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Sorabistik

1. August 2010

Klein, fein und selten. Wer Sorabistik studiert, hat beste Zukunfts-Chancen, denn Sorbisch-Lehrer werden im Osten Deutschlands gesucht. Besonders für Slawisten ist die Sprache kein Problem.

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Jakub Sokol studiert Sorabistik in Leipzig (Foto: DW / Mark Michel)
"Guten Tag!" - Jakub Sokol studiert Sorabistik in LeipzigBild: Mark Michel

Die Zahl der Studierenden ist übersichtlich. Nur ganze fünf Studierende sitzen um 9 Uhr morgens in einem kleinen Seminarraum der Universität Leipzig. Sie lernen hier Sorbisch, eine westslawische Sprache. Einer von ihnen ist der polnische Student Jakub Sokol. Für ein Jahr studiert er als Stipendiat in Leipzig Sorabistik, das Studium der sorbischen Kultur und Sprache und eines der seltensten Studienfächer der Welt. "Das war für mich eine große Überraschung, als ich erfahren habe, dass die Sorben in Deutschland noch existieren", erzählt der 24-jährige Politikwissenschaftler. Die Sorben, so sagt er, seien seine Brüder und Schwestern, denn sie seien ebenso wie die Polen ein westslawisches Volk.

Paradiesische Zustände

In Deutschland sind die Sorben eine anerkannte nationale Minderheit. Ihre Heimat ist die Lausitz im nordöstlichsten Zipfel Deutschlands. Jakub Sokol schwärmt von der familiären Atmosphäre am Institut. "Man kennt sich und die Mitstudenten, die Lehrkräfte sind sehr freundlich, und man hilft sich untereinander."

Sorabistik-Seminar in Leipzig (Foto: DW / Mark Michel)
Familiäre Atmosphäre im Grammatik-UnterrichtBild: Mark Michel

Im Fach Sorabistik sind gerade einmal 30 Studierende eingeschrieben und das in allen Studienjahrgängen. Die meisten von ihnen sind selbst gebürtige Sorben und studieren hier an der Universität Leipzig auf Lehramt, denn in der Lausitz mangelt es an Sorbisch-Lehrern.

Ein Abschluss im Lehramtsstudium Sorabistik kommt einem Arbeitsvertrag gleich. Das Land Sachsen gibt allen Lehramtsabsolventen der Sorabistik die Garantie, sofort in den Schuldienst übernommen zu werden. Ein fast paradiesischer Zustand in Zeiten der Unsicherheit und Krise.

Leipzig und die Sorabistik

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Studiengang Sorabistik zu DDR-Zeiten an der Leipziger Universität eingerichtet. Weil Sorbisch, die Sprache der bis dahin unterdrückten Minderheit, erstmals den Status einer Amtssprache bekam, wurde die Sprache auch an den Schulen gelehrt. Das bedeutete, man brauchte Lehrer. "Die Universität Leipzig war traditionell den Geisteswissenschaften zugetan, in Dresden war man eher technisch orientiert", begründet Professor Eduard Werner vom Institut für Sorabistik, warum das Institut in Leipzig angesiedelt wurde.

Die Sorben als nationale Minderheit

Studierende im Grammatik-Unterricht am Institut für Sorabistik in Leipzig (Foto: DW / Mark Michel)
Sorbisch lernen macht Spaß - und ist gar nicht so schwer!Bild: Mark Michel

Jakub Sokol interessiert sich für die kleine westslawische Minderheit mit dem Blick eines Politologen. Später will er über die Sorben seine Abschlussarbeit schreiben, denn er ist fasziniert von der Reichhaltigkeit der sorbischen Kultur, den Bräuchen, der Sprache und der sorbischen Identität. "Und mich interessiert der Glaube, denn der größte Teil der heute lebenden Sorben sind ja Katholiken. Und das fordert auch einen großen Zusammenhalt unter den Leuten."

Das kann Professor Eduard Werner bestätigen. Wer eine Minderheitensprache lerne, sei innerhalb der Minderheit schnell integriert. "Wenn man etwas französisch spricht, merkt jeder in Frankreich sofort, dass man kein Franzose ist. Wenn man aber in Deutschland sorbisch spricht, wird man gleich für einen Sorben gehalten, egal wie schlecht man spricht." Nicht immer ist das von Vorteil, denn oft herrscht gegenüber den Sorben so etwas wie "Ausländerfeindlichkeit". Aber, so meint Werner, genau das stärke auch den Zusammenhalt unter den Sorben.

Eine Sprachfamilie

Marianna Koliova aus der Slowakei studiert Sorabistik in Leipzig (Foto: DW / Mark Michel)
"Auf Wiedersehen!" - Marianna Koliova aus der SlowakeiBild: Mark Michel

Marianna Koliova, die im Grammatik-Kurs neben Jakub sitzt, studiert im slowakischen Bratislava Germanistik und Slowakisch. Sorbisch ist eine Sprache, die dem Slowakischen wie auch dem Polnischen sehr ähnlich ist. "Eigentlich kann das jeder Slowake verstehen, da es beides westslawische Sprachen sind."

Doch Sorabistik sei nicht ein rein sprachwissenschaftlicher Studiengang, wie manche vermuteten, erklärt Dozent Dr. Heinz Richter, bei dem Marianna und Jakub lernen. Sorabistik, so sagt Richter, sei ein ganz normales Philologie-Studium, wie alle anderen auch. "Die Studenten haben Sprachwissenschaft, Literaturwissenschaft, aber auch Kulturwissenschaft, und sie müssen natürlich die Sprache lernen, wie Germanisten auch Deutsch können müssen."

Wobei "Kulturwissenschaft" mehr bedeutet als nur Lieder und Tänze, mit denen die Sorben immer unweigerlich in Verbindung gebracht werden. Bei fünf Studierenden bleibt Zeit genug, alle Bereiche der Sorabistik ausführlich zu behandeln und sich intensiv um jeden Studierenden zu kümmern. Marianna Koliova und Jakub Sokol wissen das zu schätzen.


Autor: Mark Michel
Redaktion: Gaby Reucher