1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Im Auge des Hurrikan

Ralf Bosen15. Juni 2012

Die spanischen Banken können auf EU-Hilfe zählen. Aber damit wird der Druck auf Spanien kaum geringer. Es ist fraglich, ob die Wirtschaft genug Fahrt aufnehmen kann, um das Land aus dem Schuldensumpf zu ziehen.

https://p.dw.com/p/15FxG
A shouts to the police officers during a protest to stop the eviction of Luisa Pinales, a woman of Dominican Republic who can't pay her mortgage in Madrid, Spain, Friday, April 27, 2012. As in many European countries, Spanish mortgages are not like US-style ones in which defaulters can return the keys to the bank and walk away from their debt, albeit with their credit rating in ruins. Here, mortgage holders not only have to give the house back, but also pay off bank debt. If they cannot, upon their death it is passed on to their relatives. The banners read 'Stop Evictions'. (Foto:Alberto Di Lolli/AP/dapd)
Spanien Zwangsräumungen ProtesteBild: AP

Seitdem Spanien für seine Banken mit EU-Hilfen rechnen kann, befindet sich das Land wie im Auge eines Hurrikans. Kurzfristig ist eine beklemmende Ruhe eingegehrt, aber am Horizont ziehen bereits die nächsten Sturmwolken auf. Man weiß, bald bricht das Chaos wieder aus, vor dem man nur hilflos Schutz suchen kann. So dürfte es den Spaniern ergehen. Denn die 100 Milliarden Euro der Europäischen Union auf die spanische Banken hoffen können, haben die Lage nur Anfang dieser Woche etwas entspannt. Mittlerweile hat sich das Szenario verdüstert. Finanzexperten äußern immer lauter Zweifel daran, dass das geplante Hilfspaket für den maroden Bankensektor ausreicht, um das Land wirtschaftlich auf die Beine zu helfen.

Der Hoffnung, dass rekapitalisierte Banken Kredite für notwendige Investitionen vergeben werden, verpasst beispielsweise Stefan Schneider von "DB Research" einen Dämpfer. Man müsse sehen, dass zu einem Kredit immer auch eine Nachfrage gehöre. "Und ein Phänomen der Krise in Spanien ist, dass der private Sektor, die Unternehmen und die Haushalte insgesamt sehr hoch verschuldet sind. Über 200 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Die Neigung neue Kredite aufzunehmen, dürfte deshalb bis auf weiteres sehr begrenzt sein", sagt der Ökonom des Think Tanks der Deutschen Bank im Gespräch mit der Deutschen Welle. Von daher sei es derzeit eher unwahrscheinlich, dass die spanische Konjunktur durch eine massive Kreditvergabe schnell wieder an Fahrt gewinnt.

Eien Porträtaufnahme von Stefan Schneider (Foto: DB Research)
Stefan Schneider von der Deutschen BankBild: DB Research

Fast auf Ramschniveau abgestuft

Spanien, das neben Griechenland größte europäische Sorgenkind, ist zudem erneut ins Visier der Märkte geraten. Am Donnerstag (14.06.2012) übersprangen die Renditen der zehnjährigen Staatsanleihen erstmals seit Einführung des Euro die kritische Sieben-Prozent-Marke. Zinsniveaus von sieben Prozent gelten in der Eurozone langfristig für untragbar, weil solch teure Kredite kein Staat auf Dauer bedienen kann. Griechenland, Portugal und Irland hatten jeweils ihre Hilfsanträge für Rettungsgelder gestellt, kurz nachdem diese Marke übersprungen worden war. Vor weiteren Anfälligkeiten des Bankensystems warnte der Internationale Währungsfonds IWF. In seiner am Freitag (15.06.2012) in Washington veröffentlichten Mitteilung zum Abschluss einer Überprüfung des spanischen Wirtschafts- und Finanzsystems heißt es, dass die größten Banken einen Stresstest zwar bestehen könnten, aber dass es im ganzen Finanzsystem noch einige Risiken und Schwachstellen gebe.

Mariano Rajoy im Parlament (Foto: EFE)
Mariano Rajoy versucht, die Lage zu beruhigenBild: picture-alliance/dpa

Wie verzwickt die Situation für die spanische Regierung und die EU ist, zeigt auch die massive Herabstufung der Kreditwürdigkeit Spaniens. Die Ratingagentur Moody's verunsicherte die Anleger aufs Neue, in dem sie das Land drei Stufen tiefer einsortierte - nur knapp über dem sogenannten Ramschniveau. Moody's begründete die Beurteilung mit der geplanten Bankenhilfe, die die Schuldenlast des Landes weiter erhöhe. Also mit genau der Maßnahme, die eigentlich helfen soll. Welch eine Paradoxie!

