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Steuersünder

29. März 2010

Ich wiederhole mich ja gerne, zum Beispiel mit dem Satz: Die interessantesten Unworte sind die unspektakulären. Das sind die, die wir alle täglich benutzen.

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Der Schriftsteller Burkhard Spinnen (Foto: privat)
Burkhard SpinnenBild: privat

Denn diese Unworte sind wirklich gefährlich, weil sie in unserem Denken ein Unheil anrichten, das wir gar nicht bemerken. Mein heutiges Beispiel dafür ist: Steuersünder. So heißen auch im offiziellen Duktus von Zeitungsnachrichten oder Politikerstatements diejenigen Menschen, die es vorsätzlich unterlassen, dem Finanzamt ihre Einnahmen vollständig mitzuteilen. Das Wort ist gerade wieder in aller Munde, in den Suchmaschinen des Internet hat es mehrere Millionen Einträge. Aber wer von denen, die es jetzt dauernd benutzen, fragt sich eigentlich, warum man bei Leuten, die Steuern hinterziehen, so unisono von Sündern spricht?

Die letzten Sünder

Denn eigentlich ist die Sünde doch ausgestorben, nicht wahr? Das heißt: An die Stelle der religiösen Gebote sind längst schon die Paragraphen der bürgerlichen Gesetzbücher getreten. Was früher Sünde hieß, heißt heute Straftat. Oder es ist ins Ermessen des Einzelnen gestellt. Früher war Völlerei eine Todsünde, heute ist es ein gesundheitsschädliches Verhalten, das jeder selbst verantworten muss.

Trotzdem reden wir immer noch von Sünde. Das Wort und die damit verknüpfte Vorstellung waren eine lange Zeit so mächtig und wirksam, dass sie nicht gleich aus dem Sprach- und Bewusstseinsalltag verschwanden, als die Religion an Deutungshoheit verlor. Allerdings scheint es so, als lebte die Sünde heute nur noch in den minderen Verfehlungen weiter. Oder anders und genauer gesagt: Gerade das, was nicht so schlimm, was bloß menschlich und unbedingt verzeihlich ist, das heißt heute noch Sünde.

Parksünder, Kaloriensünder

Möhrenkuchen (Foto: picture-alliance/dpa)
Hmm ... lecker Kuchen ...Bild: picture-alliance / dpa / Stockfood

So nennt man zum Beispiel Leute, die ihren Wagen da abstellen, wo es nicht erlaubt ist, Parksünder. Ist ja nicht so schlimm, oder? Und Menschen, die das Naschen nicht lassen können, heißen Kaloriensünder. Man wird halt so schnell schwach, nicht wahr, geht Ihnen doch aus so? Die Bedeutung von Sünde hat sich beinahe in ihr Gegenteil verkehrt: Sünde ist heute nicht wofür man Buße tun muss, sondern das, was immer schon verziehen ist.

Und daher sprechen auch weiterhin alle von Steuersündern, obwohl man für Steuerhinterziehung durchaus mit ein paar Jahren Gefängnis bestraft werden kann. In dem Wort Steuersünder drückt sich nämlich der verbreitete Unwillen aus, ganz und gar in den Kategorien des Allgemeinwohls zu denken. Man verlangt viel vom Staat, sehr viel. Doch zugleich herrscht noch immer die uralte Überzeugung, dass man quasi das Naturrecht besitzt, sich gegen die Anmaßung zur Wehr zu setzen, man solle etwas von seinen Einkünften an die Allgemeinheit abgeben. Wenn der Steuereintreiber des Fürsten auf den Hof reitet, darf man die Ernteerträge im Keller verstecken. Und wenn der moderne Fiskus nachfragt, dann darf man sein Geld nach Liechtenstein in Sicherheit bringen.

Denn das ist ja nur eine Sünde.

Burkhard Spinnen, geboren 1956, schreibt Romane, Kurzgeschichten, Glossen und Jugendbücher. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet. Spinnen ist Vorsitzender der Jury des Ingeborg-Bachmann-Preises. Zuletzt ist sein Kinderbuch "Müller hoch Drei" erschienen (Schöffling).

Redaktion: Gabriela Schaaf