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Spaß haben und die Welt retten

Kate Hairsine dk
12. Juni 2017

Das Fahrrad, vor 200 Jahren in Deutschland erfunden, erlebt eine Renaissance. Radler schätzen die neue Freiheit im Großstadtverkehr und Städte profitieren von den grünen Vorteilen: Weniger Lärm und weniger Schmutz.

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Laufrad für Kinder
Bild: picture alliance/Joker/H. Khandani

Dieser Anblick gehört in Deutschland zum Straßenbild: Kinder, oft kaum zwei Jahre alt, machen mit ihren Laufrädern die Bürgersteige unsicher, flitzen atemberaubend schnell um die Fußgänger herum. Laufräder sehen aus wie Fahrräder, haben aber keine Pedale - das Kind sitzt auf einem Sattel, treibt das Rad mit den Füßen vorwärts und lernt so das Balancieren, das es später auch zum Fahrradfahren braucht.

Was vielen gar nicht bewusst ist: Diese Laufräder sind die direkten Nachfahren des ersten Zweirades überhaupt, das 1817 in Deutschland erfunden worden ist.

Total einfach!

"Das ist total einfach! Man muss überhaupt nichts können, man hat immer einen Fuß am Boden", schwärmt Martin Hauge. Er dreht gerade ein paar Runden auf dem ersten Laufrad der Welt und ruft begeistert: "Man muss sich links und rechts abstoßen und man fährt von selber und kann auch einfach nur rollen."

Das hölzerne Ur-Rad rattert laut auf dem Kopfsteinpflaster im südwestdeutschen Karlsruhe, der Geburtsstadt seines Erfinders Karl von Drais. Mit einem Gewicht von beinahe 30 Kilogramm und ohne den Komfort luftgefüllter Gummireifen macht das Laufrad ganz schön viel Krach und ist deutlich lauter als ein modernes Kinderlaufrad. Und wie beim diesem fehlt auch dem ersten Laufrad, was ein heutiges Fahrrad ausmacht: Kette, Gangschaltung und Pedale.

200 Jahre Fahrrad Karl Drais Laufrad
Das Ur-Rad: Die Draisine aus dem Jahr 1817. Den Fahrkomfort, den wir gewohnt sind, bietet es aber noch nicht.Bild: picture-alliance/akg-images

Das Fahrrad wurde in den vergangenen 200 Jahren enorm weiterentwickelt, und die zurzeit angesagten E-Bikes stehen erst am Anfang ihrer Karriere. Die Städte unserer Zeit, rund ums Auto geplant und gebaut, öffnen sich immer mehr einer Renaissance des Fahrrades.

Abgesehen davon, dass Radfahren eine unkomplizierte und billige Art der Fortbewegung ist, hat es noch weitere Vorteile: Es bietet die Annehmlichkeit, sich an der frischen Luft bewegen zu können, es produziert keine klimaschädlichen Abgase und sorgt nebenbei für ruhigere Straßen und gesündere Anwohner.

Die Kräfte der Natur treiben den Fortschritt voran

Erfinder Drais gab seinem Zweirad den Namen "Laufmaschine", um Zweck und Funktionsweise seiner Vorrichtung genau zu beschreiben - in der Presse wurde das neue Gerät jedoch schon bald "Draisine" genannt. Bei seiner Erfindung 1817 war es das erste steuerbare zweirädrige Fahrzeug, das mit Muskelkraft bewegt wurde. Mit menschlicher Muskelkraft und nicht mit tierischer, wie es damals allgemein üblich war: Vor zweihundert Jahren wurden Menschen und Waren noch von Ochsen, Eseln oder Pferden transportiert.

1815 war der indonesische Vulkan Tabora explodiert und hatte riesige Mengen Staub und Gase freigesetzt. Bis ins ferne Europa verdunkelten die Emissionswolken den Himmel und ließen die Temperaturen sinken: Im folgenden, viel zu kalten Sommer fiel Schnee, die Ernten erfroren. Pferde wurden jetzt weniger geritten oder als Zugtiere genutzt, weil die notleidenden Menschen sie lieber schlachteten und aßen.

"Das Futter wurde unerschwinglich. Das war es, was Drais, der schon jahrelang Versuche mit pferdelosen Antrieben unternommen hatte, auf seine Idee gebracht hat, " erklärt Martin Hauge die Entstehungsgeschichte des Fahrrades. Hauge hat zur 200-Jahr-Feier anlässlich der Erfindung des Fahrrades eine Drais-Ausstellung organisiert.

Doch bei seiner "Markteinführung" sorgte die Laufmaschine für die ersten Kontroversen: "Es gab offensichtlich Probleme zwischen den gutsituierten Bürgern, die sich auf den schönen und glatten Wegen, die aber eben auch gut zum Fahren waren, durch die neuen Maschinen gestört fühlten, " so Hauge. Verschiedene Städte, darunter London Rom und Kalkutta in Indien verboten Drais' Erfindung umgehend. 

Eine rasante Entwicklung

Obwohl ihr kein geschäftlicher Erfolg beschieden war, inspirierte die neue Maschine Bastler und Tüftler auf der ganzen Welt. In den nächsten 60 Jahren bekam das Rad Pedale und wurde leichter, weil der Rahmen nicht mehr aus massivem Holz gefertigt wurde. Dann experimentierte man mit einem großen Vorder- und einem sehr viel kleineren Hinterrad und entwickelte so das Hochrad. Später schrumpfte das Rad wieder ungefähr auf die Größe, die wir heute kennen.

