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Politik

Griechen dürfen Geschlecht selbst definieren

Florian Schmitz Thessaloniki
17. Oktober 2017

Ein neues Gesetz verbessert die Lage von Transsexuellen wie Alexandra aus Thessaloniki. Doch vor der Abstimmung im Athener Parlament wetterten griechisch-orthodoxe Geistliche dagegen und drohten mit Exkommunikation.

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DW Griechenland - Transgesetz
Alexandra: "Auch Lehrer wollten mich in die Rolle des religiösen Jungen zwingen" Bild: DW/F. Schmitz

Als Alexandra 1976 in Athen geboren wurde, hieß sie noch Stavros. "Bei mir wurde genetische Intersexualität diagnostiziert. Das bedeutet, dass ich aufgrund meiner Chromosome geschlechtlich nicht eindeutig zuzuweisen bin. Aber seit meinem sechsten Lebensjahr weiß ich, dass ich weiblich bin." Im Griechenland der 80er Jahre fand sie dafür keine Unterstützung. "In der Grundschule ging es noch. Später begann das Mobbing", erinnert sie sich. Sie erzählt, ihr Vater - ein studierter Theologe - habe seine Freizeit gern bei Prostituierten verbracht. Die sexuelle Identität seines Kindes sei für ihn inakzeptabel gewesen: "Als ich sechs war, haben meine Eltern mir sogar Testosteron gegeben."   

Doch sie sei nicht nachtragend: "Meine Eltern sind in den 40er Jahren geboren. Die waren überfordert von der Situation." Auch die Lehrer in der Schule, vor allem im Religionsunterricht, wollten Alexandra in die Rolle eines religiösen Jungen zwingen. "Das war aussichtslos", sagt sie lachend. "Heute definiere ich mich als atheistische, lesbische Transfrau und Menschenrechtlerin." Derzeit wartet sie auf ihren neuen Personalausweis, mit dem sie sich in Zukunft offiziell als Frau ausweisen kann. Kein leichtes Unterfangen in einem Land, in dem die Orthodoxe Kirche den Schutz der Verfassung genießt. Zwar hat sie nicht das Recht, sich in legislative Prozesse einzumischen. Doch gerade, wenn es um sexuelle Freiheit geht, schallen die Stimmen aus den Gotteshäusern bis ins Athener Parlament.

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Die Nachbarn der einzigen Trans-Bar in Thessaloniki haben kein Problem mit sexueller Vielfalt Bild: DW/F. Schmitz

Gesetz bleibt hinter Erwartungen zurück

Das jüngste Beispiel: Griechenland hat ein Gesetz verabschiedet, dass es griechischen Staatsbürgern ab 15 Jahren erlaubt, ihr Geschlecht selbst zu bestimmen. "Ohne eine vorherige ärztliche Behandlung", betont der Athener Menschenrechtsanwalt Vasilis Sotiropoulos. Mit 171 Stimmen gelang es Ministerpräsident Alexis Tsipras von der linken Syriza nur mit Hilfe der neoliberalen Oppositionspartei Potami, das Gesetz durchzubringen. Fast alle Abgeordneten des rechtspopulistischen Koalitionspartners ANEL stimmten dagegen.  

Während die Abgeordneten kontrovers über das Thema diskutierten, gab der Bischof von Piräus bekannt: "Wer für das Gesetz stimmt, braucht keinen Fuß mehr in die Kirche zu setzen." Andere Geistliche aus der Griechisch-Orthodoxen Kirche sprachen sogar deutlich von Exkommunikation. Gerade in einem Land wie Griechenland, wo viele Bürger religiös sind, könnte sowas der Karriere eines Politikers sehr schaden. 

Menschenrechtsorganisationen begrüßen das Gesetz als historischen Schritt: "Es ist ein deutliches Signal, dass niemand mehr gezwungen werden muss, sich einem medizinischen Eingriff zu unterziehen, um offiziell als die Person anerkannt zu werden, die man ist", sagt Fotis Filippou, stellvertretende Europa-Direktorin von Amnesty International. Trotzdem habe man wichtige Aspekte außer Acht gelassen.

