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"Kunst ist immer Widerstand"

Ute Büsing
7. Juni 2017

Er war aufmüpfig, leistete schon im Elternhaus Widerstand. Dann nahm Claus Peymann die kleinen Studentenbühnen, später die großen Theater für sich ein. Ein Blick auf das Leben des Noch-Intendanten des Berliner Ensembles.

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Berlin - Claus Peymann bei der Fotoprobe «Prinz von Homburg»
Bild: picture-alliance/dpa/P. Zinken

Es ist kein Abschied nach seiner Maßgabe, wenn Claus Peymann zum Ende der Spielzeit das Berliner Ensemble nach 18 Jahren Regentschaft und 190 Inszenierungen verlässt. Die Politik hat ihn zur Abdankung gedrängt. "Ich fühle mich wie ein Theaterkönig ohne eigenes Reich", sagt der 80-Jährige Erneuerer des deutschsprachigen Theaters. "Das Berliner Ensemble ist mein Körper, meine Fantasie, mein Kopf. Ich gehe nicht ohne Schmerz und Verzweiflung."

Das Leben des Claus Peymann ist ein einziges Stationendrama, untrennbar verknüpft mit großen Aufbrüchen, mittleren Skandalen und dem trotzigen Beharren auf der humanistisch gesellschaftskritischen Botschaft des Theaters: In seiner Geburtsstadt Bremen, beim Studententheater in Hamburg, am Theater am Turm in Frankfurt, in Stuttgart, Bochum, Wien und zuletzt in Berlin. Wer Peymann holte, bekam einen bekennenden Radikaldemokraten: er war ebenso naiv theater-beglückt wie despotisch in der Durchsetzung seiner Maßstäbe vom Theater als moralischer Anstalt.

"Theaterleute sind meine Familie"

Wie kein anderer entdeckte und förderte der Lehrersohn behutsam Gegenwartsdramatiker wie Peter Handke, Thomas Bernhard, Herbert Achternbusch, Botho Strauß, Elfriede Jelinek oder George Tabori. Mit den meisten verband oder verbindet ihn Freundschaft. Über Jahrzehnte ist er auch den herausragenden Bühnenbildnern seiner Generation wie Karl-Ernst Herrmann und Achim Freyer treu geblieben. Wo er hinkam, pflegte er große Schauspiel-Ensembles. "Theaterleute sind meine Familie", so Peymann. Seine Liaison mit dem Theater ist eine auf Leben und Tod, oder, wie er ironisch sein Theaterlebensbuch betitelt, auf "Mord und Totschlag".

Lieblingsschauspieler von Claus Peymann: Gert Voss und Kirsten Dene in "Die Hermannsschlacht" auf zwei Stühlen nebeneinandersitzend. (Foto: Abisag Tüllmann)
Gert Voss und Kirsten Dene in "Die Hermannsschlacht"Bild: Abisag Tüllmann

Er machte Zeitgenossenschaft zu seiner Sache und lief bei Widerstand erst Recht zur Hochform auf. "Meine Siege resultierten nicht selten aus irgendwelchen Ängsten und kalten Füßen, die andere Theatermacher oder Regisseure bekamen." Erster Meilenstein: Handkes "Publikumsbeschimpfung" am Theater am Turm in Frankfurt 1966. Eine von insgesamt 46 Uraufführungen, die Peymann besorgte. Auch aus den Klassikern Shakespeare, Goethe, Schiller, Lessing, Büchner las er - gerne mit erhobenem Zeigefinger - Gegenwart heraus: Aufstand, Gedankenfreiheit, Revolte. Insgesamt 27 Mal.

Neue Maßstäbe für Kleist-Inszenierungen

Nicht von ungefähr ist seine Abschiedsinszenierung am Berliner Ensemble von Kleists irrlichterndem "Prinz Friedrich von Homburg". Den wollte schon der junge Peymann machen. Doch an der Berliner Schaubühne, zu deren Leitungsteam er kurz gehörte, kam ihm Peter Stein zuvor. 1975 setzte er mit "Das Käthchen von Heilbronn" am Staatstheater Stuttgart Maßstäbe für zeitgenössische Kleist-Inszenierungen. Aufsehen erregte 1982 "Die Hermannsschlacht" am Schauspielhaus Bochum: Peymann ging dem als unspielbar geltenden "vaterländischen Schauspiel" in einem fein ausgeloteten Grenzgang auf den Grund - mit zweien seiner Lieblingsschauspieler im Zentrum: Gert Voss und Kirsten Dene.

