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Politik

"Europa braucht eine starke US-Präsenz"

Christine Mhundwa
24. Juni 2020

In einem Exklusiv-Interview mit der DW betont NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, dass die US-Präsenz in Europa von globaler Wichtigkeit ist - und ruft Deutschland zu mehr Führungsverantwortung in der NATO auf.

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NATO Generalsekretär  Jens Stoltenberg
Fordert weiterhin starke US-Präsenz in Europa: NATO Generalsekretär Jens StoltenbergBild: Getty Images/AFP/K. Tribouillard

Stoltenberg über US-Präsenz in Deutschland und Europa

DW: Herr Stoltenberg, erst vergangene Woche hat US-Präsident Donald Trump Deutschland als "delinquent", also als "straffällig" bezeichnet, weil es die vorgegebenen Verteidigungsausgaben nicht einhält. Ist das ein Wort, das Sie verwenden würden? Würden Sie sagen, dass die Deutschen "straffällig" sind?

Jens Stoltenberg: Ich schätze Deutschland als einen sehr starken und wichtigen Verbündeten. Und Deutschland investiert jetzt tatsächlich deutlich mehr in die Verteidigung. Es hat seinen Verteidigungshaushalt in den letzten Jahren um 40 Prozent aufgestockt. Und es plant, ihn innerhalb eines Jahrzehnts um 80 Prozent zu erhöhen. Das ist eine bedeutende Steigerung.

Das trägt auch zu den gesamten NATO-Verteidigungsausgaben bei, die in den letzten vier Jahren um 130 Milliarden Dollar gestiegen sind. Deutschland spielt auch eine Schlüsselrolle bei der Führung der NATO-Einheiten in den baltischen Ländern. Und es war eine der führenden Nationen in Afghanistan. Aber wir erwarten natürlich von Deutschland, noch mehr zu tun. Wir erwarten, dass alle Verbündeten ihr Versprechen einlösen, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die NATO zu investieren.

Sie sprechen davon, dass Deutschland mehr tun soll. Aber beinhaltet das auch mehr Führung aus Berlin? In einer Zeit, in der die US-Regierung ihre bisherigen Führungsrolle nicht mehr ausübt, weil sie nicht an militärischen Multilateralismus glaubt... 

Die Welt braucht mehr Führung von Deutschland. Die NATO braucht deutsche Führung. Wir alle brauchen ein Deutschland, das mehr Verantwortung übernimmt, weil es die größte Volkswirtschaft in Europa ist. Deutschland verfügt nun über den größten Verteidigungshaushalt innerhalb der Europäischen Union und den drittgrößten in der NATO nach den Vereinigten Staaten und Großbritannien.

Natürlich begrüßen wir eine führende Rolle Deutschlands. Das ist so in der NATO-Familie. Und das gehört zu einer multilateralen Institution wie der NATO dazu. In unsicheren Zeiten brauchen wir starke multilaterale Institutionen wie zum Beispiel die NATO und Deutschland spielt darin eine wichtige Rolle.

Die USA planen, Truppen aus Deutschland abzuziehen. Die Kongressabgeordneten haben an den US-Präsidenten appelliert, diese Entscheidung zu überdenken. Weil sie befürchten, der Truppenabzug aus Deutschland würde Russland und China in die Hände spielen. Sehen Sie das genauso?

Ich habe mit Präsident Trump gesprochen, bevor er seine Absicht bekannt gab, die Zahl der US-Truppen in Deutschland um 9500 Soldaten zu reduzieren. Ich habe dem Präsidenten gesagt, dass die US-Präsenz in Europa für die NATO wichtig ist. Sie ist wichtig für Europa, aber sie ist auch wichtig für die Vereinigten Staaten.

US-Militärübung in Deutschland
Bis zu 9500 US-Soldaten könnten aus Deutschland abgezogen werden Bild: Getty Images/AFP/C. Stache

Frieden und Stabilität in Europa tragen zur Sicherheit Nordamerikas bei. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass es bei der US-Präsenz in Deutschland und Europa nicht nur um den Schutz Europas geht, sondern auch darum, dass die Macht der Vereinigten Staaten über Europa hinaus in den Nahen Osten, nach Afrika, Afghanistan und anderswo hin ausstrahlt.

Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass wir einig sein sollten, zusammenstehen sollten. Letzte Woche hatten wir ein Treffen der NATO-Verteidigungsminister. US-Verteidigungsminister Esper machte deutlich, dass es noch keine endgültige Entscheidung gibt, was Fristen und die Umsetzung der Pläne des Präsidenten betrifft. Und dass die Vereinigten Staaten das weitere Vorgehen mit unseren Verbündeten beraten werden und sich weiterhin der europäischen Sicherheit verpflichtet fühlen.

Aus Ihrer Sicht, Herr Stoltenberg, wäre es das beste, wenn die Truppen in Deutschland blieben?

Nun, das ist eine bilaterale Vereinbarung zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland. Im vergangenen Jahr haben wir gesehen, dass die Vereinigten Staaten ihre Präsenz in Europa eigentlich verstärkt haben - mit mehr Truppen, mehr Übungen und mehr Ausrüstung. Nun hat der Präsident eine Reduzierung angekündigt.

Ich denke, es ist wichtig, dass wir jetzt gemeinsam über das weitere Vorgehen beraten und dafür sorgen, dass die USA sich weiter engagieren. Das hat auch der US-Verteidigungsminister auf dem NATO-Verteidigungsministertreffen in der vergangenen Woche sehr deutlich gemacht.

Der Norweger Jens Stoltenberg ist seit 2014 NATO-Generalsekretär.

Das Interview führte DW-Korrespondentin Christine Mhundwa.