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Spannungen hinter der Fassade

Andreas Noll23. Dezember 2013

Die Mehrheit der Deutschen hält Franziskus für einen progressiven Reformer, der eine weltfremde Kirche auf Kurs bringen soll. Unterstützung bekommt der Papst von der katholischen Basis – doch auch die Skepsis ist groß.

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Foto vom Innenraum von St. Maria Magdalena (Foto. A. Noll)
Auf der Suche nach Gemeinschaft: Sonntagsmesse in St. Maria MagdalenaBild: DW/A. Noll

Man kann die Geschichte dieser Bonner Gemeinde vor einer kleinen Postfiliale beginnen lassen. Denn in diesen stürmischen Tagen vor Weihnachten, so scheint es, schlägt hier das Herz von Endenich. Bis weit auf die Straße stehen die Menschen mit ihren Paketen oder Abholbenachrichtigungen und warten geduldig darauf, ihre Weihnachtsbotschaften empfangen oder verschicken zu dürfen. "Rekord-Paketflut" meldet die Postzentrale für Deutschland. Weihnachten bewegt die Menschen - das ist hier vor der Post ganz offensichtlich.

Welt- und beziehungsfremd

Wenn Alfons Adelkamp vom Fenster seines Endenicher Pfarrhauses auf die Straße schaut, kann er diese weihnachtliche Hektik gut beoabchten, die "offiziellen Partner des Weihnachtsmannes", wie es auf den gelben Paketlastern heißt, die von frühmorgens bis spätabends über die Hauptstraße rollen. Man könnte nun mit dem Pfarrer von St. Maria Magdalena über Konsumterror sprechen oder über den Weihnachtsmann, der dem katholischen Christkind schon lange den Rang abgelaufen hat, doch das sind Themen vergangener Jahre. Das war vor den Schockwellen, die Papst Franziskus ausgelöst hat und die bis in die Provinz zu spüren sind. Gerade erst haben Adelkamps Vorgsetzte für Schlagzeilen gesorgt, als sie die Ergebnisse einer vom Papst erbetenen Umfrage unter den Gläubigen veröffentlichten.

Portrait des Bonner Pfarrers Alfons Adelkamp (Foto: A. Noll)
Pfarrer Adelkamp: "Die Menschen nehmen gar nicht mehr wahr, was von Rom gesprochen wird."Bild: DW/A. Noll

"Insgesamt wird die Lehre der Kirche (auch von kirchlich hoch identifizierten Personen) als welt- und beziehungsfremd angesehen", fasste das Erzbistum Köln die Lage nüchtern, aber dramatisch zusammen. Und Pfarrer Adelkamp, der es sich im Pfarrhaus gerade bequem macht, nickt: "Das ist ein Faktum. Die Menschen nehmen die Kirchenlehre zur Kenntnis, aber leben nicht danach. Und sind dabei auch noch glücklich." Dass ihn diese Situation tief unglücklich macht, muss er gar nicht betonen. Man spürt es in jeder Antwort. Und – auch das ein Ergebnis der Studie – viele Gläubige fühlen sich von der Kirche gerade in persönlichen Krisen alleingelassen. "Das sind Spannungen, die wir auszuhalten haben. Offiziell sagt die Kirche, wiederverheiratete Geschiedene sind zwar nicht aus der Kirche ausgeschlossen, aber dürfen nicht zur Kommunion gehen. Das tut den Betroffenen weh."

Der Umgang mit Geschiedenen, mit Homosexuellen, die Sexuallehre: Es sind "die Klassiker" der katholischen Kirche, die Gläubige und Amtskirche entfremden. "Ein schleichender Prozess", sagt der Pfarrer, aber sichtbar. Wenn sich in Deutschland die Zahl der Kirchenbesucher in den vergangenen 20 Jahren halbiert habe, dann treffe das in einem ähnlichen Umfang auch auf seine Gemeinde zu. "Ich glaube, dass die Talsohle noch nicht durchschritten ist. Wir werden noch weiter abnehmen, wir werden noch kleiner werden."

Blick auf St. Maria Magdalena (Foto: A. Noll)
Im Zentrum, aber nicht mehr das Zentrum im katholischen Rheinland: die KircheBild: DW/A. Noll

Die Erosion des Glaubens

Es sind nur ein paar Schritte vom Pfarrhaus in die Kirche. Als Adelkamp die schwere dunkle Holztür aufzieht, huscht ein Lächeln über sein Gesicht. Die Kirche lebt an diesem Samstagmittag. Ein paar Arbeiter sind gerade damit beschäftigt, den riesigen Weihnachtsbaum im Altarraum aufzustellen – ein Mann schwebt in einem Tragegestell über dem Altar. Als die Jugendlichen, die das Geschehen beobachten, den Pfarrer entdecken, spielen sich Pfarrer und Jugendliche verbal die Bälle zu. Ein Moment heile katholische Welt.

