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Strahlendes Erbe

Stefan Dege30. Dezember 2007

An den Stränden der Barentssee, nördlich der russischen Stadt Murmansk, rosten ausrangierte Atom-U-Boote vor sich hin. Mit deutscher Hilfe wird die tickende ökologische Zeitbombe entschärft. Stefan Dege war vor Ort.

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Ausgemustertes russisches Atom-U-Boot in MurmanskBild: AP

In schneller Folge ächzen zum Bersten volle Busse heran, spucken ihre Menschenfracht aus und nehmen neue Passagiere auf. Feierabend in Murmansk. Menschenströme schieben sich an diesem Spätnachmittag über den Lenin-Prospekt. Die Digitalanzeige mit ihren leuchtend roten Ziffern, die die aktuelle Strahlenbelastung kundtun, füllt eine ganze Hauswand. Niemand schert sich um die Strahlenanzeige. Obwohl jeder weiß: Nicht weit von hier tickt eine ökologische Zeitbombe.

Russland Murmansk Panorama
Plattenbau-Siedlung in der russischen Hafenstadt MurmanskBild: picture-alliance / dpa/dpaweb

Die Fahrt führt vorbei an ausladenden Fabrikruinen und stinkenden Müllkippen. Wie an einer Perlenkette aufgereiht, säumen marode Plattenbauten den felsigen Fjord, 30 Kilometer lang. Murmansk ist nicht nur die weltgrößte Stadt nördlich des Polarkreises, sondern auch die hässlichste. Im Zweiten Weltkrieg spielte der Hafen eine Schlüsselrolle - zunächst bei der Versorgung der Sowjetunion mit alliierten Hilfslieferungen, später als Basis für die Nordmeerflotte. Dank des Golfstroms bleibt der Hafen selbst im tiefsten Winter eisfrei, auch bei 30 Grad Minus.

Ökologische Zeitbombe

Spärlicher, moosiger Bewuchs mit niedrigem Gehölz, Birkenhaine, die sich an Teiche schmiegen - die karge Schönheit der Landschaft um Murmansk endet abrupt, wo nackte Felszungen in die Barentssee tauchen. Bewohner gibt es hier keine mehr. Wo einst die Katen der Fischer standen, ist heute militärisches Sperrgebiet. Schiffswracks ragen aus dem Meer. Vertäut an Schwimmpontons, dümpeln rotbraune Rümpfe in den fischreichen Fjorden. Kein schöner Anblick: In den Buchten der Barentssee verrostet der Stolz der früheren Sowjetunion: rund 150 ausrangierte Atom-U-Boote, in die Landschaft geworfen wie leere Cola-Dosen!

Russland Murmansk Friedhof der Atom-U-Boote
In einer Bucht vor Murmansk schwimmen die rostigen Rümpfe ausgedienter Atom-U-BooteBild: DW/Stefan Dege

Vom Tor des Bauzaunes aus hat man die beste Sicht auf das Baugelände, das sich zu unseren Füßen ausbreitet: Gleich vorne niedere Containerhütten. Aus ihren Schornsteinen dampft weißer Heizungs-Qualm. Silos eines Betonmischwerkes ragen auf, weiter hinten Wirtschaftsgebäude und Garagen, unter einem aufgeschütteten Wall der kaum verborgene Eingang zu einem Bunker. Doch die eigentliche Attraktion wirkt eher unspektakulär: Eine schlichte Betonplatte …

Militärischer Sperrbezirk

Ortstermin mit Kersten Müller, Projektleiter der "Energiewerke Nord“ (EWN) in Lubmin bei Greifswald. Seit gut zwei Jahren baut das deutsche Staatsunternehmen das atomare Langzeit-Zwischenlager für ausgediente russische U-Boot-Reaktoren. Stolz zeigt Müller, was bisher erreicht ist: Groß wie ein Fußballfeld, auf dem die Tore fehlen, erstreckt sich die gigantische Betonplatte. Darauf stehen haushohe Behälter, die aussehen wie die Kokons einer Monsterbiene.

