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Sprachrohr der Globalisierungsgegner

6. August 2002

Die kanadische Journalistin und Kolumnistin Naomi Klein gilt als die inoffizielle Sprecherin der Anti-Globalisierungsbewegung. Sie kämpft für eine demokratischere Alternative zur Herrschaft der Weltwirtschaft.

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Naomi Klein: Demokratie zurückgewinnen
Die Artikel entstand Kooperation mit www.fluter.de
Die Artikel entstand Kooperation mit www.fluter.de

Naomi Kleins Bestseller "No Logo" gilt als Streitschrift gegen die zunehmende wirtschaftliche und kulturelle Macht multi-nationaler Unternehmen. Die Kanadierin ist davon überzeugt, dass die Anti-Globalisierungsbewegung zukünftig noch mehr Einfluss gewinnen wird. "Politiker und Unternehmer sollten daher endlich einen Dialog mit dem weltweiten Protest führen", fordert Klein. Fluter, ein Kooperationspartner von DW-WORLD, hat mit ihr ein Gespräch geführt - über Markenfetischismus, Demokratiedefizite und die Folgen der Terroranschläge vom 11. September.

In einem kürzlich gehaltenen Interview, sprechen Sie von der Anti-Globalisierungsbewegung als einer „Bewegung der Bewegungen“, die darauf abzielt, die Demokratie auf einer globalen Ebene wiederzuerlangen.

Ich bin mir nicht sicher, ob eine globale Demokratie auf einer globalen Ebene wirklich jemals erreicht werden kann. Ich glaube aber auf jeden Fall, dass mehr Demokratie auf einer regionalen und lokalen Ebene zurückgewonnen werden muss - und zwar durch globales Engagement. Ich spreche also nicht von einem Rückzug in den Regionalismus oder einem Ausstieg aus der internationalen Debatte. Ich denke aber, dass wir einen Trend sehen, in einem globalen Rahmen demokratische Rechte einzelner Länder oder Regionen zu verteidigen. Internationale Organisationen und Gruppen setzen sich immer stärker für regionale und lokale Interessen ein. Es geht darum, durch eine internationale Vernetzung kleine Räume für mehr Demokratie wiederzuerlangen.

In ihrem Buch "No logo" kritisieren Sie den Markenfetischismus in der westlichen Konsumgesellschaft? Was ist falsch an Nike, Adidas, GAP...?

In meinem Buch habe ich die Politik untersucht, mit Marken eine Lebensart statt ein Produkt zu verkaufen. Diese Politik beeinflusst immer offensichtlicher unsere Gesellschaft und unsere Kultur. Wenn nämlich Unternehmen sich dazu entscheiden, Lifestyle-Marken statt Produkte zu verkaufen, sehen sie den Produktionsvorgang als einen Marketing- und Design-Vorgang - und das bedeutet, dass die Menschen, die ihre Produkte herstellen und kaufen als außerordentlich unwichtig betrachtet werden.

Was bedeutet das?

Robert Louis-Dreyfus, der Eigentümer von Adidas, hat gesagt: „Wir vermarkten Design, wir lassen andere Leute unser Produkt produzieren und konsumieren.“ Was nach der Produktion passiert ist folgendes: Marken und Labels sind Opportunisten, sie füllen ein Vakuum, sie schaffen ein künstliches Verlangen. Die Ironie ist, Markenfetischismus funktioniert nicht weil wir Laufschuhe und Laptops so dringend brauchen, sondern weil wir mehr wollen als Laufschuhe und Laptops. Deshalb werden Laufschuhe und Laptops als etwas verkauft was mit Freiheit, Liebe, Gemeinschaft, Zukunft zu tun hat. Die Frage also, die wir uns wirklich stellen müssen, lautet: Warum sind wir als eine Gesellschaft so schlecht darin, das Bedürfnis, Teil von etwas Größerem sein zu können, zu stillen, so dass wir uns den Sinn letztendlich von Marken-Produkten holen?

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass wir auf dem Weg in eine globale „post-zivilgesellschaftlichen Ära“ sind. Immer mehr Menschen hätten Angst davor, dass die Demokratie in der Globalisierung auf der Strecke bleibt. Wer wird in Zukunft die Welt regieren?

Es wird in Zukunft entscheidend sein, dass wir unsere öffentlichen Einrichtungen und unsere Vorstellungen von einer Zivilgesellschaft verteidigen: Dazu gehören die Stärkung der Demokratie auf regionaler und lokaler Ebene, aber auch unabhängige Medien, mehr Bildung oder starke Gewerkschaften. Was die Leute wirklich auf die Straßen treibt, ist die Krise der repräsentativen Demokratie, in der Macht immer weiter delegiert wird: An internationale politische und wirtschaftliche Institutionen oder mächtige Unternehmen. Am Ende ist nicht mehr klar, wer wen gewählt hat und wer wen regiert. Wir müssen aufpassen, dass die berechtigte Wut der Menschen über das Versagen der repräsentativen Demokratie nicht den Rechten in die Hände spielt, die sie auf bekannte populistische Weise mißbrauchen, indem sie sagen: "O.K., die Demokratie funktioniert einfach nicht. Hier ist euer starke Mann."

Wie können wir Demokratie und die Zivilgesellschaft verteidigen?

Ich glaube, es würde nur wenig bringen, allein die globalen internationalen Institutionen stärker zu reformieren. Ich denke vielmehr, es geht um die globale Vernetzung von Öffentlichkeit. Wir steuern einer tiefen Glaubenskrise der Demokratie entgegen. Wir können diese Probleme nicht global lösen bevor wir sie nicht regional thematisieren. Wir sind die Macher unseres eigenen Schicksals. Das heißt, wir müssen klein anfangen, aber, wie ich schon gesagt habe: Das bedeutet nicht Rückzug, sondern globale Vernetzung kleinerer demokratischer Einheiten.

Vielen Dank für dieses Gespräch!