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Furchtloses Engagement für Menschenrechte im Iran

Shabnam von Hein
9. Oktober 2020

Die inhaftierte iranische Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotoudeh gehört zu den diesjährigen Preisträgern des Alternativen Nobelpreises. Die DW sprach mit ihrem Ehemann Reza Khandan, der in Teheran lebt, über ihre Lage.

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Nasrin Sotoudeh in einer Filmszene von den iranischen Regisseurs Jafar Panahi. Beide wurden 2012 mit dem Sacharow Preis geehrt
Nasrin Sotoudeh in einer Szene des Films "Taxi Teheran" des iranischen Regisseurs Jafar Panahi - beide wurden 2012 mit dem Sacharow Preis geehrtBild: picture-alliance/dpa/Weltkino Filmverleih

DW: Herr Khandan, Sie haben am 25. September in sozialen Netzwerken mitgeteilt, dass Nasrin Sotoudeh ihren Hungerstreik beendet hat. Kurz zuvor war sie für vier Tage auf die Intensivstation eines Krankenhauses verlegt worden. Wie geht es ihr jetzt?

Reza Khandan: Sie leidet nach wie vor unter Herzschwäche und starker Atemnot. Die Ärzte im Krankenhaus hatten festgestellt, dass ein medizinischer Eingriff an ihrem Herzen notwendig ist. Aber ihre körperliche Verfassung war aufgrund des Hungerstreiks sehr schlecht. Sie hätte sich erst im Krankenhaus erholen müssen, wurde aber zurück ins Gefängnis gebracht.

Sie war 45 Tage im Hungerstreik, aus Protest gegen die aus ihrer Sicht menschenunwürdigen Haftbedingungen in dem überfüllten Frauen-Trakt des Evin-Gefängnisses. Außerdem wollte sie die Freilassung politischer Gefangener in der Corona-Pandemie erreichen.

Sie braucht dringend eine Operation, durchgeführt von Ärzten, denen sie vertrauen kann. Das Gefängnis schickt aber die Gefangene in ein Krankenhaus, das mit der iranischen Gefängnisbehörde zusammenarbeitet. Die Ärzte informieren uns, ihre Familie, nicht. Sie braucht aber uns und die Menschen, denen sie vertrauen kann.

Reza Khandan und seine Frau Nasrin Sotoudeh
Reza Khandan und seine Frau Nasrin Sotoudeh Bild: Getty Images/ B. Mehri

Die Justiz hat wegen der Ausbreitung des Coronavirus mehr als 80.000 Häftlinge in den Hafturlaub geschickt, außer Menschenrechtsaktivisten und Aktivisten der Zivilgesellschaft. Der Forderung Ihrer Frau hat sie also nicht nachgegeben. Weiß sie, wie viel Solidarität und Unterstützung sie weltweit bekommt? Weiß sie zum Beispiel, dass sie am 8. September den Menschenrechtspreis des Deutschen Richterbundes erhalten hat?

Das weiß sie. Ich muss aber zugeben, dass sie vieles nicht mitbekommt. Im Gegensatz zu anderen Gefangenen dürfen die politischen Gefangenen im Evin-Gefängnis nur drei Mal pro Woche jeweils zehn Minuten lang telefonieren. Ungefähr 40 Frauen sind dort unter strengsten Bedingungen inhaftiert. Fast alle anderen Häftlinge im Iran können täglich telefonieren, solange ihre Telefonkarte ein Guthaben hat.

Die weiblichen politischen Häftlinge - die meisten sind Mütter - dürfen das nicht. Meine Frau möchte bei jedem Telefonat mit unseren zwei Kindern sprechen. Für mich bleibt am Ende wenig Zeit, sie über ihre Auszeichnungen und Forderungen nach ihrer Freilassung zu informieren.

Die iFrauenrechtlerin Mansoureh Shojaee nahm den Menschenrechtspreis des Deutschen Richterbundes für Sotoudeh entgegen und wurde von Bundespräsident Steinmeier auch empfangen
Die Frauenrechtlerin Mansoureh Shojaee nahm den Menschenrechtspreis des Deutschen Richterbundes für Sotoudeh entgegen und wurde auch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier empfangen Bild: picture-alliance/dpa/B. v. Jutrczenka

Die Nachricht von der Verleihung des Alternativen Nobelpreises hat sie mit zwei Tagen Verspätung von einer Mitgefangenen gehört. Diese hatte es in einem Telefonat mit ihrer Familie erfahren. Wir sollen meine Frau nicht mehr besuchen, sagte sie.

Warum?

Eine Woche nachdem sie am 11. August ihren Hungerstreik begonnen hatte, wurde unsere 20-jährige Tochter festgenommen. Am 17. August holte man sie von zu Hause ab und hielt sie für einige Stunden fest. Eine Gefängniswärterin hatte behauptet, unsere Tochter hätte sie im vergangenen Jahr angerempelt, als wir meine Frau besuchten. Damit wollte man wohl Druck auf uns ausüben.

Ihre Frau wurde in zwei Urteilen zu insgesamt 38 Jahren Haft und 148 Peitschenhieben verurteilt, jeweils wegen "Angriff auf die nationale Sicherheit" bzw. "Propaganda gegen die Staatsführung". Menschenrechtsorganisationen und Politiker weltweit fordern ihre Freilassung. Gibt es neue Entwicklungen in ihrem Fall?

Ihre Akte soll überprüft werden. Wir haben es nur gehört, niemand hat uns oder Nasrin offiziell darüber informiert. Im März 2020 haben wir von einer allgemeinen Amnestie für diejenigen gehört, die mit höchstens fünf Jahren Haft bestraft wurden. Das würde zumindest eines der beiden Urteil betreffen. Aber sie hat bis heute nichts Offizielles gehört.

Als Ihre Frau wegen ihres Hungerstreiks ins Krankenhaus eingeliefert wurde, wurde sie in sozialen Netzwerken von manchen iranischen Usern heftig kritisiert oder sogar angegriffen. Sie waren wütend auf sie und auf die internationale Presse und Medien, die über sie berichteten. Warum?

Ich kann einen Teil von denjenigen, die vielleicht enttäuscht sind, verstehen. Es gibt viele andere Häftlinge im Iran, die kaum einer außerhalb des Landes kennt oder die kaum in der Presse erwähnt werden. Nasrin Sotoudeh kann nichts dafür. Sie hat sich nur aus Protest geweigert zu essen, mehr nicht. Sie fordert die Freilassung der politischen Gefangenen im Iran. Ohne irgendetwas von anderen zu erwarten.

Sie wird von Menschen angegriffen, die gegen das politische System im Iran sind und eine bestimmte Vorstellung von der Opposition haben. Sie bevorzugen bestimmte Personen, die sie als Gesicht des Widerstands in den westlichen Medien sehen wollen. Diese Leute sehen Nasrin Sotoudeh als Gefahr an oder sogar als Konkurrentin. Dabei hat sie gar keine eigene Agenda oder Ansprüche. Sie ist eine Menschenrechtsanwältin, keine Politikerin.

Reza Khandan ist der Ehemann der inhaftierten iranischen Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotoudeh, die 2020 den Alternativen Nobelpreises erhielt.

Das Interview führte Shabnam von Hein.