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Strategiewechsel auf der Genfer Friedenskonferenz?

Kersten Knipp1. Februar 2016

Der "Islamische Staat" treibt die Interessen von syrischer Opposition und westlichen Staaten immer weiter auseinander. Das nutzt dem Assad-Regime, das sich in Genf eine freundliche Geste leisten konnte.

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UN-Beauftragter Staffan de Mistura (re.) mit dem syrischen UN-Botschafter Bashar al Jaafari, 29.1.2016 (Foto: Reuters)
UN-Vermittler Staffan de Mistura (re.) mit dem syrischen UN-Botschafter Bashar al JaafariBild: Reuters/J. M. Ferre

Mit großen Vorbehalten ist die syrische Opposition in die Friedensgespräche am Genfer See eingestiegen: Am Sitz der Vereinten Nationen in Genf setzte sich das Hohe Verhandlungskomitee (HNC) zu Beratungen mit UN-Vermittler Staffan de Mistura zusammen und pochte dabei auf Hilfen für die notleidende Bevölkerung. Vor allem drängten sie darauf, dass das Assad-Regime von der Belagerung mehrerer syrischer Städte ablasse und auch keine Angriffe auf die Zivilbevölkerung mehr führe. De Mistura hatte der Opposition am Sonntag versichert, sich für diese Forderungen einzusetzen.

Tatsächlich sagte die Regierung in Damaskus nach UN-Angaben grundsätzlich das Durchlassen von Hilfslieferungen in belagerte Städte wie Madaja zu, in denen viele Menschen an Hunger leiden. "Die Regierung hat im Prinzip Konvois zugelassen", sagte der Sprecher der UN-Behörde für die Koordinierung humanitärer Hilfe (Ocha), Jens Laerke, am Montagabend. In Madaja werden mehr als 40.000 Menschen seit dem Herbst von Regierungstruppen belagert. Weil keine Hilfe in die Stadt kommt, sind dort nach Angaben von Ärzte ohne Grenzen schon 46 Menschen verhungert. Ocha-Sprecher Laerke sagte, die Zusage für das Durchlassen von Konvois gelte auch für Kafraja und Fua. Diese beiden Städte werden von Rebellen belagert.

Heimtückischer Angriff des IS

Ziel der Genfer Friedensgespräche sind indirekte Friedensverhandlungen zur Beendigung des Bürgerkriegs in Syrien, bei dem seit März 2011 rund 260.000 Menschen getötet wurden. Und in einem sind sich alle Teilnehmer einig: Die Terrorgruppen "Islamischer Staat" (IS) und "Nusra-Front" haben an dem Verhandlungstisch nichts zu suchen. Mehr noch: Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen forderte in seiner im Dezember verabschiedeten Resolution 2254 alle Konferenz-Teilnehmer auf, terroristische Handlungen insbesondere dieser beiden Gruppen "zu verhüten und zu unterbinden".

Am Sonntag zeigte der IS durch ein blutiges Attentat auf den Distrikt des Sayyida-Zaynab-Schreins in Damaskus, wie leicht die Aufrufe des UN-Sicherheitsrats ins Leere laufen können. Und den Konferenzteilnehmern selbst rief der IS durch den heimtückischen Angriff auf das schiitische Heiligtum mit über 50 Toten in Erinnerung, dass er zwar nicht mit am Verhandlungstisch sitzt, man aber trotzdem mit ihm rechnen muss.

Terror gibt Konferenz die Richtung vor

Vor allem aber dürfte die Attacke dazu beitragen, die Konferenz von Anfang an in eine bestimmte Richtung zu drängen. Denn nun dürften sich zumindest einige der Teilnehmer, allen voran Russland, Syrien und die USA, noch stärker auf die Dschihadisten als den wesentlichen Gegner konzentrieren – mit der Folge, dass das Assad-Regime in den Hintergrund tritt. Für die syrische Opposition hingegen ist Assad der wichtigste Gegner. Die Interessen beider Gruppen laufen unübersehbar immer weiter auseinander.

Genau das hatten die Vertreter des Hohen Verhandlungskomitees (HNC) - es vertritt die bedeutendsten Gruppe der (gemäßigten) syrischen Opposition - von Anfang an befürchtet. Auch darum hatten sie im Vorfeld der Konferenz auf ihren Vorbedingungen bestanden.

