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Politik

EU eröffnet Verfahren gegen Ungarn

26. April 2017

Der Streit zwischen der EU und Ungarn über das neue Hochschulgesetz erreicht eine neue Stufe. Die EU eröffnet ein Verfahren. Premier Orban stellte sich in Brüssel der Standpauke und lächelte. Bernd Riegert berichtet.

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Belgien Brüssel - Viktor Orban im EU Parlament
Ungarns Premier Orban (re.) im EU-Parlament: Ich verteidige mein LandBild: picture-alliance/ZUMAPRESS.com/W. Dabkowski

Feige ist der ungarische Premierminister Victor Orban wohl nicht. Er stellte sich im Europäischen Parlament zum wiederholten Male der Schelte durch die EU-Kommission für eine Reihe umstrittener Gesetze. "Ich und alle Ungarn lieben die klaren Worte, auch wenn das nicht jedermann gefällt", sagte Orban vor den relativ leeren Reihen des Europa-Parlaments. "Ein Ungar gibt einen Kampf nie auf", meinte der nationalkonservative Premier lächelnd.

Der Vizepräsident der EU-Kommission Frans Timmermans hatte der ungarischen Regierung zuvor in ruhigem Ton, aber scharf in der Sache vorgeworfen, sie höhle die Demokratie in ihrem eigenen Land aus. Der Versuch, die "Zentraleuropäische Universität" zu schließen, die vom ungarisch-amerikanischen Finanzmagnaten George Soros gegründet worden war, sei falsch. Freie Wissenschaft und zivilgesellschaftliches Engagement seien das Bindegewebe, das jede Demokratie zusammenhalte.

Das neue Hochschulgesetz wird nun von der EU-Kommission in einem förmlichen Verfahren überprüft, genauso wie das neue Gesetz für Asylverfahren, das die Internierung von Asylbewerbern vorschreibt. "Ich habe meine ernsthaften Zweifel, ob das alles mit europäischem Recht vereinbar ist", sagte Frans Timmermans.

Belgien Brüssel -  Frans Timmermans beim EU Hauptquartier
Frans Timmermans, EU-Kommissar freut sich auf Dialog mit Ungarn Bild: picture-alliance/AP Photo/V. Mayo

"Stoppt Brüssel!"

Am meisten regte den Vizepräsidenten der Kommission, der für rechtstaatliche Fragen zuständig ist, eine offizielle Befragung aller Haushalte in Ungarn auf. In dem von Orbans Regierung verschickten Fragebogen mit dem Titel "Stoppt Brüssel!" wird mit einer Reihe von suggestiven Fragen Stimmung gegen angebliche Diktate der EU in Steuerfragen, bei der Flüchtlingspolitik und beim Thema Energie gemacht.

"Es ist nicht 'Brüssel', das in der Europäischen Union entscheidet", wies Timmermans den ungarischen Premier zurecht, der mit starrem Blick, manchmal grinsend der Übersetzung aus seinen Kopfhörern lauschte. "Es sind die Mitgliedsstaaten, inklusive Ungarn, die in der EU die Entscheidungen treffen." Von Diktaten könne überhaupt nicht die Rede sein. Niemand zwinge Ungarn illegale Migranten aufzunehmen, es gehe um rechtmäßige Asylbewerber, die in der EU verteilt werden sollen, stellt Timmermans klar. Auch in der Steuerpolitik sei Ungarn völlig Herr des Geschehens, wie alle andere Mitgliedsstaaten auch. Ungarn habe sich selbst einen Mehrwertsteuersatz von 27 Prozent verordnet, den höchsten in der EU, nicht etwa Brüssel.

Ungarische Elite-Uni vor dem Aus

Orban gibt sich hart

Victor Orban ließ die Vorwürfe nicht auf sich sitzen, sondern holte zum Gegenschlag aus. "Ich verteidige hier mein Land", sagte er. George Soros, der gegen die Währung Euro sei, habe zehntausende Leben in Osteuropa durch spekulative Finanzgeschäfte ruiniert. Außerdem gehe es bei dem neuen Hochschul-Gesetz nicht allein um die "Zentraleuropa-Universität". Betroffen seien insgesamt 22 private Universitäten, die lediglich dem gleichen Standard unterworfen werden sollten, den andere Universitäten auch erfüllen müssten.