Aber es gibt auch die andere Wirklichkeit. Wenn an Werktagen zur Messe in der Regel nicht mehr als ein Dutzend Gläubige kommen – aus einem immerhin 6.000 Katholiken umfassenden Einzugsbereich. Oder wenn der Seelsorger bei immer mehr Taufen, Trauungen und Beerdigungen wieder feststellen muss, wie sehr die Menschen sogar den Ritus der Kirche verloren haben: "Wenn Hochzeitspaare ein Heft für ihren Traugottesdienst planen, bitte ich schon mal, dass man das ‚Vater unser‘ abdruckt. Weil es viele nicht mehr beten können." Von der Volkskirche, so der Pfarrer, sei heute allenfalls die Fassade übrig.

Ansicht der Kirche St. Maria Magdalena (Foto: A. Noll)
Von weit her zu sehen und zu hören: die Kirche St. Maria Magdalena im Bonner Stadtteil Endenich.Bild: DW/A. Noll

Die Kirche von St. Maria Magdalena liegt auf einem Hügel. Ihre neugotische Fassade thront mächtig über dem Stadtteil. Als sie vor genau 120 Jahren eingeweiht wurde, muss das ein rauschendes Fest gewesen sein. Endenich, Bonn, das Rheinland waren damals so katholisch, dass mit dem "Zentrum" eine Partei des politischen Katholizismus sämtliche Reichstagsabgeordneten der Region stellte. Wer sonntags nicht zur Messe ging, der musste sich rechtfertigen – das galt auch noch für die Nachkriegszeit. "Mittlerweile", so Adelkamp, "ist das fast umgekehrt." Lediglich knapp 40 Prozent der Endenicher sind noch katholisch – zumindest auf dem Papier. Tendenz: weiter fallend.

Wunsch nach substantiellen Veränderungen

Von der Kirche ist es ein Steinwurf bis zur Post am Fuße des Hügels, dann noch einmal ein paar Schritte weiter bis zum Wohnhaus von Angela Mielke. Seit Jahren arbeitet die Mutter einer zehnjährigen Tochter im Sachausschuss "Familie" des Pfarrgemeinderats. Den Fragebogen des Papstes hält die engagierte Laiin für "einen ganz wichtigen Schritt". Die Augen und Ohren so weit aufzumachen und herankommen zu lassen, wie es denn im Volk aussieht, das sei ermutigend. Und die Barmherzigkeit, die Franziskus so sehr betone, ein wichtiger Ansatz. Aber natürlich müsse sich der neue Papst irgendwann auch den Lehrfragen stellen: "Es ist das eine, barmherzig mit wiederverheirateten Geschiedenen zu sein, und das andere ist die Lehre."

Patchwork-Familien, das Zusammenleben ohne Trauschein, Verhütung – all das ist für die katholischen Laien Realität, die es aber laut Amtskirche nicht geben dürfte. Nicht nur, aber auch wegen dieser Spannungen fällt es Engagierten wie Mielke immer schwerer, Mitstreiter zu finden, die sich dauerhaft in die Gemeinde einbringen – trotz breiter Angebote, die von der Kita über Chöre, Seniorengruppen bis hin zur Yoga-Gruppe reichen.

Portrait von Papst Franziskus (Foto: Getty)
Soll für frischen Wind in der katholischen Kirche sorgen: Papst FranziskusBild: Getty Images

"Der liebe Gott ist großzügig"

Alternative Freizeitbeschäftigungen, der Arbeitsdruck, das Verhalten der Amtskirche: Eine Mischung aus vielem ist wohl für das Schrumpfen der Kirche verantwortlich, obwohl sich die Menschen mit den grundlegenden Werten des Christentums wie der Nächstenliebe und Wohltätigkeit immer noch identifizieren. Manchmal allerdings, so beobachtet Mielke immer wieder, reiche ein Lebenseinschnitt, um Gläubige wieder für die Kirche zurückzugewinnen: "Wenn Kinder da sind, stellen sich in der Regel Sinn und Wertfragen wieder. Möchte ich nicht doch, dass meine Kinder etwas mitbekommen von diesen Werten, auch wenn ich mich selbst von der Kirche entfernt habe?"

Alfons Adelkamp würde da im Pfarrhaus sicherlich heftig nicken und ergänzen, dass die Gemeinde in der Jugend- und Familienarbeit ihren großen Schwerpunkt sieht. Einen Mangel an Messdienern kennt der Pfarrer jedenfalls nicht. Man wird das am Heiligabend wieder sehen können, wenn die Post geschlossen ist und das große Kirchenschiff bis auf den letzten Platz gefüllt sein wird – auch mit Geschiedenen oder bekennenden Homosexuellen. "Der liebe Gott ist sehr großzügig und hat ein sehr großes Herz", hat der Pfarrer auf die Frage geantwortet, wie er mit diesen kirchlichen Spannungen umgehe. Heiligabend will er über die "Freude" predigen.