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Kommentar: Das Ende der Ära Kosslick

Jochen Kürten
Jochen Kürten
25. November 2017

Das ist bitter für Dieter Kosslick. Dem Berlinale-Chef wird von 79 deutschen Regisseurinnen und Regisseuren kein gutes Zeugnis ausgestellt. Doch bei aller Kritik: Kosslick hat sich verdient gemacht, meint Jochen Kürten.

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Berlinale 2015 - Berlinale-Palast am Marlene-Dietrich-Platz
Bild: picture-alliance/dpa/T. Brakemeier

Hat er das verdient? Ist die Kritik von Maren Ade und Fatih Akin, von Doris Dörrie, Edgar Reitz und all den anderen berechtigt? Auch wenn die 79 bekannten deutschen Filmschaffenden in ihrer jetzt veröffentlichten Erklärung nicht dezidiert den Namen Dieter Kosslick nennen, so gibt es doch keinen Zweifel daran, dass sich ihr Statement gegen den langjährigen Leiter der Berlinale richtet.

Wenn ein großes Festival programmatisch "erneuert und entschlackt" werden soll, wie es in der Erklärung heißt, dann ist das gegen den Kurs der Kosslick-Ära gerichtet. Und wenn für die Neubesetzung eine "herausragende kuratorische Persönlichkeit" gefordert wird, dann ist das auch als Spitze gegen Kosslick zu verstehen, der aus der Filmförderung kommt.

Kritik an der Qualität des Wettbewerbs ist berechtigt

Was wird Kosslick vorgeworfen - indirekt in der aktuellen Erklärung und ganz direkt in den vielen kritischen Kommentaren an seiner Amtsführung in den letzten fünf, sechs Jahren?

Hauptkritikpunkt ist zweifellos die Qualität des Berlinale-Wettbewerbs. Die Konkurrenz um den Goldenen und die Silbernen Bären hatte in der Vergangenheit so manche schwache und manchmal auch ganz schwache Jahrgänge aufzuweisen. Das war allerdings bei Kosslicks Vorgängern im Amt nicht anders. Die Berlinale stand immer schon im Schatten von Cannes. Mit Venedig lieferte sie sich beständig einen Kampf um Platz zwei. Kosslick hat daran nicht wirklich etwas geändert. Der Wettbewerb, zweifellos die Programmsektion, die am stärksten im Fokus der Öffentlichkeit steht, präsentiert sich schon seit Jahren mit vielen mittelmäßigen Beiträgen. Wenn also etwas dran ist an den Vorwürfen der 79 jetzt an die Öffentlichkeit getretenen Regisseure, dann ist es vor allem dieser Punkt. Er ist durchaus berechtigt.

Dieter Kosslick begann 2001 mit viel Schwung

Als Kosslick 2001 sein Amt antrat, hat er viel Unterstützung erfahren - von den Filmkritikern, vor allem aber auch von einem nicht-cineastischen Publikum. Der grummelige Brite Moritz de Hadeln, der das Festival über zwei Jahrzehnte unter seinen Fittichen hatte, war zum Ende seiner Amtszeit sehr unbeliebt. Gerade auch, weil der Berlinale-Wettbewerb nur noch wenig Glanz und Qualität ausstrahlte. Der stets gut gelaunt auftretende Kosslick verschaffte dem Festival zu Beginn des neuen Jahrtausends hingegen einen gewaltigen Energieschub. Das tat der Berlinale damals ungemein gut.

Joachim Kürten
Kultur-Redakteur Jochen KürtenBild: DW/P. Henriksen

Atmosphäre ist nicht alles. Aber die Stimmung bei einem solch großen Kulturereignis im Herzen der deutschen Hauptstadt spürbar anzuheben, war keine leichte Aufgabe. Kosslick hatte da seine Fähigkeiten. Er war ein Kommunikator, ein Netzwerker. Auch dem deutschen Film, den de Hadeln zuvor lange sträflich vernachlässigt hatte, verschaffte er wieder Respekt: mit der Einladung von gleich mehreren heimischen Filmen in den Wettbewerb und einer eigenen Reihe für das junge deutsche Kino.

In jüngster Zeit ist dies wieder etwas ins Hintertreffen geraten. Das mag auch an der Qualität der eingereichten Filme gelegen haben. Es gibt aber auch einige Beispiele von fatalen Fehlentscheidungen - Filme, die von der Festivalleitung abgelehnt wurden, die später aber bei anderen Festivals oder im normalen Kinoeinsatz für Furore sorgten. Die Auswahljury der Berlinale hat sich da nicht immer mit Ruhm bekleckert.

Die Berlinale hat im Laufe der Kosslick-Jahre wieder an Profil verloren

Auch am Vorwurf, die Berlinale sei inzwischen aufgebläht, unübersichtlich und habe zu viele Programmsektionen, ist zweifellos etwas dran. Warum ein Film im Wettbewerb und nicht in den Sektionen Forum oder Panorama läuft, ist meist nicht zu erklären. Auch hier täte eine Neustrukturierung und Schärfung des Profils gut. All das kann eine neuer Festivalchef, oder selbstverständlich auch eine Chefin, in Angriff nehmen.

Dieter Kosslick
Berlinale-Chef seit 2001: Dieter Kosslick Bild: Reuters

Doch Vorsicht! Die Berlinale ist ein Publikumsfestival, das vom Publikum angenommen wird. Für die Tickets der vielen Vorstellungen in den vielen Sektionen stehen die Leute Schlange. Das sollte nicht vergessen werden. Wenn sich die Berlinale nun zurücknehmen würde, dann dürfte das auch für Ärger sorgen. Kosslicks Programmpolitik der Aufblähung kann man kritisieren, doch muss man bei einer möglichen Verkleinerung des Festivals auch weniger Zuschauerzuspruch in Kauf nehmen.

Eine Berlinale, die alle zufrieden macht, wird es auch in Zukunft nicht geben

Beides ist nicht zu haben. Und auch das nicht, beziehungsweise nur in Ausnahmefällen: ein Wettbewerb mit vielen künstlerisch wertvollen Filmen und Glanz und Glamour à la Hollywood auf dem Roten Teppich. Das ist ein Festivalspagat, der nicht wirklich gelingen kann. Auch in Cannes klappt das nicht immer.

Kosslick hat eine Berlinale-Ära geprägt, fast zwei Jahrzehnte lang. Er hat sich zweifellos verdient gemacht. Jetzt ist die Zeit gekommen für eine Neubesetzung des Postens. Doch eines sollte man sich klarmachen, alles ist bei einem solch großen Kulturfestival nicht zu haben: Kunst und Kommerz, ein toller Wettbewerb und viele stark besetzte Nebenreihen, deutsche und internationale Spitzenfilme zuhauf, der Blick auf das Weltkino (Asien, Lateinamerika etc.) und eine massive Hollywood-Präsenz. Das sollten auch die 79 Kritiker im Auge behalten.

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