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Nur was für Artisten: Das Hochrad war eine Sackgasse in der langen Evolutionsgeschichte des Fahrrades.Bild: Getty Images/A. Scheuber

1879 bekam das Rad eine Kette zur Kraftübertragung und rund zehn Jahre später wurden luftgefüllte Reifen entwickelt, die das Fahren sehr viel angenehmer machten: Das moderne Fahrrad war geboren.

Europas Fahrrad-Renaissance

Fahrradfahren war jahrzehntelang die bevorzugte Fortbewegungsart der breiten Bevölkerung, bevor es nach und nach von einer anderen Erfindung in den Hintergrund gedrängt wurde: vom Auto. Das übrigens, seltsamer Zufall, ebenfalls von einem gebürtigen Karlsruher erfunden wurde - Carl Benz.

Inzwischen gilt das Fahrrad wieder als Fortbewegungsmittel der Zukunft. Es entlastet Städte von einigen der Übel, die ihnen stark zusetzen: Verkehrsstaus, Luftverschmutzung und zu viel Emission schädlicher Klimagase.

Heute hätte Drais Grund, stolz auf seine Heimatstadt Karlsruhe zu sein. Die Stadt gilt als die Nummer Zwei unter den "fahrradfreundlichen" Städten Deutschlands, seit sie 2005 ihre Verkehrspolitik auf das Fahrrad ausgerichtet hat.

"Hätten wir den Fahrradverkehr nicht unterstützt, würden wir heute in Verkehrsstaus ertrinken", sagt Johannes Schell vom Stadtplanungsbüro. Die letzte Verkehrszählung im Jahr 2012 ergab, dass jede vierte innerstädtische Fahrt mit dem Fahrrad unternommen worden war - eine Steigerung um zehn Prozent im Vergleich zur vorherigen Dekade.

Cargo Fahrrad Deutschland
Und praktische ist es auch noch: Sonderanfertigungen wie diese machen aus dem Draht- einen Lastesel.Bild: DW/K.Hairsine

Es ist schnell, einfach und gesund - und es macht Spaß

Fahrradfahren sei nicht nur schneller, es mache auch viel mehr Spaß, erklärt der 72-jährige Heinz, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte. Er ist 14 Kilometer geradelt, um sich die Rallye historischer Fahrräder in Karlsruhe anzusehen. Für Jean Pierre van de Pere aus Antwerpen - eine andere europäische Stadt, die dem Fahrradverkehr Vorrang einräumt - bedeutet radeln "die Freiheit dahin zu kommen, wo ich will und wann ich will". Davon ist er überzeugt, obwohl er ein historisches Rad mit Holzrädern fährt. Wenn es heiß ist, hat er weniger Trinkwasser zur Verfügung, weil er immer genug Wasser übrig behalten muss für den Fall, dass seine Räder Feuer fangen.

Tatsächlich ist es so, dass die meisten Radler nicht auf zwei Rädern unterwegs sind, um den Planeten zu retten, sondern schlicht und ergreifend deswegen, weil es die schnellste und einfachste Art ist, sich in der Stadt fortzubewegen.

Die Fahrrad-Evolution ist noch nicht an ihre Ende gelangt

Die vorläufige Endstufe der Rad-Evolution ist das E-Bike. Es erlaubt dank leichter und bei der Fahrt wiederaufladender Batterien auch älteren Menschen wie der 70-jährigen Ursula Lederle, längere Distanzen aus eigener Kraft zurückzulegen: "Meine Hüften sind nicht mehr so toll. Aber mit meinem Elektrofahrrad komme ich überall hin. Und ich liebe die Geschwindigkeit und das Gefühl von Freiheit."

Außerdem gibt es Lastfahrräder oder "utility-bikes". Das ist nicht gerade ein neues Konzept - schon im frühen 20. Jahrhundert wurde von Briefen bis zu Milchkannen alles mögliche mit dem Rad transportiert. Aber nun tauchen sie in immer größerer Zahl wieder in europäischen Großstädten auf - in Berlin wie in Kopenhagen. In Leichtbauweise gefertigt und mit Elektroantrieben versehen, erlauben sie auch den Transport größerer und schwerer Güter. Vielleicht können sie in Zukunft so manchen Lieferwagen mit Verbrennungsmotor überflüssig machen.

Infografik Für‘s E-Bike geht‘s steil bergauf
Das E-Bike als Erfolgsgeschichte: Seit Jahren erklimmen die Verkaufszahlen Rekord um Rekord.

2016 haben die Deutschen mehr Elektrofahrräder als Elektroautos gekauft, trotz der Kaufprämien für die E-Autos, sagt Arne Behrensen. Er organisiert in Karlsruhe eine Lastfahrrad-Schau. Außerdem, fügt er hinzu, würden auch Lieferdienste wie DHL, UPS und Amazon bereits den Einsatz von Lastfahrrädern erproben.

Auch wenn Innovationen wie Elektrofahrräder und Lastenräder mehr und mehr Menschen und inzwischen auch Firmen ermutigen, eines bleibt offensichtlich: Der Durchschnittsfahrradfahrer braucht nicht unbedingt noch mehr Innovation, er braucht vor allen Dingen mehr Platz auf der Straße.