Deutschland Berlin - Fotoprobe zu "Der Prinz von Homburg" vom Berliner Ensemble
Szene aus Kleists "Der Prinz von Homburg" des Berliner EnsemblesBild: picture-alliance/dpa/P. Zinken

"Kunst ist immer Widerstand, Widerspruch, das Gegenhalten, und in dem Moment, in dem das nicht mehr stattfindet, versiegt die Kunst." Auch als Schauspieldirektor am Stuttgarter Staatstheater blieb Peymann bei seiner Maxime. Dort geriet er zwischen 1974 und 1979 immer wieder mit der Politik aneinander. Zum Eklat kam es, als er eine Geldsammlung für Zahnersatz zugunsten der inhaftierten RAF-Terroristin Gudrun Ensslin unterstützte. Aus Barmherzigkeit.

Pfiffe, Buhrufe - und Jubel 

Am Schauspielhaus Bochum setzte er zwischen 1979 und 1986 vor allem mit Uraufführungen der Stücke von Thomas Bernhard wie "Der Weltverbesserer" neue Maßstäbe. Mit Bernhard machte er auch am Burgtheater Wien weiter, das er von 1986 bis 1999 gegen viel Widerspruch leitete. "Heldenplatz" gilt mit Jubel, Buhrufen und Pfeifkonzerten als einer der Höhepunkte in Peymanns Karriere. 50 Jahre nach dem sogenannten "Anschluss Österreichs" konfrontierte er zum 100-jährigen Jubiläum der Burg das Bürgertum mit seiner antisemitistischen Fratze. Die Ära in Wien gilt dennoch oder gerade deswegen als seine goldene.

Claus Peymann (r.) und Thomas Bernhard (Mitte) beim Premierenapplaus von "Heldenplatz" (Foto: Oliver Herrmann)
Claus Peymann (r.) und Thomas Bernhard (Mitte) beim Premierenapplaus von "Heldenplatz"Bild: Oliver Herrmann

Als der damals 62-Jährige 1999 das Berliner Ensemble übernahm, wollte er der "Reißzahn im Regierungsviertel", wie er es nannte, werden. Doch mit dem Tempo der neuen Zeit konnte und wollte der altgediente Theaterrevoluzzer immer weniger Schritt halten. Nur einmal noch, 2001, wurde er mit Shakespeares "Richard II." zum Theatertreffen eingeladen, der Leistungsschau, bei der er zuvor 18 Mal triumphiert hatte. Mit Dekonstruktion und Performance wollte der Werktreue nichts zu tun haben. Bald hatte die Kritik seinem Berliner Ensemble das Etikett "Theatermuseum" verpasst. "Warum nicht? Wir sind das Haus des Bewahrens, von Werten, Ideen und Weltentwürfen!", polterte Peymann zurück. "Die Zuschauer sehnen sich nach einem Theater, das sich vor bestimmten Fragen nicht drückt, sie ernst nimmt."

"Theaterdirektor der Herzen"

Mit internationalem Nachhall setzte er 2005 schließlich Bertolt Brechts "Mutter Courage und ihre Kinder" in Szene. "Jetzt erst Recht: Brecht hat Recht!" Vier Mal nahm Peymann den Namensgeber des Berliner Ensembles beim Wort. Er holte den amerikanischen Theatermagier Robert Wilson an die Spree. Er rollte den letzten roten Teppich für den Zauberer des deutschsprachigen Theaters, George Tabori, aus. Immer wieder zeigte er der Politik den Stinkefinger. Er konnte sich das leisten. Mit um die 90 Prozent ist das Berliner Ensemble eine der am besten ausgelasteten Bühnen Berlins. Zum Abschied hat er die Besucher zählen lassen: Auf 3.703.647 kam er. Und den Applaus: 40.879 Minuten. Eine Gewissheit nimmt er mit in seine neue Existenz als freier Regisseur: "Ich war der Theaterdirektor der Herzen!"