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Steuerhinterzieher willkommen

Andreas Hartmann11. Oktober 2002

Die EU strebt nach einer einheitlichen Zinsbesteuerung. Daran sollen sich auch Nicht-EU-Länder wie die Schweiz beteiligen. Doch die Schweiz fühlt sich in einem ihrer zentralen Rechtsgüter angegriffen: dem Bankgeheimnis.

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Die Schweiz will ihr Bankgeheimnis nicht für die EU aufweichenBild: Bilderbox

Im Kampf gegen Einnahmeausfälle durch Steuerhinterziehung oder -betrug plant die EU, ein einheitliches System zur Zinsbesteuerung einzuführen. Dazu wird ab 2010 das Bankgeheimnis aufgehoben. Banken sollen automatisch Informationen über Kapitalerträge von EU-Bürgern an das jeweilige Steuersitzland schicken.

Die typischen Steuerparadiese, wie Monaco, Andorra oder die Schweiz, liegen jedoch außerhalb der EU. Um zu verhindern, dass Anleger die Zinsbesteuerung umgehen, indem sie ihr Geld außerhalb der EU anlegen, laufen auch mit diesen Drittstaaten Verhandlungen, um sie am Bankeninformationssystem zu beteiligen.

Entgegenkommen der Schweiz

Der Alpenrepublik ist ihr Bankgeheimnis heilig. Ihre Banken zu Auskünften zu deren Kunden zu verpflichten, geht der Schweiz zu weit. Sie bietet stattdessen an, direkt auf Kapitalerträge eine Steuer zu erheben, die dann an die Steuersitzländer der Kontoinhaber abgeführt wird. Informationen sollen jedoch nur im Zusammenhang mit Strafverfahren wegen Steuerbetrug erteilt werden.

Mit dieser Lösung gibt sich EU-Binnenmarktkommissar Frits Bolkestein nicht zufrieden: Nicht nur bei aktivem Betrug, auch bei Steuerhinterziehung, also dem passiven "Vergessen" von Steuerangaben, sollen die Banken mit den EU-Finanzbehörden zusammenarbeiten. Doch anders als in der EU wird Steuerhinterziehung in der Schweiz nur verwaltungsrechtlich, nicht aber strafrechtlich verfolgt. Vor diesem Hintergrund lehnt die Schweiz die Erteilung von Auskünften strikt ab.

EU droht der Schweiz

Seit Ende September 2002 ist nun zwischen der Schweiz und der EU ein offener Streit ausgebrochen. Vor allem die Finanzminister Großbritanniens und Luxemburgs dringen darauf, dass sich auch Drittstaaten am EU-Zinssteuersystem beteiligen. Bolkestein setzte die Schweiz unter Druck und drohte bereits, dass eine Weigerung der Schweiz, sich am Informationssystem zu beteiligen, negative Folgen für Verhandlungen in anderen Bereichen haben könnte. Bei einem internen Treffen mit EU-Ministern legte Bolkestein eine Liste mit möglichen Maßnahmen gegen die Schweiz vor. Konkret könnte zum Beispiel die Beteiligung der Schweiz am Schengener Abkommen verweigert werden, mit dem der Wegfall von Grenzkontrollen innerhalb der EU vereinbart wurde.

Standortvorteil Schweiz

Die Schweizer "Neue Zürcher Zeitung" vermutet in ihrer Ausgabe vom 9. Oktober 2002 jedoch ganz andere Absichten der EU. Nicht um eine effektive Regelung für eine europaweite Zinsbesteuerung gehe es, sondern darum "dem erfolgreichen schweizerischen Finanzplatz das Wasser abzugraben." Im harten Konkurrenzkampf der Finanzplätze versuchten diejenigen EU-Länder, die Anleger mit hohen Steuern belasten, den Standortvorteil der Schweiz auszuhebeln. Vor allem die Drohung Bolkesteins, bei ausbleibender Einigung den freien Kapitalverkehr zwischen der Schweiz und der EU zu beschränken, nährt diese Betrachtungsweise.

Der Finanzminister der Schweiz, Kaspar Villiger, äußerte ebenfalls sein Befremden darüber, dass "unter Freunden" mit Sanktionen gedroht würde. Allerdings herrscht auch unter den EU-Mitgliedern Uneinigkeit über den Umgang mit der Schweiz. So plädierten Österreich und Luxemburg für einen fairen Umgang mit der Schweiz und lehnten Sanktionen ab.