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Stich ins Wespennest

Christoph Hasselbach19. Juli 2013

Eine einzige Zeitungsmeldung löst einen Sturm der Entrüstung aus - aber nur in Deutschland.

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Atommeiler mit Kühltürmen Foto: Michel Euler/AFP/Getty Images
Bild: Michel Euler/AFP/Getty Images

Ein Fall von Medien-Hype im Sommerloch - oder ein Zurückrudern nach ungewohnt heftiger Reaktion? Das bleibt unklar. Die Süddeutsche Zeitung hatte am Freitag (19.07.2013) berichtet, die Europäische Kommission plane eine Wende in der Energiepolitik. Staatliche Subventionen für den Bau und den Betrieb von Kernkraftwerken sollten erleichtert werden. Ein offizielles Kommissionspapier gab es bisher nicht. Die Zeitung behauptet aber, es liege ihr vor, und nach der Sommerpause wolle die Kommission die Pläne offiziell vorstellen. Doch egal, wieviel an der Geschichte dran ist, im Laufe des Vormittags hagelte es Reaktionen bis hinauf zu Bundeskanzlerin Angela Merkel. Mittags nahm dann ein Kommissionssprecher Stellung und dementierte die Zeitungsmeldung rundheraus: "Die EU-Kommission möchte in keiner Form zu Subventionen für die Kernkraft ermuntern." Zwei Dinge sind es, die erklären, warum die Geschichte vor allem in Deutschland und bei deutschen Europapolitikern so einen Wirbel ausgelöst hat: die deutsche Energiewende, die durch solche Pläne, falls sie zutreffen, infrage gestellt würde, und der Wahlkampf in Deutschland.

Breite deutsche Ablehnungsfront

Die Zeitung hatte berichtet, die Kommission wolle die Atomkraft künftig mit erneuerbaren Energien gleichsetzen mit dem Argument, Kernkraft sei "kohlenstoffarm" und deswegen klimafreundlich. Daher sollten EU-Staaten in Zukunft den Ausbau der Atomenergie öffentlich leichter subventionieren können, so wie das heute schon bei den erneuerbaren Energien möglich ist. Sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel fand das Thema am Freitag einen knappen, aber eindeutigen Kommentar wert. In ihrer Sommerpressekonferenz sagte sie zu den angeblichen Kommissionsplänen: "Deutschland hat dagegen gestimmt, und das unterstütze ich." Zuvor hatte bereits Rebecca Harms, Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Europaparlament, der Kommission eine Kehrtwende in der Energiepolitik am Mehrheitswillen der Europäer vorbei vorgeworfen: "Unbeirrt von den Risiken, ignorant gegenüber der Unwirtschaftlichkeit der Atomkraft und der explodierenden Kosten beim Neubau von Atomkraftwerken soll mit Volldampf zurück in die atomare Vergangenheit gesteuert werden." Entsetzt zeigte sich auch der SPD-Europaabgeordnete Jo Leinen, der kommende Woche das havarierte japanische Kernkraftwerk Fukushima besuchen will: Fukushima sei ein Menetekel gegen die Kernkraft, meinte Leinen. Er finde es völlig unakzeptabel, diese Energieform weiterhin mit Steuergeldern zu subventionieren.

Windpark auf See Foto: picture-alliance/dpa
Sollen die EU-Staaten Atomkraftwerke genauso subventionieren dürfen wie Windparks?Bild: picture-alliance/dpa

Sind Kernkraftwerke ohne Subventionen rentabel?

Thorben Becker, Energieexperte der deutschen Umweltorganisation BUND, wirft Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia vor, aus Fukushima nichts gelernt zu haben: "Ihm scheinen die Interessen der großen Atomkonzerne wichtiger zu sein als die Sicherheit der Bevölkerung in Europa." Christian von Hirschhausen, Forschungsdirektor beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, meint, gererell seien Kernkraftwerke ohne staatliche Subventionen gar nicht wirtschaftlich zu betreiben, vor allem, da Folgekosten und mögliche Strahlungsschäden der Allgemeinheit aufgebürdet würden: "Übliche Kostenschätzungen für Atomkraft beinhalten oft nicht den Rückbau der Anlagen sowie die Endlagerung des Atommülls, ganz zu schweigen von den enormen Kosten möglicher Großunfälle wie in Fukushima oder Tschernobyl." Von Hirschhausen und andere glauben daher, dass staatliche Subventionen für Kernkraftwerke einen echten Wettbewerb zwischen den Energieträgern verzerren und daher schädlich wären.

Rein deutsche Debatte

Interessant ist, dass sowohl die Meldung der Süddeutschen Zeitung als auch die Reaktion praktisch eine rein deutsche Angelegenheit waren. Bemerkenswert ist ebenfalls, dass Vertreter aller Parteien in Deutschland die Kernkraft seit Fukushima ablehnen. Das war in Deutschland davor anders. Und in anderen europäischen Ländern ist es nach wie vor anders. Die meisten EU-Länder, die Atomkraftwerke betreiben, tun das mehr oder weniger überzeugt auch nach Fukushima, manche peilen vage einen fernen Ausstieg an. Andere planen aber sogar neue Meiler, angeblich aus Klimaschutz- oder Versorgungsgründen. Wohl nirgendwo aber hat die ideologische Debatte über das Für und Wider vor Fukushima so heftig getobt wie in Deutschland. Und seit der Ausstieg in Deutschland Konsens ist, hat sich wohl nirgendwo sonst ein ganzes Industrieland mit solcher Überzeugung der Energiewende verschrieben. Sollte also die Kommission am Ende doch eine Wende hin zur Förderung der Kernkraft planen, sind schon jetzt heftige Schlachten auf europäischer Ebene absehbar.

deutsche und polnische Anti-Atom-Spruchbänder, Person mit Gasmaske Foto: DW/Elzbieta Stasik
Der Widerstand gegen die Kernkraft spricht vor allem deutschBild: DW/Elzbieta Stasik