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Stötzel: "Geschichte der Bilder muss öffentlich sein"

Jan Bruck6. November 2013

Der spektakuläre Gemäldefund in München wirft weiter Fragen auf. Warum wurde der Fund über ein Jahr geheim gehalten? Was passiert nun mit den Bildern? Der Jurist und Kunstexperte Markus Stötzel beantwortet die Fragen.

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Markus H. Stoetzel, Rechtsanwalt. In Verbindung mit dem Interview von DW/Aygül Cizmecioglu (Foto: Stötzel)
Bild: Markus H. Stoetzel

Zollfahnder fanden die rund 1400 wertvollen Gemälde in der Wohnung von Cornelius Gurlitt, Sohn des bekannten Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, der 1956 starb. Offenbar wurden die Bilder schon Anfang 2012 entdeckt, doch die Behörden hielten den Fund zunächst geheim. Weiter ist unklar, wie viele der Gemälde tatsächlich zur NS-Raubkunst zu zählen sind. Im Zusammenhang mit dem Fall haben sich aber bereits Vertreter jüdischer Familien zu Wort gemeldet, um Ansprüche geltend zu machen - darunter die Erben des jüdischen Kunstsammlers Alfred Flechtheim.

DW: Herr Stötzel, Sie beschäftigen sich seit Jahren mit der Rückgabe von NS-Raubkunst an die Erben früherer jüdischen Besitzer. Hat der spektakuläre Fund in Bayern Sie überrascht?

Stötzel: Ja und Nein. Überrascht hat mich die Dimension, dass hier eine Sammlung offenbar relativ unangetastet Jahrzehnte überdauert hat. Es sind Kunstwerke, die lange als verschollen galten, Kunstwerke von sicherlich unschätzbarem Wert. Das ist, in der Tat, eine relativ einmalige Situation. Auf der anderen Seite gab es immer wieder Fälle, bei denen Kunstwerke als vernichtet oder verschollen galten und am Markt wieder aufgetaucht sind oder durch investigativen Journalismus ans Licht gezerrt wurden. Es ist einfach Tatsache, dass aufgrund dieses unermesslichen Kunstraubes, den die Nazis betrieben haben, durchaus Kunstwerke bis heute über viele Jahrzehnte in Sammlungen schlummern. Gurlitt ist insoweit sicherlich kein Einzelfall.

Es hat für Schlagzeilen gesorgt, dass Zollbeamte diesen Fund schon Anfang 2012 gemacht haben, er aber zunächst geheim gehalten wurde. Warum haben sich die Behörden so verhalten?

Das lässt sich mit dem Strafrecht in Deutschland erklären. Wenn ein Ermittlungsverfahren gegen einen Beschuldigen geführt wird, dann findet das zunächst unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Gegen Cornelius Gurlitt wird nach Aussagen der Staatsanwaltschaft wegen Steuerhinterziehung und wegen Unterschlagung ermittelt - und das jetzt seit mindestens anderthalb Jahren. Man hat die Gegenstände, die Kunstsammlung beschlagnahmt. Allerdings ist das nur eine vorläufige Sicherstellung, was bedeutet, dass nach Abschluss der Ermittlungen die Arbeiten an den Eigentümer zurückgegeben werden - es sei denn, sie wurden zur Begehung von Straftaten benutzt, was ich hier nicht sehen kann.

Es haben sich schon einige Experten zu Wort gemeldet, die davon ausgehen, dass Herr Gurlitt der rechtmäßige Besitzer der meisten Kunstwerke ist, und es sich bei vielen Gemälden nicht um NS-Raubkunst handelt. Stimmen Sie dieser Sichtweise zu?

Als Jurist, der sich mit den Grundlagen von NS-Raubkunst beschäftigt, würde ich dieser Meinung beipflichten. Hierbei geht es vor allem um den Bestand der "entarteten" Kunst, das heißt, um Kunstgegenstände, die 1937 von den Nazis aus den Museen entfernt wurden und bestimmten Händlern, darunter auch Hildebrand Gurlitt, zur Verwertung übergeben wurden. Hildebrand Gurlitt hat offensichtlich im erheblichen Umfang Werke aus diesen Beständen erworben. Das waren Käufe, die er rechtlich gesehen tätigen konnte und durfte. Die Folge ist, dass die Gurlitts die Erben dieser Gegenstände sind.

Wie wahrscheinlich ist denn die mögliche Rückgabe von Bildern aus dem "Münchner Fund" an diejenigen, die Ansprüche anmelden, sollten sich ihre Forderungen als gerechtfertigt erweisen?

Im Augenblick bewegen wir uns, was diese Frage betrifft, im Bereich des Ungefähren. Wir haben bestimmte Objekte, von denen wir glauben, dass sie sich in der Sammlung von Gurlitt befinden. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Staatsanwaltschaft nicht nur die Kunstsammlung beschlagnahmt hat, sondern auch Geschäftspapiere und Inventarlisten von Gurlitt. Aus diesen Papieren lässt sich die Geschichte dieser Bilder nachvollziehen und das ist sicherlich sehr wichtig - und auch diese Informationen gehören in die Öffentlichkeit.

Markus Stötzel ist Jurist und Spezialist in Restitutionsfragen. Er hat in mehren Fällen Erben vertreten, die die Rückgabe von NS-Raubkunst an ihre Familie forderten. Seit 2008 vertritt er die Erben Alfred Flechtheims.