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Politik

Staatenlosigkeit: Afrikas vergessenes Problem

Silja Fröhlich
11. Februar 2019

Über 700.000 Menschen in Afrika sind staatenlos. Im Alltag bedeutet das für sie oft: keine Arbeit, keine Bildung, keine Rechte. Experten fordern, dass sich die Afrikanische Union des Problems annimmt.

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Eine Frau hält einen südafrikanischen Pass in die Kamera
Bild: Getty Images/AFP/G. Guercia

Über 4000 Mitglieder des Shona-Volks leben heute in Kenias Haupstadt Nairobi. Ihre Vorfahren waren in den 1960er Jahren aus Simbabwe eingewandert. Sie wurden aber nicht eingebürgert, weil es in Kenias damaliger Verfassung dafür keine Regelungen gab. Die Folge: Viele Shona, die heute in Kenia leben und dort zur Welt kamen, sind staatenlos.

Für viele bedeutet das ein schweres Leben. "Ich wurde hier geboren, bin hier aufgewachsen und in die Schule gegangen", erzählt der 34-jährige Thomas Kutenda. "Meine Handball-Mannschaft sollte in Schweden spielen. Alle anderen Spieler waren Kenianer und bekamen schnell ihre Pässe. Ich konnte nicht nach Schweden fahren, obwohl ich der Kapitän war", klagt Kutenda im DW-Interview. Ohne Staatsbürgerschaft konnte er keinen Pass erhalten.

'Menschen hängen in der Schwebe'

Heute sind auch seine beiden Kinder betroffen. "Ich habe keine Möglichkeit, sie zur Schule zu schicken. Sie verlangen Geburtsurkunden, bevor die Kinder eingeschrieben werden", sagt er. Kutenda hofft, dass sich die Staatschefs der Afrikanischen Union des Themas bei ihrem aktuellen Gipfeltreffen in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba annehmen. Dort soll das Thema Migration eine wichtige Rolle spielen.

Antonio Gutters bei einer Pressekonferenz zum Start der Kampagne gegen Staatenlosigkeit 2014
2014 startete der damalige UNHCR-Chef Antonio Gutteres (Mitte) eine Kampagne gegen StaatenlosigkeitBild: picture-alliance/dpa/S. Di Nolfi

Wie Kutenda sind weltweit 12 Millionen Menschen staatenlos. Über 710.000 sollen es in Afrika sein. Viele von ihnen leben in der Elfenbeinküste. Während eines Wirtschaftsbooms in den 1970er Jahren kamen viele Arbeitskräfte aus den Nachbarstaaten Mali, Burkina Faso und Ghana in das westafrikanische Land - und blieben. Die Regierung änderte daraufhin die Verfassung: Nicht registrierten Ausländern war ab einem bestimmten Stichtag die Einbürgerung verboten. Hunderttausende Einwandererfamilien wurden staatenlos.

Die Gründe sind vielfältig: Diskriminierung aufgrund von Herkunft oder Religion, die fehlgeschlagene Integration von Migranten und ihrer Kinder oder - wie im Fall der Shona aus Kenia- Gesetzeslücken. Kinder sind besonders gefährdet: Nicht jeder Staat erlaubt es seinen Bürgern, ihre Staatsbürgerschaft an Kinder weiterzugeben, die im Ausland geboren wurden. Wenn auch das Land, in dem sie geboren werden, ihnen die Staatsangehörigkeit verweigert, können sie staatenlos werden. Außerdem kann Staatenlosigkeit auch durch Verlust oder Entzug der Nationalität verursacht werden.

"Diese Menschen hängen in der Schwebe, weil sie weder durch die Staatsbürgerschaft ihres neuen Landes geschützt sind, noch durch ihr Herkunftsland, weil sie keine Bürger mehr sind", sagt Cristiano d'Orsi, Dozent für Flüchtlings- und Migrationsrecht an der Universität Johannesburg. Dabei hat laut UN-Menschenrechtserklärung jeder Mensch das Recht auf eine Staatsbürgerschaft. Doch die Realität sieht anders aus. Für die Betroffenen hat das oft schlimme Folgen. Häufig haben sie keinen Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung oder Arbeit.

Hütten aus Lehm und Wellblech in einem Slum in Kenias Hauptstadt Nairobi
Viele Staatenlose leben in ArmutBild: picture alliance/AA/R. Canik

"Menschen, die per Gesetz gar nicht existieren, sind extrem anfällig für Missbrauch und Ausbeutung. Sie können keinen Job annehmen und machen daher jede Art von Arbeit", sagt auch Catherine Hamon Sharpe vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. "Sie können missbraucht, geschmuggelt und Opfer von Menschenhandel werden. Diese Menschen sind einer ganzen Reihe von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt", so Sharpe zur DW.

Erste Regierungen ergreifen die Initiative

Doch es gibt auch positive Fortschritte. 2017 erkannte Kenias Regierung die Makonde, eine zuvor staatenlose Minderheit, als 43. Volksgruppe des Landes an. Bei einer feierlichen Zeremonie erhielten die Makonde ihre Staatsbürgerschaft. Der Afrikanische Menschenrechtsgerichtshof entschied im Mai 2018, dass eine Staatsbürgerschaft nur nach einem fairen Gerichtsverfahren entzogen werden dürfte. Tansania hatte einem Mann willkürlich die tansanische Nationalität entzogen. Das Gericht wies die Regierung an, dem Mann die Staatsbürgerschaft innerhalb von 45 Tagen zurückzugeben und die Lücken in der Gesetzgebung zu schließen.

Auch die Afrikanische Union hat das Problem erkannt: "Die AU hat einen interessanten Vorschlag zur Aufnahme eines Protokolls in die Afrikanische Charta für Menschenrechte und Völkerrechte gemacht. Dabei geht es um die Beseitigung der Staatenlosigkeit in Afrika", sagt Bronwen Manby, Beraterin für Menschenrechte, Demokratie und gute Regierungsführung.

Eine weitere Idee seien afrikanische Pässe, sagt Cristiano d'Orsi von der Universität Johannesburg: "Das bedeutet, dass grundsätzlich jeder, der auf afrikanischem Boden geboren wurde, von einem afrikanischen Pass profitieren kann. Natürlich stehen wir noch am Anfang des Prozesses, aber dies ist eine der wichtigen Initiativen, die ergriffen werden, um das Problem zu lösen."

Mitarbeit: Andrew Wasike