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Politik

Solingen: Türkei-Wahlkampf unerwünscht

Daniel Heinrich
24. April 2018

Der türkische Außenminister will im Mai zur Gedenkveranstaltung des Brandanschlags von Solingen kommen. Deutsche Politiker sind skeptisch: Der Termin fällt mitten in den Wahlkampf um das Präsidentenamt in der Türkei.

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Türkei Mevlut Cavusoglu in Canakkale
Bild: picture-alliance/abaca/C. Ozdel

Über eine Tatsache müsste sich der türkische Außenminister, Mevlüt Çavuşoğlu, spätestens jetzt im Klaren sein: So schnell und so parteiübergreifend wie er, lässt wohl kaum ein zweiter ausländischer Amtsträger deutsche Politiker zu den Mikrofonen stürzen.

Çavuşoğlu hatte angekündigt, am 29. Mai an den Gedenkfeierlichkeiten des Brandanschlags in Solingen vor 25 Jahren teilzunehmen. Bei dem rassistisch-motivierten Attentat auf eine türkische Großfamilie waren 1993 zwei Frauen und drei Mädchen gestorben.

Deutsche Politiker befürchten Instrumentalisierung

Schon kurz nach der Ankündigung des türkischen Spitzenpolitikers äußerte Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU Fraktion im Deutschen Bundestag, gegenüber der Deutschen Welle seine Skepsis: "Die Stadt Solingen hat für den 29. Mai eine würdige, nachdenkliche Form des Gedenkens vorgesehen. Es wäre sehr schade, wenn das Ereignis von innertürkischen Auseinandersetzungen überschattet und der Frieden des Augenblicks gestört würde. Ich appelliere an alle Beteiligten, auch an die Vertreter der türkischen Regierung, in diesem Geiste dort aufzutreten. Für türkischen Wahlkampf ist am 29. Mai in Solingen kein Platz."

Hardt ist bei Weitem nicht der einzige, der den bevorstehenden Besuch des AKP-Politikers Çavuşoğlu kritisch sieht. Auch der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff ist skeptisch. Im Gespräch mit der DW fordert er von der Bundesregierung eine klare Haltung in Richtung Ankara: "Es braucht eine ganz klare Ansage der Bundesregierung. Gemeinsames Gedenken, Kampf gegen Rassismus: Jederzeit. Aber Wahlkampf für die türkische Regierung auf deutschem Boden: Das darf es nicht geben."

Hintergrund der Bedenken im politischen Berlin ist die derzeitige Lage in der Türkei: In der vergangenen Woche hatte Präsident Recep Tayyip Erdoğan bekanntgegeben, dass die Präsidentschaftswahlen im Land um eineinhalb Jahre, vom November 2019 auf den 24. Juni 2018, vorverlegt werden.

Türkei Erdogan kündigt Neuwahlen an
Drückt aufs Tempo: Präsident Erdogan hat angekündigt, die Präsidentschaftswahlen um eineinhalb Jahre vorzuverlegenBild: Reuters/M. Cetinmuhurdar

 

Dilemma für deutsche Politiker

Yaşar Aydın arbeitet an der Evangelischen Hochschule in Hamburg. Angesichts des angekündigten Besuchs des türkischen Außenministers sieht der Soziologe die deutsche Politik im Gespräch mit der DW in einem Dilemma. "Einerseits fände ich es nicht richtig, Mevlüt Çavuşoğlu von der Trauerfeier auszuladen. Das würde in den Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland noch mehr Glas zerbrechen." Andererseits habe er für die Skepsis im politischen Berlin Verständnis: "In der Türkei findet seit einigen Jahren ein Demokratieabbau statt. Das Land entfernt sich immer mehr von westlichen Werten, Menschenrechtsverletzungen nehmen zu. Deutsche Politiker sind auch deswegen gegen Auftritte türkischer Entscheidungsträger in Deutschland. Sie möchten sich nicht vorwerfen lassen, Wahlunterstützung für die türkische Regierung zu leisten."

Die Aussagen Aydıns beziehen sich auch auf das vergangene Jahr. Im April 2017 wurde in der Türkei ein umstrittenes Referendum über die zukünftige Verfassung des Landes abgehalten. Im Vorfeld des Referendums war ein erbitterter Streit über Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in Deutschland entbrannt. Die verbalen Scharmützel zwischen Ankara und Berlin hatten wochenlang die Schlagzeilen bestimmt. Auch Mevlüt Çavuşoğlu selbst hatte im März 2017 einen Besuch im türkischen Generalkonsulat in Hamburg für einen umstrittenen Wahlkampfauftritt genutzt.

Deutschland türkischer Außenminister Mevlüt Cavusoglu in Hamburg
Umstrittener Auftritt: Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu bei seiner Rede in Hamburg im März 2017Bild: picture-alliance/Anadolu Agency/Turkish Foreign Ministry/A. Gumus

Die Folge der politischen Dauerkrise zwischen den beiden Staaten: Im Juni 2017 verhängte das Auswärtige Amt in Berlin ein Auftrittsverbot für alle ausländischen Amtsträger in Deutschland drei Monate vor einer Wahl oder Abstimmung in ihrem eigenen Land.

Appell an die Vernunft

Den Besuch in Solingen könnte Çavuşoğlu nun nutzen, um diese Regelung zu umgehen. Cem Özdemir, Außenpolitiker der Grünen, appelliert im Gespräch mit der DW an die Vernunft des türkischen Außenministers: "Ich hoffe, dass sich Mevlüt Çavuşoğlu bewusst ist, wo er sich an diesem Tag befindet und was der Grund für das Zusammenkommen ist. Er sollte diese Trauerfeier nicht als Wahlkampfauftritt nutzen." Ähnlich äußert sich auch Rolf Mützenich, Außenexperte der SPD, gegenüber der DW: "Ich gehe davon aus, dass der türkische Außenminister aus Pietät das Gedenken an die Opfer und die Folgen des Brandanschlags bei seinem Besuch bedenkt. Dann befürchte ich keine weiteren Belastungen für die deutsch-türkischen Beziehungen."

Türkei Experte Yasar Aydin
Türkei Experte Yaşar AydınBild: D. Heinrich

Der Soziologe Yaşar Aydın hält diese Sichtweise allerdings für ein wenig naiv. Er glaubt nicht, dass der türkische Außenminister in Solingen als einfacher Trauergast wahrgenommen wird. "Selbst wenn Çavuşoğlu als trauernder Mensch teilnimmt, wird er dort als Politiker gesehen. Das eine kann man vom anderen nicht trennen. Selbst wenn er überhaupt nicht auf die Wahlen in der Türkei eingehen würde, wird es ein Wahlauftritt sein."

In der Tat erscheint der Besuch des AKP-Politikers Çavuşoğlu in Deutschland wie eine Win-Win Situation für seine Partei und Präsident Erdoğan: 1,4 Millionen wahlberechtigte Türken gibt es in Deutschland. Aller Voraussicht nach können diese schon in der ersten Juni-Hälfte ihre Stimme für die Präsidentschaftswahlen abgeben. Öffentlichkeitswirksamer als der Auftritt des türkischen Außenministers und Erdoğan-Vertrauten Çavuşoğlu in Solingen wird kaum ein anderer Besuch eines türkischen Politikers ausfallen. Egal ob mit oder ohne Wahlkampfrede.