Daten und Fakten zu Russland

Auf der benachbarten Nerpa-Werft haben russische Arbeiter zuvor die hochradioaktiven Brennelemente aus den Herzkammern der Unterseeboote gehievt. Zusehen zu müssen, wie die ehemals stolze Atomflotte in Stücke zersägt wird, schmerzt die russische Seele. Fast zwei Milliarden Dollar hatte Moskau für jedes seiner schwer bewaffneten U-Boote bezahlt - und sich damit letztlich zu Tode gerüstet.

Verlassene Fischerdörfer

Russland - Hafen in Murmansk
Verladekräne im Hafen von MurmanskBild: dpa

Ein Schwimmdock transportiert die stählernen Kolosse bei ruhiger See entlang der Fjord-Küste zum Langzeit-Zwischenlager. Über ein Schienensystem, das die Betonplatte rasterförmig durchzieht, können die Sektionen an jede x-beliebige Stelle manövriert werden. 14 Stück hat man bisher auf die Platte gesetzt wie Erdbeeren auf einen Tortenboden. Sieben weitere warten in der Nerpa-Werft auf die Verschiffung.

Nur einen Steinwurf vom Langzeit-Zwischenlager entfernt lässt sich noch besichtigen, wie es hier noch vor wenigen Jahren aussah. Die Marine hatte aus den Felsbuchten einen Schiffsfriedhof gemacht, die Menschen aus dem benachbarten Fischerdorf vertrieben.

600 Millionen Euro aus Deutschland

Die deutschen Ingenieure, die bei der Entsorgung der ausrangierten Atom-U-Botte helfen, kennen sich mit russischer Atomtechnik aus. Viele von ihnen haben in der Sowjetunion studiert. Deutschland, so rechnet Dr. Günther Bäuerle vom Berliner Bundeswirtschaftsministerium vor, lässt sich die Hilfe zunächst 300 Millionen Euro kosten. Nach dem Langzeit-Zwischenlager will Berlin auch noch ein nukleares Entsorgungszentrum für schwach- und mittelradioaktive Abfälle finanzieren. Kostenpunkt: Noch einmal 300 Millionen Euro. Letztlich hat auch Deutschland ein großes Interesse daran, dass die ausrangierten Atom-U-Boote so entsorgt werden, dass von ihnen keine Gefahr mehr ausgeht: nicht für Russland und auch nicht für Europa.

Misstrauischer Geheimdienst

Inzwischen hat Wachmann Dimitri den Kragen seiner Jacke hochgestellt - wegen der Kälte und des scharfen, eisigen Windes. Mit dem Reporter aus Deutschland darf er nicht sprechen. Kaum ist ein Mikrofon in Sicht, krächzt der Befehl des Vorgesetzten aus Dimitris Walkie-Talkie. So gibt sich Dimitri zugeknöpft, und lächelt entschuldigend. Ein westlicher Ausländer in einem russischen Sperrgebiet? Vor wenigen Jahren wäre das undenkbar gewesen. Da musste der russische Geheimdienst FSB über seinen Schatten springen!

Russland Murmansk Friedhof der Atom-U-Boote
DW-Reporter Stefan Dege im Gespräch mit Werft-Direktor GorbunovBild: DW/Stefan Dege

Auch jetzt ist der FSB nicht weit. Und zeigt seine Macht: Ein Besuch der nahelegenen Nerpa-Werft, wo die ausgedienten Untersee-Boote zerlegt werden, wird kurzfristig abgesagt. Begründet wird die Entscheidung nicht. Stattdessen werden Entschuldigungen vorgebracht und die "Einladung“ von Werft-Direktor Alexander Gorbunov, doch später einmal wiederzukommen. So müssen alle Vermittlungsversuche scheitern. Die wirklich sensiblen Bereiche des Projekts - sie bleiben der deutschen Öffentlichkeit und dem deutschen Steuerzahler, verborgen.