Der Rektor der "Zentraleuropa-Universität" habe selbst an seine Studenten geschrieben, dass die Uni nicht von Schließung bedroht sei, zitierte Orban aus einer e-mail des Rektors. Orban, der seit 2010 in Ungarn regiert, wiederholte, dass er ganz und gar der EU verpflichtet sei. Er wolle nur eine andere, eine reformierte Union. "Wir sind unglücklich mit der Arbeitsweise." Trotzdem habe er die Deklaration von Rom zur gemeinsamen Zukunft in der EU von ganzem Herzen Ende März unterschrieben.

George Soros
George Soros: Lieblingsfeind von Victor Orban?Bild: picture alliance/AP Photo/B.Szandelszky

Die Befragung der Bürger mit dem Titel "Stoppt Brüssel" sei nötig, weil er erfahren wollen, was die Menschen über die EU denken. Es bleibe dabei, Ungarn wolle und werde keine Migranten aufnehmen. Das werde man sich nicht vorschreiben lassen. Allerdings hatte die EU schon 2015 beschlossen, dass Asylbewerber aus Griechenland und Italien umgesiedelt werden sollen. Auch Ungarn müsste rechtlich gesehen rund 1000 Menschen aufnehmen.

Dagegen klagt die Regierung Orban vor dem Europäischen Gerichtshof. Die offiziellen Prüfverfahren, die die EU-Kommission jetzt anstrengt, sieht Orban wohl gelassen. Schon einmal hatte die Kommission 2011 ungarische Mediengesetze und die Reform des Verfassungsgerichts 2013 ins Visier genommen. Der Streit endete mit einem Kompromiss.

Ungarn Proteste in Budapest
Proteste gegen Orbans Gesetze in Budapest: Befreit die Universitäten!Bild: picture-alliance/AP Photo/MTI/J. Marjai

Zuviel  EU-Geld für Budapest?

In der Debatte im Parlament ging besonders der liberale Fraktionschef, Guy Verhofstadt, hart mit Orban ins Gericht. Ungarn nehme zwar gerne das Geld der Europäischen Union, wolle aber mit ihren Werten nichts zu tun haben. "Was kommt denn als nächstes, Herr Orban, wollen sie demnächst Bücher öffentlich verbrennen lassen?" fragte Verhofstadt mit Blick auf die vermutete Gängelung der Universitäten in Ungarn.

Ungarn ist einer der größten Nettoempfänger in der EU, bekommt also mehr Fördermittel aus dem gemeinsamen Haushalt als es einzahlt. Jeder Ungarn erhielt 2015  rein rechnerisch 470 Euro aus der EU-Kasse. Damit lag Ungarn an dritter Stelle hinter der Slowakei und Tschechien. "Wir sind keine Bettler", konterte Victor Orban daraufhin. Die Beihilfen seien gerechtfertigt, um im Osten Europas nach der kommunistischen Herrschaft die gleichen Bedingungen zu schaffen wie im Westen Europas.

Der britische Europaabgeordnete Nigel Farage, ein Vorkämpfer für den Brexit, fragte den ungarischen Premier, wann er denn endlich aus der EU austreten wolle, die das stolze Ungarn an der Nase herumführe? Darauf ging Victor Orban nicht ein. Stattdessen versprach er, einen offenen und ehrlichen Dialog mit der EU-Kommission über die strittigen Fragen führen zu wollen. EU-Vizepräsident Frans Timmermans antwortete, er freue sich darauf. Allerdings "wäre es nett, wenn sich Ungarn besonders bei seiner Befragung 'Stoppt Brüssel" auch an die Wahrheit und die Fakten halten würde." Die Verfahren, die jetzt folgen, können einige Jahre dauern und im Extremfall mit Strafen für das betroffene Mitgliedsland enden.

 

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union