Ein Alptraum für stolze Spanier

Was aber, wenn Spanien weitere Finanzierungsprobleme bekommt und seine Ausgaben nicht mehr bezahlen kann? Beispielweise für die Arbeitslosenversicherung, auf die ein gutes Viertel der erwerbsfähigen Bevölkerung angewiesen ist. Dann müsste das Land wie zuvor Griechenland, Portugal und Irland als Ganzes unter den Europäischen Rettungsschirm. Davor schreckt die Regierung in Madrid aber vehement zurück. Sie fürchtet EU-Kontrollen, die mit der teilweisen Abgabe der staatlichen Souveränität und Unabhängigkeit verbunden sind. Für die stolzen Spanier wäre das ein Alptraum. Von daher sind die ständigen Versuche des Ministerpräsidenten Mariano Rajoy, die mögliche Bankenhilfe kleinzureden, auch zu erkären.

Ein Mann steht vor einem Geldautomaten (Foto: REUTERS)
Immer mehr Spanier heben ihr Geld abBild: REUTERS

In Wirklichkeit ist die Lage dramatischer als die Verlautbarungen aus Madrid glauben machen sollen. Die Not hat Regierungschef Rajoy inzwischen dazu getrieben, in einem Brief an die EU-Spitzen ein Stützungsprogramm der unabhängigen Europäischen Zentralbank zu fordern. Auch die EU gerät zunehmend in Erklärungsnotstand. Während man die Hilfen für Griechenland, Irland und Portugal noch als Mittel für vergleichsweise überschaubare Probleme verkaufen konnte, steht mit Spanien erstmals ein großes Land der Eurozone vor dem Zusammenbruch und der Rettungsschirm droht, überdehnt zu werden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einer Rede im Bundestag (Foto:dapd)
Bundeskanzlerin Merkel lehnt eine Vergemeinschaftung der Schulden abBild: dapd

Mangelnde Solidarität in Europa?

Natürlich könne man Szenarien entwickeln, in denen der Rettungsschirm mit seinem Volumen von rund 750 Milliarden Euro irgendwann an seine Grenze stößt, sagt Stefan Schneider von DB Research. "Aber man muss sich wahrscheinlich eher fragen: Sind die Geberländer, die mit jedem Land, das unter den Schirm schlüpft, entsprechend weniger werden, bereit, die Haushaltsdefizite der Krisenstaaten über mehrere Jahre zu finanzieren?" Dies sei bei kleineren Ländern wie Griechenland oder Portugal vielleicht noch vermittelbar. "Aber wenn man sich die Volumina anschaut, die notwendig wären, wenn Länder wie Spanien oder Italien komplett unter den Schirm gehen, dann glaube ich, dass es für die Politiker der Geberländer sehr schwer wird, die Bevölkerung von der Notwendigkeit der Hilfsmaßnahmen zu überzeugen."

Um die Schulden südlicher Euro-Staaten zu bezahlen, müsste vor allem Deutschland in die Tasche greifen. Weltbank-Chef Robert Zoellick sprach kürzlich bei einer Veranstaltung in Washington sogar von der historischen Aufgabe Deutschlands, Europa aus der Krise zu führen. "Die Geschichte hat Deutschland eine Rolle zugeteilt, die nicht leicht auszufüllen ist", sagte Zoellick. Die Bundesrepublik habe aber keine andere Wahl, als ihr Gewicht als Europas führende Wirtschaftsmacht einzusetzen.

Eine Poträtaufnahem von Robert Zoellick. (Foto: ddp images/AP Photo)
Weltbank-Chef Zoellick sieht eine historische Aufgabe für DeutschlandBild: AP

Hilfspakete Schall und Rauch

Zoellicks Lobgesang auf die Wirtschaftsmacht Deutschland wird bei Bundeskanzlerin Angela Merkel wegen der damit verbundenen Zahlungsaufforderung keine Jubelstürme ausgelöst haben. "Auch Deutschlands Kräfte sind nicht unbegrenzt", warnte Merkel in ihrer Regierungserklärung zum G-20-Gipfel in Mexiko. Alle bislang beschlossenen Pakete zur Bewältigung der Krise wären "Schall und Rauch", wenn sich herausstellte, dass sie die deutschen Kräfte überfordern würden. Ausdrücklich kritisierte die Kanzlerin "scheinbar einfache Vergemeinschaftungslösungen" in Europa. Damit erteilte sie Eurobonds oder einem gemeinsamen Schuldentilgungsfond erneut eine Abfuhr.

Der ultimative Beweis

Der Ökonom Stefan Schneider von der Deutschen Bank teilt die Auffassung Merkels: "Dass alle sagen, Deutschland muss das Portemonnaie aufmachen, ist wirklich eine Überforderung." In letzter Konsequenz müsse sich Europa entscheiden, ob im Austausch für Unterstützungen von den Geberländern, nationale Souveränität an Brüssel abgegeben werde. "Und bei diesem Thema – Stichwort Spanien – steht immer noch der ultimative Beweis aus, dass die Länder dazu auch wirklich bereit sind." Das sei das Dilemma, mit dem sich die europäische Politik auf dem nächsten EU-Gipfel auseinandersetzen müsse.