1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Steinmeier: "Es gibt eine Sehnsucht nach Gesprächen!"

23. Mai 2019

Berlin begeht den 70. Jahrestag der Verkündung des Grundgesetzes. Große Feiern, Feste und Veranstaltungen? Fehlanzeige. Das Grundgesetz wird eher still und bedächtig gewürdigt.

https://p.dw.com/p/3IwRb
70 Jahre Grundgesetz -  Frank-Walter Steinmeier, Elke Buedenbender, Wolfgang Schaeuble, Daniel Guenther,  Andreas Vosskuhle und Angela Merkel vor dem Schloss Bellevue
Die Spitzen des Staates vor Schloss Bellevue: Verfassungsgerichtspräsident Voßkuhle, Bundestagspräsident Schäuble, Elke Büdenbender (First Lady), Bundespräsident Steinmeier, Kanzlerin Merkel und Bundesratspräsident Günther (v.l.n.r.)Bild: Reuters/F. Bensch

Das Wetter meint es gut mit dem Grundgesetz. Jedenfalls kann die Kaffeetafel zur Feier des 70. Jahrestags der Verkündung wie erhofft an diesem Donnerstag im Garten von Schloss Bellevue stattfinden, dem Amtssitz des Bundespräsidenten. 200 Menschen sind geladen, die Spitzenvertreter des Staates, die Bundeskanzlerin etwa, sind auch dabei. Aber auch ganz normale Menschen, und vor allem um die geht es Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Steinmeier: "Riesengroße Sehnsucht nach Gesprächen!"

Das ist schon seit langem sein Thema: In einer immer mehr polarisierten Gesellschaft müssten die Menschen mehr und vielleicht auch neu miteinander reden. Eine "riesengroße Sehnsucht" nach solchen Gesprächen will Steinmeier gespürt haben zuletzt. Und das Grundgesetz setze dafür den Rahmen: "Bei aller Freiheit und selbst im Eifer des Streits muss etwas gewahrt bleiben, das sich in zwei Begriffen zusammenfassen lässt: Anstand und Vernunft. Ohne Anstand und Vernunft gelingt keine demokratische Debatte!"

Bundestag - Debatte zu 70 Jahre Grundgesetz - Frank-Walter Steinmeier
Der Bundespräsident möchte das Grundgesetz verteidigenBild: Imago Images/photothek/F. Gaertner

Rechtspopulisten in und außerhalb des Bundestags, Scharfmacher in den Sozialen Medien: Sie alle dürfen sich angesprochen fühlen. Steinmeier sagt, genau deshalb finde jetzt diese Veranstaltung mit den unterschiedlichsten Menschen hier statt: "Weil wir nicht wollen, dass Hass und Feindseligkeit wie Gift in unsere Debatten sickern. Weil wir nicht wollen, dass die Unterscheidung von Fakten und Lügen verloren geht. Weil wir nicht wollen, dass die Lautstärke von Diskussionen mit ihrer Dringlichkeit verwechselt wird."

"Wir sind ein reiches Land."

Auch das Grundgesetz, so der Bundespräsident, habe mitgeholfen, dass bei aller Kritik in der letzten Zeit die Deutschen seit Kriegsende eher auf der Sonnenseite zu finden waren: "Wir sind ein reiches Land geworden. Ein friedfertiges Land, vernetzt und respektiert auf der ganzen Welt. Dennoch, so glaube ich, ist unser Land momentan auf einer sehr grundsätzlichen Suche: Was hält uns in Deutschland zusammen?" Für Steinmeier ist es jetzt und heute die Vielschichtigkeit all dessen, was Deutsch ist.

Ganz bewusst hat sein Amt die Gäste im Garten ausgewählt: "Sie sind Polizistin und Schlachtermeister, Sänger und Ordensschwester, YouTuber und Bundeskanzlerin. Sie sind ein Zollbeamter, dessen Vater der erste türkische Gastarbeiter in Viersen war. Sie sind ein Berufssoldat kurz vor dem Ruhestand, der in Kosovo und Afghanistan im Einsatz war. Sie sind ein Geschwisterpaar, 19 und 21 Jahre alt, geboren in Damaskus, geflohen vor dem Bürgerkrieg." 

Bundeskanzlerin und Youtuber

Vielfalt zulassen und die Grundlagen von Anstand und Würde beachten: Um den Kern des Grundgesetzes geht es auch schon am Vormittag vor dem Brandenburger Tor: Einige hundert blaue Luftballons steigen in den Berliner Himmel, sicher nicht ganz zufällig im Europa-Blau, so wenige Tage vor der Europawahl. "Es lebe die Freiheit" steht auf kleinen Zetteln, die an den Luftballons hängen.

70 Jahre Grundgesetz Berlin Brandenburger Tor
"Es lebe die Freiheit": Luftballons für das Grundgesetz.Bild: DW/C. Albrecht

Vor einem großen Papp-Grundgesetz können Berliner und Touristen Selfies machen. Mit dem berühmten "Artikel1: Die Würde des Menschen ist unantastbar" im Hintergrund. Fast alle Menschen, mit denen man hier spricht, fällt dieser erste Satz ein, der mit der Würde des Menschen, aller Menschen also, nicht nur der Deutschen. Eine Frau sagt: "Ich finde, das ist ein sehr wichtiger Satz, der uns allen immer wieder ins Gedächtnis gerufen werden muss. Gerade jetzt, bei unserer bunten Bevölkerung." Bemerkt hat sie aber auch, wie still und zurückhaltend Deutschland sein Grundgesetz feiert. Keine große, zentrale Veranstaltung, eher viel klein, nachdenkliche Debattenrunden, kein großes Volksfest. 

70 Jahre Grundgesetz Berlin Brandenburger Tor
Selfie mit Artikel 1 vor dem Brandenburger TorBild: DW/J. Thurau

Grundgesetz verteidigen in schwieriger Zeit

Deutschland geht also, um es vorsichtig auszudrücken, sehr zurückhaltend mit dem Geburtstag seiner Verfassung um: Immerhin der weitaus erfolgreichsten und beständigsten seiner Geschichte. Die Bundesregierung, immerhin, schickt am Vormittag eine Pressemitteilung herum, in der es über das Grundgesetz heißt, es sei "ein steter Garant für Stabilität, für Freiheit und für Rechtsstaatlichkeit. Seine Mütter und Väter haben vor nunmehr 70 Jahren großen Weitblick bewiesen und in der Präambel des Grundgesetzes die Weichen für die Wiedervereinigung Deutschlands gestellt. Ebenso haben sie festgehalten, dass Deutschland sich in den Dienst eines vereinten Europas und des Friedens in der Welt stellt." Die Qualität des Grundgesetzes würdigen, seinen Wert verteidigen in schwieriger Zeit - das zieht sich durch alle Reden und Feiern zum Jubiläum.