1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Solidarisch die Krise meistern

5. März 2012

Die Einschnitte in Griechenland sind hart. Für Kultur bleibt kaum Geld. Doch statt aufzugeben, schließen sich die Kulturschaffenden zusammen. Gerade im Theater hat kollektive Arbeit Konjunktur.

https://p.dw.com/p/14FJL
Griechenland, Kultur in der Krise: Blitztheater. http://www.theblitz.gr Szenenbild aus 'Galaxy'. Copyright: die Verwendung der Bilder von der Facebook Seite der Theatergruppe erfolgt durch eine mündliche Zusage gegenüber der DW Redakteurin Andrea Kasiske!!! Einstelldatum: 05.03.2012
Ein Szenenbild aus einer Aufführung von BlitzBild: Blitztheater

Seitdem er denken könne, sei Griechenland in der Krise, sagt der 70-jährige Nicos Flessas, Dramaturg und Schauspieler beim Athener Blitz-Theaterkollektiv. Aufgeben? Auswandern,  wie so viele? Nein, jetzt gerade nicht, das ist auch die Haltung der Gründungsmitglieder von Blitz, Christos  Passalis, Aggeliki Papoulia und Giorgos Valais. Seit 2004 arbeiten die drei zusammen, mit einem festen Stamm von Theaterleuten wie Nicos. Der ist von Anfang an dabei. Ein Theaterkollektiv, das gleichberechtigt Regie führt, das war vor acht Jahren in Athen eine kleine Revolution. Wer ist denn nun der Regisseur? Eine Frage, die sie damals mehr als einmal zu hören bekamen.

Inzwischen ist das anders. Die Krise bringt die Leute überall, auch im Kulturbetrieb, zusammen. Eine neue Solidarität, die in der griechischen Mentalität wenig verankert ist, wie Christos Passalis vom “Blitz-Kollektiv" meint. Seine Generation, die der 30- bis 40-Jährigen,  wurde lange Zeit nicht ernst genommen, eine Art "Gerontokratie“ dominierte über Jahrzehnte die Institutionen, den Theater- und Kunstbetrieb. Einen Regisseur konnte man sich eigentlich nicht ohne weißen Bart vorstellen, sagt Christos. Das hat sich geändert, doch jetzt, da die jüngeren Leute Anerkennung finden könnten, haben sich die Produktionsbedingungen nicht nur am Theater ungleich verschärft.

Knapp drei Millionen Euro, so hat die Regierung gerade verkündet, sollen für die gesamte "freie Szene" zur Verfügung stehen. Doch ob das Geld wirklich da ist, weiß keiner.

Aufwändige Theaterproduktionen sind unmöglich

Das “Blitz-Kollektiv“ hat das letzte Mal 2009 Subventionen bekommen, seitdem arbeiten sie ohne Zuschuss. Das Geld kommt über die Auftritte in die Kasse - und über andere Jobs wie  z.B. Filmdrehs. Für ihre neue Produktion "Don Quichote" proben sie in einem ehemaligen Büro, das sie kostenlos von einem Freund zur Verfügung gestellt bekommen haben. Ein Monolog ist dieser Don Quichote, eine Reise ins Innenleben der Figur, eine Art szenisches "Roadmovie“, das sie am liebsten in einem Kaufhaus spielen würden. Ungewöhnliche Auftrittsorte sind für die Theatermacher nichts Neues. Sie suchen die Nähe zum Publikum, haben in Privaträumen, Museen und auf der Straße gespielt, oft im Grenzbereich zwischen Theater und  Wirklichkeit.

Die jüngste Produktion "Galaxy" war im Athener Benaki-Museum zu sehen. Eine szenische Improvisation über prominente und unbekannte Tote und über Dinge, die es nicht mehr gibt. Jeder Schauspieler entscheidet dabei selbst, über wen oder was er berichten will - von Janis Joplin, Sophokles über Pina Bausch bis zur Atombombe und der von der EU verbannten Glühbirne. Ein Kosmos kollektiver, kultureller Erinnerungen und - auch das ist zurzeit wichtig - eine kostengünstige Inszenierung! Sechs Schauspieler und einige Zettel, mehr brauchen die Theaterleute nicht. Jetzt erarbeiten sie an der Berliner Schaubühne eine deutsche Fassung von Galaxy. Der Kontakt zum Chef der Schaubühne, Thomas Ostermeier, entstand zufällig, vergangenes Jahr auf einer Demonstration in Athen.

