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"Kunst kann Kolonialgeschichte aufarbeiten"

Gero Schließ1. September 2016

Frank-Walter Steinmeier will mehr Licht auf das dunkle Kapitel der deutschen Kolonialgeschichte werfen. Die Kunst könne dabei eine bedeutende Rolle spielen, meint der deutsche Außenminister im DW-Interview.

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Bild: picture-alliance/dpa/M. Schutt

Auf Initiative von Außenminister Frank-Walter Steinmeier vergibt das Auswärtige Amt regelmäßig Künstlerstipendien. Der gegenwärtige Stipendiat Andréas Lang suchte sich ein politisch brisantes Projekt aus: Er reiste nach Kamerun, auf den Spuren deutscher Kolonialgeschichte. Für den Bild- und Videokünstler auch eine Reise in die eigene Familiengeschichte: Sein Urgroßvater war dort Soldat der deutschen Schutztruppe.

Kamerun war Teil des deutschen Kolonialreiches, das gerade einmal 30 Jahre hielt. Die Niederlage der Deutschen im Ersten Weltkrieg besiegelte auch das Ende der Kolonialherrschaft. Der Vernichtungsfeldzug gegen die Herero und Nama auf dem Gebiet des heutigen Namibia ist wohl das schwerste Verbrechen in der deutschen Kolonialgeschichte. Erst vor kurzem war die Bundesregierung bereit, das auch Völkermord zu nennen. Doch auch fast 100 Jahre nach dem Zusammenbruch des deutschen Kolonialreiches lässt die politische Aufarbeitung immer noch auf sich warten. Für Außenminister Steinmeier Grund genug, diesen Prozess voranzutreiben, auch mit Hilfe der Kunst.

DW: Fast 100 Jahre nach dem Zusammenbruch des deutschen Kolonialreiches ist die Kolonialgeschichte immer noch nicht aufgearbeitet. Doch die Kunst geht - mal wieder - voran. Andréas Lang, im Auswärtigen Amt zur Zeit "Artist in Residence", ist nach Kamerun gereist und setzt sich künstlerisch damit auseinander. Ist Kultur nur Mittel zum Zweck und muss dort in die Bresche springen, wo Politik nicht weiterkommt?

Frank-Walter Steinmeier: Ganz sicher nicht. Aber vielleicht muss man sagen, dass die deutsche Kolonialgeschichte natürlich nicht die Dimensionen hat, wie etwa in Frankreich oder Großbritannien. Aber den Kampf um den Platz an der Sonne hat es auch von deutscher Seite aus gegeben. Und die Auseinandersetzung mit diesem Teil der Geschichte ist jedenfalls nicht Teil der gelebten Erinnerungskultur. Und insofern bin ich dankbar, dass Menschen, wie Andréas Lang mit seinem Kamerunprojekt, sich einem Partikel dieser Kolonialgeschichte widmen.

Ich bin ja nicht der Meinung, dass Kunst Politik oder Außenpolitik ersetzen kann. Das ist nicht der Grund, weshalb wir uns für dieses "Artist in Residence"-Programm im Auswärtigen Amt entschieden haben. Aber Kunst kann auch uns helfen, die richtigen Fragen zu stellen und vielleicht zu Antworten zu bekommen, die wir in der Vergangenheit noch nicht hatten.

Was sind denn diese politischen Antworten? Was sind die Herausforderungen, auch die Fallstricke bei der politischen Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte?

Berlin Fotokünstler Andreas Lang
Der Fotokünstler Andréas Lang bei einer Vernissage im Atelier unter dem Dach des Auswärtigen AmtesBild: Photothek

Wir haben zum Beispiel ein solches Projekt gemeinsam mit Namibia gestartet. Mit einer Auseinandersetzung über grausames Vorgehen, vor allen Dingen des deutschen Militärs, zu jener Zeit. Das ist eine Auseinandersetzung, bei der wir uns gemeinsam der Frage widmen: Wie kriegen wir es hin, dass wir uns nicht nur mit Vergangenheit beschäftigen, sondern wie können wir im Wissen um diese Vergangenheit an der gemeinsamen Zukunft zwischen zwei Staaten bauen. Das ist Inhalt unserer Gespräche und ich hoffe, dass wir dabei vorankommen. Auch mit Hilfe solcher Kulturprojekte hier im Auswärtigen Amt.

Wie sehen die nächsten Schritte und die Zeitachse für eine Aussöhnung und vielleicht auch Wiedergutmachung aus?

Das ist wie in der Kultur. Wenn man einen Prozess beginnt in der Außenpolitik, weiß man nie genau, wann er zu Ende kommt. Wir haben diesen Gesprächsprozess mit Namibia Mitte letzten Jahres aufgenommen. Wir sind jetzt mittendrin. Wir erwarten jetzt gerade wieder eine Delegation aus Namibia. Das ist eine Auseinandersetzung, die sich lebhaft entfaltet. In der es natürlich auch unterschiedliche Erwartungen gibt. Aber ich bin eigentlich ganz zuversichtlich, dass wir die im Verlaufe des nächsten Jahres auch zu einem Ergebnis bringen.

Ist für Kamerun ähnliches geplant?

Wir haben jetzt Namibia zunächst einmal als Modell entwickelt. Aber das wird natürlich auch ein Fall sein, der einen Maßstab abgeben wird, wie wir mit anderen Teilen der Kolonialgeschichte umgehen.

Das Interview führte Gero Schließ