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Politik

Stoltenbergs Reise ins bosnische Chaos

Benjamin Pargan
1. Februar 2017

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg besucht am Donnerstag Bosnien-Herzegowina. Zwar will die Führung des Balkanlandes einen NATO-Beitritt - aber die bosnisch-serbischen Nationalisten sind dagegen.

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Bosnien und Herzegowina - Sarajevo bei Smog
Smog über Sarajevo Bild: picture-alliance/dpa/H. Melchert

Bosnien-Herzegowina hat die wohl weltweit komplizierteste Staats- und Verfassungsordnung. Die nationalistischen Machthaber des kleinen Balkanlandes bemühen sich nach Kräften, dies eindrucksvoll unter Beweis zu stellen. Sie haben sich in dem Chaos sehr gut eingerichtet und können ungeniert von der unübersichtlichen Situation profitieren. Nun ist auch die Frage einer NATO-Mitgliedschaft Bosnien-Herzegowinas zu einem der vielen Beispiele für die balkanisch-nationalistische Kakophonie geworden.

Vor etwa zehn Jahren sprachen sich politische Vertreter aller ethnischen Gruppen - der Bosniaken, Serben und Kroaten - für einen NATO-Beitritt des Gesamtstaates aus, der ja aus zwei, weitgehend autonomen Einheiten besteht, der Bosniakisch-Kroatischen Föderation und der Republika Srpska. Davor wurden erstaunlich schnell und effektiv die notwendigen Reformen umgesetzt - mit dem Ergebnis, dass das ethnisch geteilte Land eine funktionierende gemeinsame Armee bekam. Ein beachtlicher Erfolg, denn in dieser Truppe arbeiteten Soldaten und Offiziere aus allen ethnischen Gruppen zusammen, die in den blutigen Kriegen der 1990er Jahre gegeneinander gekämpft hatten.

Mit voller Kraft in die Sackgasse

Jetzt aber, kurz vor einem der entscheidenden Schritte in Richtung einer NATO-Mitgliedschaft, wird das Land ausgebremst. Der sogenannte "Membership Action Plan" (MAP) kann nicht aktiviert werden, weil einige Kasernen und andere Immobilien der Armee nicht als Eigentum des Gesamtstaates in die Grundbücher eingetragen wurden. Das hört sich nach einer Lappalie an - und ist es im Grunde genommen auch. Trotzdem blockiert Milorad Dodik, der mächtige Präsident des kleineren Landesteiles, der serbisch dominierten Republika Srpska, die notwendige Eintragung in die Grundbücher. Er und seine Partei sind jetzt gegen einen NATO-Beitritt und behindern aktiv die Umsetzung der restlichen Reformen, auch wenn diese nicht mehr eine große strategisch-politische Bedeutung haben. So landete der arme und instabile Balkanstaat zum wiederholten Mal in einer politischen Sackgasse.

Belgien NATO Ukraine Kommision -  Jens Stoltenberg
NATO-Generalsekretär StoltenbergBild: picture alliance/AP Photo/V. Mayo

Der Besuch von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg beweist den Willen, aber auch die im Westen häufig gepredigte Notwendigkeit einer Annäherung von Bosnien-Herzegowina an das westliche Militärbündnis. Das Interesse der NATO an Bosnien-Herzegowina steige sogar, sagt Djuro Kozar, ein Experte für Militärpolitik aus Sarajevo. Seine Feststellung ist nachvollziehbar, denn die NATO garantiert die Umsetzung der wichtigen militärischen Vereinbarungen aus dem Friedensabkommen von Dayton, mit dem der Bosnien-Krieg der 1990er Jahre beendet wurde. "Die NATO unterstützt direkt die Reformen der bosnisch-herzegowinischen Armee, in Sarajevo gibt es eine Vertretung dieses Militärbündnisses. Vor allem hat die NATO strategische Gründe für ihr Engagement in Bosnien-Herzegowina, weil Russland ein Auge auf die serbische Entität des Landes geworfen hat", sagt Kozar.

Aufgeben ist keine Option

Neben den russischen prallen in Bosnien-Herzegowina auch die europäischen und türkischen Interessen aufeinander. Und dies macht die ohnehin komplizierte politische Lage des südosteuropäischen Landes noch schlimmer. Allerdings könnte gerade dieses Schicksal eines geopolitischen Spielballs zugleich die wichtigste Überlebensgarantie für den fragilen Staat werden. Neben der NATO hat auch die Europäische Union den von der internationalen Gemeinschaft aufgepäppelten Gesamtstaat trotz vieler Probleme und Misserfolge nicht aufgegeben. Aus Angst vor dem russischen und türkischen Einfluss, aber auch vor dem wahhabitischen Islam der Saudis, die seit Jahren versuchen, ihren Einfluss auf die muslimischen Bosniaken zu verstärken. Und letztendlich aus Angst vor einer unkontrollierbaren Eskalation der regionalen Konflikte auf dem Westbalkan.

Die Koalition der Unwilligen

Für ein konsequentes Durchgreifen und vor allen Dingen für eine nachhaltige Lösung des balkanischen Knotens fehlen sowohl der EU als auch der NATO der politische Wille, die notwendige Einigkeit und vor allem der strategische Plan. Das politische Chaos in Bosnien-Herzegowina zu verwalten, ist viel einfacher, als es zu lösen. Der Besuch des NATO-Generalsekretärs wird daran kaum etwas ändern können. Denn in der politischen Sackgasse lässt es sich eben sehr gut leben. Allerdings gilt dies nur für die bosnisch-herzegowinischen Politiker und ihre Gesprächspartner aus den im Land allgegenwärtigen Vertretungen der internationalen Gemeinschaft. Und alle zusammen, die Einheimischen und die "Internationalen", haben sich offenbar längst mit der dauerhaften Krise und mit dem Status eines eingefrorenen Konflikts abgefunden. Doch das einfache Volk wird immer lethargischer, hoffnungsloser und frustrierter. Junge Menschen verlassen scharenweise das Land und suchen ihr Glück in Westeuropa.