Griechenland, Kultur in der Krise: Blitztheater. http://www.theblitz.gr Copyright: die Verwendung der Bilder von der Facebook Seite der Theatergruppe erfolgt durch eine mündliche Zusage gegenüber der DW Redakteurin Andrea Kasiske!!! Einstelldatum: 05.03.2012
Blitztheater, Szenenbild aus "Guns! Guns! Guns!"Bild: Blitztheater

Die griechische Kultur war isoliert

Die Krise, speziell das deutsch-griechische Verhältnis, beschert dem Blitz-Kollektiv gerade eine besondere Aufmerksamkeit. Vor kurzem präsentierte es seine Arbeit in Berlin, im Rahmen der Veranstaltung “Krisen-fest“. Etwa 300 Leute kamen, um sich über die Situation der Theaterschaffenden in Griechenland, zu informieren, um sich mit den grassierenden Vorurteilen in beiden Ländern auseinanderzusetzen. Eine etwas paradoxe Situation, denn als "Vertreter" ihres Landes  fühlen sich die Blitz-Mitglieder wahrlich nicht. Jede Art von gerade wieder erstarkendem Nationalismus ist ihnen zuwider. Gleichzeitig wissen sie, dass ihnen die Krise mehr Tourneen in Europa ermöglicht als zuvor.

Lange Zeit habe es eine gewisse Isolation in Griechenland gegeben, in Bezug auf aktuelle Strömungen der Kulturszene in anderen Ländern , beklagt Christos. Europa war außerhalb Griechenlands. Nicht zuletzt sprechen selbst die jungen Leute immer noch davon, nach Europa zu gehen, wenn sie sich nach Frankreich oder Deutschland aufmachen.

"Porsche, blonde Frauen und Heroin"

Natürlich wünschen sich die Theatermacher vom Blitz-Kollektiv eine Kulturförderung wie sie in anderen EU-Staaten, nicht zuletzt in Deutschland, üblich ist. Doch sie rechnen erst mal nicht damit. Sie hätten schon vor Jahren die politischen Verhältnisse, die Korruption, das Wegsehen in ihren Stücken thematisiert, lange bevor das Mode wurde, sagen Christos und Giorgos. Jetzt, schimpfen alle über die Politiker und tun so, als ob keiner etwas gewusst hätte. Ihr Ärger über die politische Klasse, aber auch über den Lifestyle der 90er,  “Porsche, blonde Frauen und Heroin“, ist deutlich. Momentan in den allgemeinen Kanon des Protests einzustimmen, das sei ihnen zu billig. Für sie geht es konkret darum, ihre Produktionsbedingungen zu verbessern.

Griechenland, Kultur in der Krise: Blitztheater. http://www.theblitz.gr Copyright: die Verwendung der Bilder von der Facebook Seite der Theatergruppe erfolgt durch eine mündliche Zusage gegenüber der DW Redakteurin Andrea Kasiske!!! Einstelldatum: 05.03.2012
Blitztheater, Szenenbild aus "Faust"Bild: Blitztheater

Und damit stehen sie nicht allein. Im vergangenen Jahr hat sich eine neue Theaterbewegung gegründet: Die Gruppe Kinisi-Mavili hat im November ein leerstehendes Theater, das Embros, besetzt. Hintergrund war, dass es keine Orte in Athen gab für experimentelles Theater, für Produktionen, die nicht die Kassen füllen. Die Gruppen mussten für ihre Aufführungen die Gebäude, meist in Privatbesitz, mieten. Das führte zu einem finanziellen Druck, der neue Formen von Ästhetik, von Ausprobieren verhindert.

Freiwillig gehen wir hier nicht raus

Die Mavili-Theateraktivisten haben mit der Besetzung des Embros-Theaters genau diese Lücke gefüllt. Die Resonanz  auf ihr zwölftägiges Festival Ende 2011 war überwältigend. Theatergruppen, Performances, Tanz, Diskussionen, Kundgebungen, alles ohne Eintritt, nur mit Besucherspenden. Auch das Blitzkollektiv war mit einer öffentlichen Probe von Don Quichote dabei. Sie sind jetzt Teil des Mavili-Netzwerkes, in dem es nicht nur um praktische gegenseitige Hilfe, sondern auch um grundlegende Fragen geht.

Wie kann Theater heute aussehen, welche Themen, welche Formen braucht es? Ob das Embros als Produktionsstätte ausgebaut werden kann, ist offen. Es ist im Staatsbesitz und soll wie viele andere Gebäude verkauft werden, um die Staatsschulden zu minimieren. Das Kulturministerium weiß, dass wir so einen Ort dringend brauchen, und freiwillig gehen wir hier nicht raus, sagt Anestis, Regisseur und einer der acht Aktivisten von Mavili.

Szene in Bewegung

Die Krise hat, auch wenn das zynisch klingen mag,  Bewegung in die Kulturszene Athens gebracht. Es sind neue “alte“ Werte wie Solidarität, praktische Zusammenarbeit und eine grundlegende Kulturkritik , die zunehmend wichtig werden. Werte, die das Blitz-Kollektiv seit seiner Gründung für sich in Anspruch genommen hat und die jetzt  in eine breite gesellschaftliche Bewegung münden. Zwar aus der Not heraus, aber immerhin.

Autorin: Andrea Kasiske
Redaktion: Birgit Görtz