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Spiel mit dem Feuer

Heinrich Bergstresser12. Juni 2002

Nach dem Gerücht um einen möglichen Anschlag mit einer "dirty bomb" werden in den USA neue Ängste geschürt. Ob sich das Land inzwischen in ein Tollhaus der Phobien verwandelt hat, fragt sich Heinrich Bergstresser.

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Krankenhäuser, Rettungsleiter und Behörden werden mit ängstlichen Fragen bedrängt: Wie würde eine "schmutzige Bombe" mit radioaktivem Material, wie sie Al Muhajir mutmaßlich bauen wollte, wirken, wenn sie im Herzen einer amerikanischen Großstadt gezündet würde? Was kann man in so einem Falle tun, um eine Massenverseuchung zu verhindern?

Erleben wir in diesen Tagen, Wochen und Monaten ein Lehrstück, wie die zivilisierte, demokratisch verfasste Welt einen erfolgreichen Kampf gegen den internationalen Terrorismus führt? Oder erleben wir gerade, wie die USA - die älteste und mächtigste Demokratie - Gefahr laufen, sich in ein von Phobie durchtränktes Tollhaus zu verwandeln? Ein Tollhaus, wo das Denken und Handeln von den Kategorien des Krieges bestimmt und Grundgedanken der liberalen, bürgerlichen Gesellschaft zugunsten des Kampfes gegen eine angeblich weltweite terroristische Verschwörung geopfert werden?

Vieles deutet darauf hin, dass das Pendel in Richtung Tollhaus ausschlägt, was erhebliche Konsequenzen für westliches Demokratieverständnis nach sich zöge. Denn in Friedenszeiten "Krieg" zu führen und die vorhandenen Mittel, insbesondere die psychologische Kriegsführung, für innenpolitische Ziele zu instrumentalisieren, nagt an den Fundamenten demokratisch-rechtsstaatlicher Systeme.

Sicher, der 11. September wirkte traumatisierend, und die US-Regierung hat die Aufgabe, ihre Bürger zu schützen. Aber dazu taugen nicht primär die Mittel des Krieges und die massive Einschränkung von Grundrechten. Wenn Menschen verunsichert sind, ist es mit einem funktionierenden Apparat und fast unbeschränkten finanziellen Möglichkeiten ein Leichtes, Ängste gerade gegen etwa zu schüren, das schwer greifbar und fassbar ist.

Der Terrorismus gehört in diese Kategorie. Denn er verfügt nicht über Bataillone und Divisionen, sondern über kleine und kleinste Gruppen, ohne erkennbare klare Strukturen, deren politisch-ideologische Zielsetzungen zumeist konfus sind, die aber zerstören und töten. Und darin liegt das eigentliche Problem: zu zeigen, dass der von den USA definierte internationale Terrorismus letztlich auf einige wenige Personen wie z.B. Saddam Hussein zurückzuführen ist, die man eliminieren muss.

Diesen Beweis sind die USA aber bisher schuldig geblieben. Und es gibt keinen sachlichen Grund anzunehmen, dass sie ihn auch führen können. Dennoch sind offenbar nicht die Tatsachen, sondern die Meinungen über Tatsachen entscheidend. Und das nutzt die US-Regierung auch aus, grenzenlosen Machtanspruch nach außen wie nach innen politisch zu rechtfertigen.

Das Aushebeln von rechtsstaatlichen Prinzipien wie im Fall des US-Bürgers Abdullah Al Muhajir alias José Padilla, die völkerrechtswidrige Behandlung der Gefangenen in Guantanamo und die als spektakulär ausgegebenen Verhaftungen von vermeintlichen Terroristen dienen in erster Linie dazu, die zahlreichen Pannen und Ungereimtheiten innerhalb und zwischen den verschiedenen Sicherheits- und Geheimdiensten zu kaschieren.

Denn die ersten bohrenden Fragen von Angehörigen der Opfer des 11. September und die "Ohrfeige", die eine FBI-Agentin ihrer Organisation im Kontext des 11. September verpasste, erzeugten erste Zweifel an der Legitimität und den kostspieligen und Maßnahmen der Bush-Adminstration in ihrem Kampf gegen den Terror. Vor dem Hintergrund der anstehenden Wahlen zum US-Kongress erhält die systematisch erzeugte Phobie eine zusätzliche Komponente.

Denn ein Erfolg des konservativen puristischen Lagers würde das austarierte US-amerikanische System der "Checks and Balances" - also der wechselseitigen Kontrolle - zum Schaden der Demokratie weiter schwächen. All dies trüge nichts zum wirklichen Anti-Terror-Kampf bei, sondern würde vielmehr die moralische Autorität der USA im Kampf gegen den internationalen Terrorismus weiter untergraben.