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Viele Trans-Frauen arbeiten als Prostituierte in der Nähe des Bahnhofs von ThessalonikiBild: DW/F. Schmitz

Ministerpräsident Tsipras wollte sich Länder wie Schweden, Dänemark oder Malta zum Vorbild nehmen, in denen Trans-Menschen einen besonderen gesetzlichen Schutz genießen. "In Malta kann man einfach eine schriftliche Erklärung abgeben und dann werden automatisch alle Papiere geändert, ohne dass dabei Kosten entstehen", erläutert Alexandra. In Griechenland müsse man trotz der neuen Rechtssprechung vor Gericht, einen Anwalt bezahlen und dann von Amt zu Amt laufen, um die Änderungen zu beantragen. Für sie sei das vor allem Schikane. "Trans-Menschen sind täglich Diskriminierungen ausgesetzt. Die meisten finden keine Arbeit und werden in die Prostitution gezwungen. Ich selbst bin oft zusammengeschlagen und einmal sogar vergewaltigt worden. Wir genießen keinen Schutz", beklagt sie. Dass sich dies bald ändert, hält sie für unwahrscheinlich, solange die Kirche ihre Macht unter Beweis stellt.     

Hetze gegen Schwule im Gottesdienst 

Die Griechisch-Orthodoxe Kirche scheint aber nicht die Absicht zu haben, ihren politischen Einfluss zu lockern. Erst 1982 hatte die damalige sozialistische Regierung gegen den Willen des Klerus die standesamtliche Ehe durchsetzen können. Und erst 2015 wurde - ebenfalls unter lautstarkem Protest der Bischöfe und Priester - die eingetragene Partnerschaft für Homosexuelle legalisiert. "Der Einfluss der Kirche ist groß", sagt Stefanos Loukopoulos, Geschäftsführer von Vouliwatch, Griechenlands Version der deutschen Transparenz-Initiative Abgeordnetenwatch. "Im Jahr 2000 hatte die Kirche Tausende von Menschen mobilisiert, als die damalige Regierung den Eintrag über die Religionszugehörigkeit von den Personalausweisen entfernte. Und vor ein paar Wochen nahmen Kirchenvertreter Einfluss auf das Parlament und verhinderten so indirekt die Pläne des Bildungsministers, den Religionsunterricht neu zu gestalten."

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Laut Umfragen befürworten 53 Prozent der Griechen die Nähe zwischen Kirche und Staat, 2015 waren es noch 42 Prozent Bild: DW/F. Schmitz

Offiziell sieht sich die Kirche im Recht. Und in der Tat zeigen Umfragen, dass mehr als die Hälfte der Griechen ihre Positionen zum neuen Gesetz und auch ihren Schutz durch die Verfassung befürworten. Auf Anfrage der Deutschen Welle, ob die Kirche Maßnahmen gegen Diskriminierung unterstütze, teilte der einflussreiche Bischof von Syros mit: "Die Kirche verweigert niemandem ihre schützenden Arme. Es gibt nur helfende Hände und keine, die wegschicken." Jedoch ziehe man es vor, Menschen dabei zu unterstützen, ihre Probleme zu überwinden, statt sie in Entscheidungen zu treiben, die zur Stigmatisierung führten.  

Doch gerade Stigmatisierung kennt Alexandra vor allem aus der Kirche: Als Jugendliche habe sie im Gottesdienst gehört, dass Schwule andere Schwule "produzieren", die das Land angreifbar machten und deshalb die türkische Armee über Griechenland herfallen könne. Und erst 2016 habe ein Priester gefordert, Homosexuellen das Wahlrecht zu entziehen, sie aus dem öffentlichen Leben zu entfernen und zur "Heilung" wegzuschließen.

Natürlich bleibt es der Kirche selbst überlassen, wie sie ihre Dogmen an die heutige Zeit anpasst. In anderen europäischen Ländern ist das nicht anders. Dass sie aber den Schutz der Verfassung genießt und gleichzeitig Menschen wie Alexandra Grundrechte abspricht, ist eine andere Frage. "Ich fühle mich frei und stolz als lesbische Transfrau", sagt sie. Das mag die Kirche anders sehen. In einem vereinten Europa aber, das sich zu Menschenrechten bekennt, sollte dies keinen Einfluss haben. 

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Florian Schmitz Reporter mit Schwerpunkt Griechenland