrieb investiert. "Schuldenfrei zu sein, ist ein gutes Gefühl", sagt er. "Außerdem hab ich meinen beiden Töchter unter die Arme gegriffen." Eine der beiden ist im Dorf geblieben, hat einen Landwirt geheiratet. "Ohne den Lotteriegewinn wären wohl beide weg", ist Sánchez sicher. "Die jungen Menschen sehen plötzlich wieder eine Perspektive in der Landwirtschaft." Vor allem jetzt, wo in Spanien die Arbeitslosigkeit durch die Krise so gestiegen ist, ist ein schuldenfreier Betrieb mehr als interessant.

Spanien Weihnachtslotterie El Gordo Gabriel Penella
Bürgermeister Gabriel Penella ist stolz auf das Neubaugebiet, in dem sich junge Familien angesiedelt habenBild: Reiner Wandler

Unten am Dorfrand steht eine Reihe neuer Häuser. "Sodeto Beverly" nennen sie die Straße im Volksmund. "Hier haben junge Familien ihre Heim gebaut", sagt der 26-jährige Bürgermeister Gabriel Penella zufrieden. Ohne Lotteriegewinn wäre das nicht möglich gewesen. "Alle jungen Leute gingen früher nach Huesca, Saragossa oder noch weiter weg auf der Suche nach Arbeit." Erstmals seit 20 Jahren leben wieder Kleinkinder im Dorf.

Der Grieche ohne Los

Nur einer in Sodeto hat an dem neuen Reichtum nicht teil: Costis Mitsotakis hat damals kein Los gekauft. Der Hausfrauenverein hat bei ihm nicht angeklingelt, da er ein altes Haus außerhalb des Dorfes bewohnt, das er wieder hergerichtet hat. Mitsotakis ist Filmemacher und arbeitet an einem Film über Sodeto, die Lotterie und darüber, was der Gewinn für das Leben der Menschen bedeutet.

"Als Außenstehender nehme ich Dinge wahr, die den Menschen hier gar nicht so auffallen", sagt der 47-jährige Grieche. Er ist 2006 ins Dorf gekommen und bescheinigt den Dorfbewohnern, "auf dem Boden geblieben" zu sein. "Allerdings hat sich die Mentalität verändert", sagt Mitsotakis. "Vor dem Lotteriegewinn haben die Menschen hier alles geteilt. Jetzt heißt es eher: Das ist meins, das ist deins." Wer einen größere Traktor hat, verlieh den früher schon mal an den Nachbarn. Jetzt nicht mehr. "Schließlich kann er sich ja auch einen kaufen, oder?"

Mentalität hat sich geändert

Spanien Weihnachtslotterie El Gordo Costis Mitsotakis
Filmemacher Costis Mitsotakis ist leer ausgegangen - und arbeitet an einem Film über den Geldsegen, der das Dorf verändert hatBild: Reiner Wandler

Dann wird er soziologisch: Sodeto sei im Rahmen von landwirtschaftlichen Siedlungsprojekten zu Zeiten der Franco-Diktatur in den 1950er Jahren gegründet worden. "Hier gibt es zwei Sorten von Siedlern", berichtet Mitsotakis. Die einen kamen aus den nahegelegenen Pyrenäen, meist wurden sie umgesiedelt, weil ihr Dorf in einem neu errichteten Stausee versunken war. "Die hatten etwas Geld und Vieh." Die anderen waren arme Landarbeiter, die sich alles hart erarbeiten mussten. "Seit dem Lotteriegewinn gibt es diesen Unterschied nicht mehr", sagt Mitsotakis, "jetzt haben alle den gleichen Reichtum. Das stört so manchen."

Dass er damals kein Los hatte, ist längst kein Thema mehr für Mitsotakis. Er ist sich nicht einmal sicher, ob er eines gekauft hätte, wäre es ihm angeboten worden. "Ich habe nie gespielt", sagt er. "Ich bin kein Spanier, ich kann mit all dieser Lotteriebegeisterung nichts anfangen." Auch dieses Jahr hat er keine Lose gekauft.