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Politik

Stasi-Knast als Wahlkampfbühne

Jefferson Chase js
11. August 2017

Die Bundeskanzlerin startet ihre Wahlkampagne ausgerechnet an einem Schauplatz der DDR-Vergangenheit: im ehemaligen Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen. Was will Angela Merkel damit bezwecken?

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Bundeskanzlerin Angela Merkel in Hohenschönhausen
Bild: Picture-alliance/AP Photo/W. Kumm/Pool Photo

Es ist der erste offizielle Auftritt nach ihrem Sommerurlaub: Bundeskanzlerin Angela Merkel besucht das ehemalige Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen - heute Gedenkstätte, früher ein Ort, an dem das DDR-Regime politische Häftlinge unterbrachte. Es war das zentrale Untersuchungsgefängnis des gefürchteten Ministeriums für Staatssicherheit (Stasi). Rund 11.000 sogenannter "Staatsfeinde" waren dort im Nordosten Berlins zwischen 1951 und 1989 eingesperrt.

Die Bundesregierung hat knapp neun Millionen Euro für die Modernisierung der Gedenkstätte versprochen. Nach der einstündigen Führung durch das Museum - inklusive Besichtigung einer Gefängniszelle - sagte Merkel, es sei wichtig für Deutschland, an die kommunistische Vergangenheit zu erinnern.

"Das Unrecht, das in DDR geschehen ist, darf nicht in Vergessenheit geraten, um eben einfach auch die Freiheit und Demokratie von heute schätzen zu können", betonte Merkel. "Das, was wir heute als selbstverständlich nehmen, war viele, viele Jahre nicht selbstverständlich."

Erinnerung an DDR-Unrecht in Hohenschönhausen

Merkel sagte, die Gedenkstätte biete Besuchern einen authentischen, schmerzhaften und bewegenden Kontakt mit der Vergangenheit. Die Bundeskanzlerin dankte zwei ehemaligen Gefangenen, die sie durch die Gedenkstätte führten.

"Gerade wenige Tage vor dem 13. August, dem Tag des Mauerbaus im Jahr 1961, ist der Besuch dieser Gedenkstätte für mich noch mal von besonderer Bedeutung", so Merkel. "Es scheint lange her, aber es mahnt uns, auch heute kraftvoll für Freiheit und Demokratie einzutreten."

Merkel erwähnte auch die Arbeit der Gedenkstätte gegen Linksradikalismus - vielleicht ein Hinweis auf die politische Agenda des Besuches. Schließlich sitzt im Bundestag mit der Linken die Nach-Nachfolgerin der DDR-Staatspartei SED. Und da kann ein kleiner Seitenhieb der Kanzlerin, die in Personalunion auch Vorsitzende der konservativen CDU ist, bei der Wahl im September sicherlich nicht schaden.

Auch wenn der Stasi-Knast kurz zur Wahlkampfbühne wird - Hohenschönhausen bleibt vor allem ein Ort des heftigen, persönlichen Leids für diejenigen, die dort gefangen gehalten wurden.

Kein ruhiger Schlaf

Der ehemalige Häftling, der Merkel durch die Gedenkstätte führt, ist der 83-jährige Arno Drefke. Er verbrachte in den 1950er-Jahren fünfeinhalb Jahre in Hohenschönhausen - wegen angeblicher Militär- und Wirtschaftsspionage. Drefke berichtet von dem psychologischen Druck, der auf die Insassen ausgeübt wurde. Diese waren oft in Einzelhaft ohne Sonnenlicht untergebracht und ständigen Befragungen ausgesetzt. "Nach drei Tagen war ich komplett fertig mit den Nerven und habe dem Vernehmer alles erzählt", sagt Drefke.

Deutschland - Arno Drefke - ehemaliger Häftling in Hohenschönhausen
Stasi-Opfer Drefke: "Linken-Politiker machen leider einen großen Bogen um Hohenschönhausen"Bild: DW/K. Brady

Als junger Mann in Ostdeutschland fing er an, sich gegen den Kommunismus zu wenden, nachdem er merkte, wie voll die Geschäfte in West-Berlin waren. Mit 18 Jahren nahm er Kontakt mit einer anti-kommunistischen Gruppe in Westdeutschland auf, die später verboten wurde. Ein Jahr später, 1953, wurde er in Ostdeutschland festgenommen, als er ein Flugblatt über die wirtschaftlichen Ungleichheiten zwischen den beiden Systemen einschmuggeln wollte.

Er wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Wie viele andere Gefangene wurde er gezwungen, bei dem Bau der Berliner Mauer mitzuarbeiten. 1962 wurde er entlassen. Nach Hohenschönhausen zurückzukehren, habe ihm geholfen, mit der Vergangenheit klarzukommen. Aber es sei nicht einfach gewesen.

"Es war '92 das erste Mal, als ich hier war, weil das öffentlich zugänglich war", berichtet Drefke. "Danach ging es mir richtig schlecht, weil ich nachts Albträume hatte. Mich haben sie immer wieder verhaftet. Ich habe Schreikrämpfe gekriegt und meine Frau hatte mich häufig wecken müssen." Er würde gerne jemanden von der Linken in Hohenschönhausen herumführen, sagt der ehemalige politische Häftling. Doch die Politiker der Partei würden einen großen Bogen um den Ort machen. "Leider", sagt Drefke.

Weniger Rente

Die Partei "Die Linke" und linke Politiker generell in Verlegenheit zu bringen, war wohl ein Grund, warum Merkel Hohenschönhausen besuchte. Doch vor dem ehemaligen Stasi-Gefängnis traf die Kanzlerin auf eine Gruppe von Demonstranten - DDR-Flüchtlinge, die sich von Merkels eigener Regierung diskriminiert fühlen. 

Ostdeutschen, die in die Bundesrepublik geflohen sind, wurden die gleichen Renten wie Westdeutschen versprochen. Doch nach der Wiedervereinigung wurden sie als Ostdeutsche eingestuft und bekamen weniger zum Leben als die Bürger aus dem Westen. In zwei aufeinanderfolgenden Amtszeiten Merkels weigerte sich der Bundestag, diese Ungerechtigkeit zu beseitigen.

"Bundesbürger haben ihren Rechtsstatus verloren, durch willkürliche Auslegung des Rentengesetzes", sagt Sigfried Ulrich, der Ostdeutschland 1989 Richtung Westen verlassen hat. Merkel kenne das Problem ziemlich genau.

Frühere Häftlinge ostdeutscher Gefängnisse beschweren sich auch darüber, dass sie keine vollständige Haftentschädigung bekommen haben, die ihnen nach westdeutschem Gesetz eigentlich zusteht. Vor dem Besuch des ehemaligen Gefängnisses ging die Bundeskanzlerin auf die Demonstranten zu, um mit ihnen zu sprechen.

"Das sehen wir vorsichtig als Fortschritt, weil wir die Möglichkeit haben, nachzuhaken", sagt Carl-Wolfgang Holzapfel, ein ehemaliger West-Berliner, der neun Monate in Hohenschönhausen einsaß, weil er Bürgern bei der Flucht aus Ostdeutschland half. "Wir waren noch nie so nah dran. Wir haben Frau Merkel nie unser Anliegen persönlich vortragen können. Insofern gibt es zumindest die Hoffnung, dass auch eine Frau Merkel sich vielleicht überlegt und sagt: 'Wir müssen etwas tun.'"