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Spaniens Sonne wird zum Wirtschaftsfaktor

Stefanie Claudia Müller Madrid
29. Juli 2022

Lange war es keine Option - doch mit den steigenden Strompreisen wollen immer mehr Spanier ein Solardach haben. Und auch die Idee des Passivhauses findet Anhänger.

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Gleißende Sonne in Marbella, Spanien
Gleißende Sonne in Marbella, SpanienBild: Imago/MiS

Wer bisher durch Spanien reiste, wunderte sich, dass nicht alle Dächer voll waren mit Solarzellen. 3000 Sonnenstunden bietet das Land im Jahr - Deutschland kommt auf gerade mal 1600. Malaga, Murcia und Alicante gehören zu den elf spanischen Städten, die europaweit das meiste Sonnenlicht abbekommen, wie eine Studie der spanischen Solar-Lobby Unión Española Fotovoltaica (UNEF) zeigt.

Bisher waren Energie und Wasser in Spanien im europäischen Vergleich günstig. Die Klimaanlagen wurden dementsprechend im Sommer voll aufgedreht, genauso wie die Heizung im Winter. In der Landwirtschaft wurde großzügig bewässert. Den Architekten und Öko-Aktivisten Iñaki Alonso hat das geringe Umweltbewusstsein seiner Landsleute schon immer aufgeregt. Mit Interesse verfolgt der 51-Jährige seit Jahrzehnten die Entwicklungen in Deutschland: "Das sich selbst mit Strom versorgende Passivhaus-Konzept hat mich fasziniert."

Derzeit beschäftigt die Photovoltaik-Branche in Spanien rund 60.000 Menschen. Nach Angaben der UNEF macht sie inzwischen 28 Prozent der installierten Kapazität aus, deckt aber erst acht Prozent des Stromverbrauchs.

Infografik Elektrizität Spanien

Traumhaus Passivhaus

Als Premier Pedro Sánchez 2018 die von der konservativen Vorgängerregierung eingeführte sogenannte Sonnensteuer (impuesto al sol) als erste Amtshandlung wieder abschaffte und 2019 eine Regulierung für Solardächer auf den Weg brachte, entschied sich Iñaki Alonso mit gleichgesinnten Freunden, seinen Traum zu verwirklichen: Sogenannte Entrepatios (zwischen den Innenhöfen) - ein auf Holzstrukturen basierendes Passivhaus mit 17 Wohnungen.

 Iñaki Alonso in Madrid
Iñaki Alonso in MadridBild: Iñaki Alonso

Gebaut wurde es auf einem Grundstück im Madrider Arbeiter- und Migrantenviertel Usera. Seit 2021 ist das Gebäude als Stromerzeuger ans Netz angeschlossen: "Es ging zügig, auch wenn wir das erste Wohngebäude dieser Art in Madrid waren." Das habe auch damit zu tun, dass es zwar bisher im Vergleich zu Deutschland wenige Solardächer in Spanien gebe, die Baubranche aber immer noch die Verbindungen zu den Lieferanten und Installateuren aus der Zeit des Booms der Solarparks vor 15 Jahren hat. Nicht alle gibt es noch, denn viele Firmen, auch deutsche, gingen durch das radikale damalige Abwürgen der Subventionen und der Einführung einer Steuer auf die Installation von Selbstversorgeranlagen pleite.

 Blick von oben auf die Entrepatios Madrid
Blick von oben auf die Entrepatios MadridBild: Iñaki Alonso

Spanien überrascht durch Geschwindigkeit

Nun, wo die Stromrechnung für einen Haushalt sich im Vergleich zum Sommer 2020 verdoppelt hat, boomt der Markt so stark wie in keinem anderen Land der EU. Bis 2030 rechnet das spanische Energieinstitut Instituto para la Diversificación y Ahorro de la Energía (IDAE) mit bis zu 14 Gigawatt (GW) Leistung auf spanischen Dächern. Derzeit ist das Land jedoch erst bei 3,2 GW angekommen, davon allein 1,2 im vergangenen Jahr. Lieferengpässe mit den Chinesen gebe es nicht, berichtet Ismael Morales von der spanischen Stiftung Renovables (Erneuerbare): "Die unterschreiben lieber mit uns Verträge als mit den Deutschen, weil klar ist, dass der spanische Markt in Zukunft interessanter ist."

