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Stockholm: "Gespenstische Ruhe"

Friedel Taube
8. April 2017

Die schwedische Hauptstadt steht nach dem mutmaßlichen Terroranschlag vom Freitag unter Schock. Frank Luthardt lebt in Stockholm und berichtet von der Stimmung in der Stadt.

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Schweden - Stockholm nach dem Anschlag
Bild: Reuters/TT/A. Wikllund

Deutsche Welle: Wo waren Sie während des Anschlags und wie haben Sie die Situation erlebt?

Frank Luthardt: Ich war im Büro, zwei U-Bahn-Stationen vom Anschlagsort entfernt. Ich habe über die Nachrichten-App des schwedischen Fernsehens davon erfahren, dass ein LKW durch die Fußgängerzone gefahren sei. Meine Kollegen und ich haben dann den ganzen Nachmittag über die Nachrichten verfolgt.

Was haben Sie direkt mitbekommen?

Bei uns in der Nähe hat man keine große Polizeipräsenz bemerkt. Als meine Kollegen und ich das Büro verlassen hatten und uns auf den Weg nach Hause machten, fiel aber auf, dass sehr viel Verkehr war, da ja der Nahverkehr nach dem mutmaßlichen Anschlag weitestgehend zum Erliegen gekommen war. Die Leute sind dann zu Fuß gegangen oder mit dem Fahrrad oder Auto gefahren. Es war ein allgemeines Gefühl: Alle wollen nach Hause. Es war eine leicht gespenstische Ruhe, alle waren ruhig und besonnen. 

Haben Sie selbst etwas von Freunden oder Bekannten gehört, die betroffen sind?

Frank Luthardt Deutsch-schwedische Handelskammer
Frank Luthardt war zum Zeitpunkt des Anschlags in der Nähe des TatortsBild: Deutsch-schwedische Handelskammer

Alle meine Freunde sind in Sicherheit, niemand ist direkt betroffen. Ich habe aber einen Bekannten, der dort in der Nähe arbeitet. Er schilderte, dass er aus dem Fenster seines Büros gesehen hat, wie die Leute vor dem LKW weggelaufen sind und wenig später die Polizeiabsperrungen kamen. Er sagte, dass es ihn geschockt hat und er nicht weiß, was man jetzt machen soll.

Waren die Stockholmer überrascht? Oder hatte man fast erwartet, dass so etwas irgendwann passieren würde?

Ja, den Eindruck hatte ich. Erwartet hatte man es vielleicht nicht, aber niemand ist sonderlich überrascht. Wir haben ja viele ähnliche Ereignisse in anderen Städten gesehen, und die Leute sind sich bewusst, dass Schweden genauso ein Ziel für solche Anschläge sein kann. Nichtsdestotrotz ist man getroffen und geschockt. Mir persönlich ging es sehr nah. Wenn es in der eigenen Stadt passiert, man den Anschlagsort so genau kennt. Wenn man dort schon hundert Mal war und weiß: Dort ist es jetzt passiert. Es hätte genauso gut auch mich treffen können oder Bekannte oder Freunde, die täglich dort unterwegs sind.

Sie haben dennoch die Stimmung als "besonnen" beschrieben. Wie erklären Sie sich, dass die Stockholmer so ruhig reagiert haben?

Viele hatten nach dem Ereignis das Gefühl, einander helfen und aufeinander aufpassen zu müssen, um die Ereignisse nicht schlimmer zu machen. Alle sind sich bewusst, dass Panik und Chaos niemandem weiterhelfen. Vielleicht hängt es auch mit dem skandinavischen Gemüt zusammen. Hier im Norden sind die Leute ja generell eher ruhig und besonnen, das merkt man auch im Stockholmer Alltag. Wenn man hier U-Bahn fährt, ist es ruhig. Im Autoverkehr wird selten gehupt. Ich glaube, dass dies dazu beiträgt, dann auch in so einer Situation ruhig zu reagieren.

Wie ist die Stimmung in der Stadt jetzt, rund 24 Stunden danach? Immerhin warnt die Polizei trotz einer Festnahme davor, dass weitere potentielle Täter noch auf freiem Fuß sein könnten.

Ich denke, heute und an diesem Wochenende wird das Leben noch nicht so weitergehen wie zuvor. Ich selbst war seit gestern Abend die ganze Zeit zu Hause. Aber mein Eindruck ist schon, dass es ruhiger ist, dass die Leute zu Hause bleiben oder zumindest nicht in die Innenstadt fahren. Mein Lebensgefährte arbeitet in einem großen Einkaufszentrum, er ist heute auch dort. Er hat berichtet, dass dort weniger los ist als an einem normalen Samstag. Im Fernsehen sehe ich viele Menschen, die am Anschlagsort Blumen niederlegen und der Opfer gedenken wollen. Nächste Woche ist ja Ostern, da wäre es ohnehin ruhiger geworden. Danach wird alles wieder in normale Bahnen zurückfinden.   

Gerade Schweden ist ja eigentlich für seine freie und offene Gesellschaft bekannt - ein Modell, welches schon nach den Morden an Olof Palme 1986 und Anna Lindh 2003 diskutiert wurde. Inwiefern glauben Sie wird dieses Ereignis jetzt diese freie Gesellschaft verändern?

Schwer zu sagen. Ich kann mir vorstellen, dass die Sicherheitsvorkehrungen nochmal verstärkt werden. Wir werden mehr Polizisten in der Stadt sehen, Gesetze werden verschärft werden. Das wurde auch schon in den letzten Jahren diskutiert, im Zusammenhang mit Terror, aber auch mit organisierter Kriminalität. Das wird sich verstärken. Viele Politiker und Bürger haben aber in den letzten Stunden betont, dass wir uns nicht all zu sehr davon beeinflussen lassen sollten und die Gesellschaft offen bleiben soll. Man soll versuchen, weiterzuleben wie zuvor und die Freiheit, die wir alle haben, weiter so fortzuführen. 

Frank Luthardt lebt in Stockholm. Dort arbeitet er als Pressesprecher für die Deutsch-schwedische Handelskammer.

Das Interview führte Friedel Taube.