Häuserzug in der syrischen Stadt Maaret al-Numan nach einem Luftangriff. Dieser wurden Augenzeugen zufolge von russischen Kampfjets geflogen, 09.01.2016 (Foto: Getty Images / AFP)
Häuserzug in der syrischen Stadt Maaret al-Numan nach einem Luftangriff. Dieser wurden Augenzeugen zufolge von russischen Kampfjets geflogenBild: Reuters/K. Ashawi

"Amerikaner weichen vor Russen zurück"

Zugleich hatte das HNC die russischen Angriffe scharf kritisiert. Allein am Sonntag waren Presseberichten zufolge über 100 syrische Zivilisten durch russische Flugzeug- und Raketenattacken getötet worden. Bereits in der vergangenen Woche seien sehr viele syrische Zivilisten gestorben.

Der Anschlag des IS in Damaskus könnte nun dazu beitragen, dass sich die Konferenz weniger auf die russischen Attacken als auf die des IS konzentriert. Dies auch darum, weil auch die USA in den vergangenen Monaten die Dschihadisten als größte Gefahr definierten – und, anders als in den ersten Jahren des syrischen Kriegs, nicht mehr das Assad-Regime.

"US-Außenminister Kerry hat keine Versprechen gemacht und neue Initiativen vorgelegt", kritisierte Khaled Khoja, Präsident der oppositionellen "Syrischen Koalition". "Seit langem sendet er Botschaften, die denen Irans und Russlands ähnlich sind."

Besonders beunruhigend ist für viele syrische Oppositionelle, dass sich Russland durch sein rigoroses Vorgehen immer weiteren Einfluss in Syrien verschafft. "Die Amerikaner weichen vor den Russen zurück", fasst die Zeitung "Al-Araby al-jadeed" die Situation zusammen. "Das ist für viele Syrer darum so dramatisch, weil weder Russland noch das Assad-Regime sich ihrem Gegner gegenüber als sonderlich friedlich zeigen."

Protest gegen die internationale Syrien-Politik vor dem Konferenz-Gebäude, 29.1.2016 (Foto: Reuters)
Protest gegen die internationale Syrien-Politik vor dem Konferenz-GebäudeBild: Reuters/D. Balibouse

Wachsende politische Differenzen

Den internationalen Akteuren hingegen stellt sich das Regime nur als indirekte Bedrohung dar. Für sie sind vor allem die Terrorgruppen, allen voran der IS, gefährlich. Er könnte Europa, Russland und auch die USA mit weiteren Anschlägen überziehen. Für deren Vertreter steht der Kampf gegen die Dschihadisten im Vordergrund.

Es scheint, als wüchsen sich die strategischen Differenzen auch zu politischen aus. Das hat zur Folge, dass sich das Verhältnis zwischen gemäßigten Syrern und ihren - längst sehr verhalten reagierenden - westlichen Verbündeten noch weiter abkühlt. "Der Krieg, die Masseneinwanderung nach Europa und eine extremistische Gruppe, die noch brutaler als Al-Kaida ist – all dies läuft darauf hinaus, das viele amerikanische und europäische Politiker (sc. der syrischen Opposition, die Red.) inzwischen als reaktionäre Kräfte gelten, die entschlossen sind, die autoritären Regime zu stärken", schreibt Al-Araby al-Jadeed".

Folgen des IS-Anschlags im Sajeda Sainab -Distrikt in Damaskus, 31.1.2016 (Foto: Getty Images / AFP)
Der Sajeda Sainab -Distrikt nach dem IS-AnschlagBild: Getty Images/AFP/L. Beshara

Trumpfkarte der syrischen Opposition

Doch auch die syrische Opposition hat einen Trumpf in der Hand schreibt die Zeitung "Al-Sharq al-Awsat". Die Kosten des Krieges seien hoch – und die militärischen Erfolge zugleich relativ überschaubar. Wie lange Russen und Iraner noch gewillt seien, die Kosten zu tragen, sei ungewiss.

Ohne die bewaffnete syrische Opposition, erklärte einer ihrer Sprecher, ließen sich IS und andere dschihadstische Gruppen nicht angemessen bekämpfen. Sollten die im Syrien-Krieg involvierten Staaten ihre Hilfe in Anspruch nehmen, dürfte die syrische Opposition dafür weitere Zugeständnisse fordern.