Derzeit koste eine Solaranlage ohne Speicherbatterie für ein freistehendes Haus zwischen 5000 und 6000 Euro. In fünf bis sechs Jahren sei sie amortisiert. Der Einspeisungstarif für Selbstversorger wird allerdings nicht subventioniert, um erneute Spekulationen mit Photovoltaik, wie zwischen 2000 und 2010 geschehen, zu vermeiden.

Dafür bieten einige Gemeinden steuerliche Vorteile und über die Next Generation-EU-Fonds gibt es auch finanzielle Hilfen für Solardächer. UNEF-Expertin Paula Santos berichtet, dass die einfache Installation auf einem Einfamilien-Haus ohne Einspeisung von selbst erzeugtem Strom derzeit in 30 Tagen abzuwickeln ist: "Ohne die Bürokratie ginge es noch viel schneller."

Wer offiziell als Stromerzeuger im Markt auftreten und damit Geld verdienen will, braucht jedoch einen Batteriespeicher und muss auf den auch in Spanien etwas länger warten.

Normalerweise werden bei Einspeisung von selbst erzeugtem Strom vom jeweiligen Versorger nur Gutschriften auf die Stromrechnung gewährleistet. Der Preis liegt zudem unter dem Marktniveau. "Das könnte langfristig dazu beitragen, den Durchschnitts-Strompreis insgesamt zu senken," glaubt Morales.

Im Zeichen der Sonne

Bis dahin ist aber noch ein langer Weg, glaubt Enric Bartlett Castellà von der Esade Law School in Barcelona: "Wir müssen den Zugang zu Solardächern auch in Spanien einfacher und attraktiver gestalten." Derzeit boomt das Solardach vor allem im Privatsektor, aber "für Firmen und Gemeinden sind die Energiegemeinschaften zunehmend interessant. Wir haben bereits 47 davon," erzählt Morales. Das seien jedoch nicht genug, findet Óscar Barrero, Partner von PWC España: "Deutschland kommt immerhin auf 1750."

Santos von UNEF glaubt, dass von dem derzeitigen Boom auch kleine und mittelständische Firmen profitieren könnten, was die enorme Marktmacht der Stromkonzerne auf Dauer relativieren könnte: "Es gibt sehr viele verschiedene Modelle von Solardächern und Energiegemeinschaften, was Raum für viele verschiedene Anbieter ermöglicht. Da viel in Zusammenarbeit mit den Gemeinden abgewickelt wird, sind die Firmen auch häufig lokal." Morales setzt dabei langfristig auf mehr Unabhängigkeit von China: "Mit dem Next Generation Fonds können wir eigene Solarpanel-Produktionen im Land aufbauen."

Angesichts der deutschen Energieprobleme aufgrund des Konflikts mit den Russen zweifelt in Spanien niemand mehr den Siegeszug der Sonnenergie an. Alonso denkt mit Entrepatios jedoch schon viel weiter: "Es geht um den Gemeinschaftsgedanken und ein nachhaltiges Leben in der Stadt, das nicht auf Wachstum und Preissteigerungen basiert ist." 

Die Genossen teilen sich viele Dienstleistungen wie Waschmaschinen und auch Verantwortlichkeiten wie Erziehung. Eine gemeinsame Dachterrasse und ein Innenhof erlauben, dass die Kinder gefahrlos miteinander spielen können. "In Deutschland gibt es solche Wohnprojekte und Energiegemeinschaften in fast allen Städten, wir fangen erst an damit, weil wird die Gefahr des Klimawandels und unseres Wachstumsmodells jetzt hautnah spüren."