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Spielsucht bei Migranten

2. Februar 2011

500.000 Menschen in Deutschland sind spielsüchtig. Darunter sind verhältnismäßig viele Migranten - nicht von ungefähr. Denn wo Armut regiert, gedeiht das Glückspiel - zum Beispiel im Berliner Migrantenbezirk Neukölln.

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Spielautomat mit leuchtendem Schriftzug 'Jackpot' (Foto: fotolia)
Bild: frank_90

Der Name "Glücksspiel" führt in die Irre. Tatsächlich stürzt das Spielen am sogenannten einarmigen Banditen oder das Fiebern am Pokertisch mehr Menschen ins Unglück als ins Glück. Denn solche Spiele können ebenso zur Sucht werden wie der zwanghafte Konsum von Alkohol, Tabletten oder Heroin. Wie bei Junkies wird die Droge Spiel für die Spieler zum Lebensinhalt. Die Folgen sind Verarmung, Verschuldung, Zerrüttung von Partnerschaften bis hin zu Beschaffungskriminalität.

1600 Euro in drei Stunden

Zwei Drittel der Einwohner im Norden von Berlin-Neukölln sind Migranten. Viele von ihnen haben keine Arbeit, dafür aber viele Probleme. Sozialarbeiter Aydin Bilge, der in diesem Bezirk arbeitet, könnte viel darüber erzählen. Aber das, was er vor einigen Tagen erlebte, hat ihm dann doch die Sprache verschlagen. Er wurde gebeten, einer türkischstämmigen Familie mit vier Kindern zu helfen: Sie sollte aus der Wohnung geschmissen werden, weil seit Monaten keine Miete mehr gezahlt wurde. Die drei Kinder hatten seit Tagen nichts gegessen, die Mutter war zusammengebrochen. Grund für all das war der spielsüchtige Vater, ein Hartz-IV-Empfänger. Er hatte an dem Tag, so Aydin Bilge, 1600 Euro vom Amt erhalten. Damit ging er zu einem Spielsalon. Innerhalb von drei Stunden hatte er das gesamte Geld verspielt.

Spielbank Warnemünde
Bild: dpa

Solche Situationen kennt der 39-jährige Berkan sehr gut. Jahrelang spielte sich sein Alltag in Spielhallen ab. Hier hatte er sein ganzes Geld verspielt. Zu Hause spielten sich dramatische Szenen ab. Oftmals musste er seinen zwei Kindern sagen, dass es nichts zu essen gibt. Was er ihnen nicht sagte, war, dass er das Geld verspielt hatte - das Hartz-IV-Geld, das Geld von den Eltern, das geliehene Geld von Verwandten und Freunden. Der Streit mit seiner Frau eskalierte, so dass sie ihn und die Kinder verließ.

Was trieb ihn dazu, immer wieder zu spielen? "Wahrscheinlich wollte ich von meinen Problemen ablenken", glaubt Berkan. "Wenn ich vor dem Automaten stand, dann sah ich nur den Automaten und den vermeintlichen Gewinn. In diesem Augenblick waren meine Probleme einfach weg."

500.000 Spielsüchtige in Deutschland

Suchtverbände schätzen die Zahl der pathologisch kranken Spieler in Deutschland auf rund 200.000. Weitere 300.000 Männer und Frauen seien akut gefährdet. Davon abgeleitet wird die Zahl der Spielsüchtigen in Berlin auf etwa 34.000 geschätzt. Der Migrantenanteil daran liege bei 40 Prozent, so die Schätzung des Berliner Psychologen Kazim Erdogan. Bei den türkischstämmigen Spielsüchtigen seien es vor allem solche, die in letzter Zeit aus der Türkei nach Deutschland kamen, um eine hier lebende türkischstämmige Frau zu heiraten. Diese "Importbräutigame", wie sie Kazim Erdogan nennt, können kein Deutsch sprechen, haben kaum Verwandte, keine Arbeit und keine Perspektive. Sie verkehren nur in türkischen Männercafes oder eben in Spielhallen. Ihr wichtigster Partner hier ist der Spielautomat.

Ein solcher "Importbräutigam" war auch Baris. Der 35-Jährige kam 1998 nach Deutschland und glitt sehr schnell in die Welt der Spielhallen ab. "Dort, wo es nur einen Gewinner gibt: den Automaten", wie Baris sagt. Ihm opferte er Tausende von Marks und Euros und fast auch seine Familie. Vor zwei Jahren dann stellte ihn seine Frau vor die Wahl: Entweder er höre auf oder er verliere sie und die Kinder. Das habe ihn zur Vernunft gebracht.

Wo Armut regiert, gedeiht das Glückspiel

Wenn Baris heute eine Spielhalle sieht, dann macht er einen weiten Bogen um sie. Aber leicht ist das in seinem Bezirk Neukölln nicht. Alleine auf der Einkaufsmeile Karl-Marx-Straße gibt es 33 Spielhallen und Wettbüros.

Das kommt nicht von ungefähr: Wo Armut regiert, gedeiht das Glückspiel. Die meisten der 600 Spielhallen in Berlin und der 10.000 Spielautomaten in Cafés, Dönerläden und Bistros befinden sich in sozial schwachen Stadtteilen. Hier ist die Sehnsucht am größten, mit kleinstem Einsatz zu Geld zu kommen, sich etwas zu gönnen, was mit Hartz-IV nicht möglich ist.

Dieses Denken gilt auch für die Betreiber der Spielhallen, von denen viele einen Migrationshintergrund haben. Auch sie wollen mit wenig Einsatz zu Geld kommen. Im Gegensatz zu den Spielsüchtigen machen sie den Schnitt: Geschätzte 3000 Euro Netto wirft ein Geldautomat im Monat ab. Das ist wohl ein Hauptgrund, weshalb die Zahl der Spielhallen und Automaten wächst.

An dieser Entwicklung sei die Politik schuld, so Kazim Erdogan, der auch Initiator der Selbsthilfegruppe türkischstämmiger Männer in Deutschland ist. Es werde den Betreibern zu leicht gemacht, eine Spielhallen-Konzession zu erhalten. Je mehr Spielotheken, umso größer sei die Gefahr, dass die Spielsucht zunimmt.

Prävention ist besser als Therapie

Besser als jede Spielsuchttherapie, so Kazim Erdogan, sei die Prävention. Dazu gehöre nicht nur Aufklärung, sondern auch Kontrolle und die Reduzierung von Spielhallen und Spielautomaten.

Diese Erkenntnis ist mittlerweile auch bei Politikern angekommen. Der Berliner Senat will bis zum Sommer 2011 das Spielhallengesetz neu regeln. Demnach werden Mehrfachkonzessionen verboten, ein Mindestabstand von einem Kilometer zwischen zwei Spielhallen vorgeschrieben und der maximale stündliche Jackpot an Automaten von momentan 500 auf 150 Euro reduziert.

Autor: Panagiotis Kouparanis
Redaktion: Kay-Alexander Scholz