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Politik

Stillstand im Iran nach 100 Tagen Raisi

Shabnam von Hein
12. November 2021

Seit dem Wahlsieg von Präsident Ebrahim Raisi kontrollieren die Hardliner alle Institutionen im Iran. Wo steht das Land 100 Tage nach Raisis Amtsantritt?

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Iran Präsident Raisi besichtigt Tankstelle nach Cyberangriff
Der Präsident des Iran, Ebrahim Raisi (M)Bild: Arman/Iranian Presidency/picture alliance

Anfang August wurde der konservative Kleriker Ebrahim Raisi als Irans sechster Präsident vereidigt. Als kompromissloser Anhänger und enger Vertrauter von Ayatollah Ali Chamenei, dem religiösen Führer, kann Ebrahim Raisi sich auf die volle Unterstützung des Parlaments verlassen. Dort besitzen anti-westliche, religiös-konservativ geprägte Anhänger der islamischen Revolution schon seit Anfang 2020 die Mehrheit. Mit einem Sofortprogramm wolle er die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen "revolutionär" anpacken und allen Iranern Wohlstand und Frieden bringen, versprach er nach seinem Wahlsieg. 

"Frieden für das Land und Wohlstand durch Wirtschaftswachstum gehören nicht zur grundlegenden Politik der Islamischen Republik", widerspricht die Iranerin Fatemeh Haghightjoo im Gespräch mit der DW. "Die Machthaber, vor allem die Hardliner, träumen vom Export ihrer Ideologie und größerem Einfluss in der Region durch militärische Stärke".

Haghightjoo leitet die in den USA ansässige Non-Profit-Organisation "Nonviolent Initiative for Democracy Inc". Von 2000 bis 2004 war sie als reformorientierte Politikerin Mitglied des iranischen Parlaments. Seit 2005 lebt sie in den USA. "Im Iran haben wir ein autokratisches System mit dem obersten religiösen Führer an der Spitze, der alles bestimmen will. Präsident Raisi ist dabei genau das, was Ayatollah Chameni sich wünscht: Ein willensloses Instrument für die Umsetzung seiner Politik. Aber genau das ist das Hauptproblem: Seine falsche Politik und Sichtweisen."

Wirtschaftliche Rettung aus dem Osten? 

100 Tage nach Raisis Amtsantritt steht der Iran nicht nur vor der sechsten Welle der Corona-Pandemie, es droht zudem der Staatsbankrott. Weitere Gespräche zur Wiederherstellung des Wiener Abkommens wurden auf den 29. November vertagt. Für die Erholung der iranischen Wirtschaft sind die Aufhebung der US-Sanktionen dringend nötig. Die Hardliner suchen aber im Auftrag Chameneis nach einem anderen Weg: verstärkte Kooperationen mit dem Osten. "Wir werden unsere Wirtschaft vom Ergebnis der Atomverhandlungen abkoppeln", hatte Irans Außenminister Hossein Amir Abdollahian in mehreren Interviews angekündigt. Zudem soll eine Charmeoffensive in der Region Irans Wirtschaft wieder Schwung verleihen.

"Raisis Regierung will den Fokus nach Osten richten, obwohl das nicht im nationalen Interesse Irans ist", sagt Wirtschaftsexperte Aliresa Salavati im Gespräch mit der DW. Vor allem die Annährung an Russland hält Salavati für falsch. "Der Iran besitzt weltweit die zweitgrößten Gasreserven. Damit könnte er als ernsthafter Konkurrent zu Russland auftreten." 

Doch Russland pflegt enge Kontakte zu den Hardlinern im Iran. Letztere sollen 2015 versucht haben, gemeinsam mit Russland das Atomabkommen zu Fall zu bringen, um eine Annäherung Irans an den Westen zu verhindern. 

Russlands Präsident Wladimir Putin war das erste Staatsoberhaupt, das Ebrahim Raisi zu seinem Sieg bei den Präsidentschaftswahlen gratuliert hat. Mit Ayatollah Chamenei pflegt Putin eine persönliche Freundschaft. 2015 hatte er ihm sogar eine alte Handschrift des Koran geschenkt. Die autokratische Machtstrukturen in Russland und China scheinen den religiösen Führer anzusprechen. Unter Raisis Vorgänger Rohani unterzeichnete der Iran ein auf 25 Jahre angelegtes "strategisches" Kooperationsabkommen mit China.

Impf-Politik als Machtkampf

Wie sehr Chamenei auch die iranische Innenpolitik bestimmt, zeigt das Gezerre um den Import von Impfstoff zum Schutz gegen COVID-19. Zunächst bezeichnete Chamenei das Corona-Virus als biologische Waffe der USA, die für den Einsatz im Iran genetisch verändert worden sei, und er sprach sich gegen den Import von Impfstoffen aus dem Westen aus.

Eine Iranerin wird geimpft
Die sechste Welle der Pandemie ist im Iran angekommenBild: Morteza Nikoubazl/NurPhoto/picture alliance

Die Hardliner, die um seine Aufmerksamkeit konkurrieren, nutzten die Gelegenheit und forderten von der damaligen Regierung Rohani, gänzlich auf den Import von Corona-Vakzinen zu verzichten und stattdessen die Entwicklung einheimischer Impfstoffe zu forcieren. Nach Raisis Wahlsieg änderten die Hardliner ihre Position. Sie bestritten sogar, dass Chamenei den Import von Corona-Impfdosen verboten hatte und drehten die Argumentation um: "Seine Anweisung, Impfstoffe aus dem Ausland, außer aus den USA, England und Frankreich, zu importieren, wurde nicht rechtzeitig umgesetzt", werfen die Parlamentarier nun Ex-Präsident Rohani vor. Die parlamentarische Gesundheitskommission will Rohani wegen "Missmanagements der Pandemie" persönlich vor Gericht ziehen.

Rückschlag im Kampf gegen Pandemie

Was aus einer Milliarde Dollar an staatlicher Förderung, die das Barekat-Institut unter der Regie der Hardliner für die Produktion eigener Impfdosen erhalten hat, geworden ist, wird nicht hinterfragt. Der Leiter des Instituts, Mohammad Mokhber, hatte versprochen, insgesamt 120 Millionen Dosen des Impfstoffs Coviran Barekat zu liefern, davon 50 Millionen bis Ende des Sommers. Mohammad Mokhber ist nun Vizepräsident und soll laut Enthüllungen der Zeitung "Jahane Sanaat" von der Regierung die Erlaubnis bekommen haben, aus China den Impfstoff Sinopharm zu importieren. Jetzt fragen sich viele Iraner, mit welchem Etikett die Impfdosen im Land wohl verteilt werden.

"Negative Berichterstattung über die angeblich tödlichen Nebenwirkungen der ausländischen Impfdosen in der Vergangenheit haben dazu geführt, dass viele sich nicht impfen lassen wollen", sagte der Epidemiologe Ahmad Babak Mehri Anfang der Woche gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur IRNA. "Die sechste Welle der Pandemie ist da und unser Gesundheitssystem hat kaum mehr Kraft und Kapazitäten, um damit fertig zu werden."