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Sparauflagen sind die falsche Medizin

Andreas Becker11. April 2012

Den angeschlagenen Euro-Ländern wird immer dieselbe Medizin gereicht: Reformen und Sparmaßnahmen. Kritik an diesem Konzept kommt von Gewerkschaften, aber auch aus der Finanzbranche.

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Symbolbild: Sparschwein mit griechischer Flagge
Bild: picture alliance/Bildagentur-online

Der griechische Patient liegt auf dem Krankenbett und stöhnt. Die Wirtschaft schrumpft, Arbeitsplätze werden gestrichen, und die Bevölkerung protestiert auf der Straße. Die Ärzte, entsandt von der Troika aus Europäischer Union, Zentralbank und Internationalem Währungsfonds, fühlen regelmäßig den Puls. Ebenso regelmäßig sagen sie dem Patienten, er müsse sich mehr anstrengen und noch mehr sparen.

"Griechenland hatte ein Budgetdefizit von 15 Prozent der Wirtschaftsleistung und keinen Zugang zu den Kapitalmärkten. Das Land brauchte daher offensichtlich einen strengen Sparkurs", fasst Ed Parker von der Ratingagentur Fitch die Logik der Ärzte zusammen.

"Die Frage ist nicht ob, sondern wie viel gespart werden muss", sagt dagegen William White. "Wenn die Medizin den Patienten umbringt, dann nützt sie nichts." Der kanadische Ökonom arbeitet als Berater für die Industrieländerorganisation OECD, betont aber, dass er nur für sich selbst spricht.

Nutzlose Medizin

Seit vier Jahren schrumpft die griechische Wirtschaft. Ganze Berufsgruppen verlassen das Land, die Abwanderung gut ausgebildeter Arbeitskräfte sei auch in Spanien und Portugal zu beobachten. "Wenn man den Kern der produktiven Kraft so aushöhlt, dass der Patient zu sterben droht, dann macht es keinen Sinn, ihm immer mehr von derselben Medizin zu verabreichen", so White gegenüber DW.

Damit die Wirtschaft wieder wachsen kann, müssten Griechenland und die anderen Länder an der Peripherie der Eurozone wettbewerbsfähig werden, sagt Elga Bartsch, für Europa zuständige Chefökonomin der US-Bank Morgan Stanley. Früher, also vor Einführung des Euro, konnte das über eine Abwertung der nationalen Währung erreicht werden. Dadurch wurden die eigenen Produkte im Ausland billiger und wettbewerbsfähiger. "In einer Währungsunion müssen dagegen die Preise und die Löhne flexibel sein, nach oben und nach unten", so Bartsch auf einer von Bloomberg organisierten Konferenz zu Staatsschulden im März. "Nur so kann die Anpassung erreicht werden, die früher über den Wechselkurs geschah."

Ein Obdachloser auf dem Syndagma-Platz in Athen (Foto: AP)
Wegen der Krise gibt es immer mehr ObdachloseBild: AP

Ziel: Sinkende Löhne

Druck auf die Löhne gibt es allein schon durch die hohe Arbeitslosigkeit. Jeder fünfte Grieche und jeder vierte Spanier hat keinen Job. Unter den Jugendlichen in beiden Ländern ist sogar jeder zweite arbeitslos.

Diese Zahlen sind alarmierend und das eigentliche Problem in Europa, sagt Charles Dumas, Chairman von Lombard Street Research, einer Londoner Anlageberatungsfirma. Die Europäische Union interessiere sich aber nur für Sparprogramme. "Das ist grundlegend falsch und eine völlige Travestie moderner Ökonomie", so Dumas gegenüber DW. "Diese Art von Politik hat schon in den 1930er Jahren in die Katastrophe geführt. Damals kamen in vielen Ländern Diktatoren an die Macht, in Portugal Salazar, in Spanien Franco."

Die Sparauflagen der Europäischen Union erzeugten massenhaftes Elend. Das sei vor allem der deutschen Bundesregierung vorzuwerfen, so Dumas: "Schließlich ist es eine deutsche Initiative, die Sanierung der Finanzen über alles andere zu stellen."

Wertlose Schulden

Zumal die Sparmaßnahmen in Griechenland keine positiven Effekte haben. "Letztes Jahr lag das Haushaltsdefizit bei elf Prozent des Bruttoinlandsprodukts. In diesem Jahr werden es wohl zehn Prozent sein", so Dumas. "Allerdings hat sich das Bruttoinlandsprodukt in dieser Zeit stark verkleinert, weil die Wirtschaft schrumpft. Die Griechen häufen also weiter Schulden an, während das Einkommen, mit dem sie das alles bezahlen sollen, immer kleiner wird." Für den Briten ist das Ergebnis klar: "Die griechischen Schulden sind wertlos."

Alle drei Monate müssen die Euroländer einstimmig die nächste Hilfszahlung an Griechenland freigeben. Weil sich die Lage nicht bessern werde, sei es nur eine Frage der Zeit, bis sich in den Geberländern die Stimmung drehen werde, glaubt Dumas. "Bis zum Ende des Jahres werden die anderen genug haben und Griechenland aus dem Euro werfen."

Danach werde die oft diskutierte Ansteckung einsetzen. Erst Portugal, dann Spanien, vielleicht sogar Italien – sie alle müssten den Euro verlassen, wenn sie je wieder wachsen wollen. "Ich glaube, das ist die wahrscheinlichste Lösung des Problems", so Dumas mit einem Lächeln. "Vorausgesetzt, die Deutschen besinnen sich nicht eines besseren und verlassen den Euro zuerst."