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Strauss-Kahn: Nackte Tatsachen vor Gericht

Barbara Wesel, z.Zt. Lille10. Februar 2015

Die Anklage lautet auf organisierte Zuhälterei. Aber Strauss-Kahn beteuert vor Gericht seine Unschuld - er habe nicht gewusst, dass die Frauen bei seinen Sexpartys bezahlte Prostituierte waren. Aus Lille Barbara Wesel.

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Femen-Protest beim Dominique Strauss-Kahn-Prozess in Lille (Foto: REUTERS/Pascal Rossignol)
Bild: Reuters/P. Rossignol

Die Frauen von Femen haben ein Gespür für den besonderen Auftritt: Sich "oben ohne" vor den Wagen von Dominique Strauss-Kahn zu werfen, garantiert ihren Platz in den Fernsehnachrichten der Welt. Polizisten mussten die Protestierenden von der Limousine des Angeklagten zerren, der auf dem Weg in die Tiefgarage des Gerichtsgebäudes in Lille war.

Kurz darauf beteuerte DSK, wie er in Frankreich genannt wird, einmal mehr seine Unschuld im Sinne der Anklage: "Ich habe keine Verbrechen und keine Vergehen begangen, und es gab auch nicht diese zügellosen Aktivitäten von denen die Rede ist". Damit ist wohl die Anklageschrift gemeint, in der von einem "ungewöhnlichen sexuellen Appetit" des Angeklagten die Rede ist. Der kompakte ältere Herr im feinen dunklen Anzug verzieht dazu keine Miene.

Vom potentiellen Präsidentschaftskandidaten in den Gerichtskeller

Der Zeugenstand im unterirdischen Gerichtssaal in Lille besteht aus einem merkwürdigen Betonklotz, an dem man sich nicht festhalten und hinter dem man sich nicht verstecken kann. Aber Dominique Strauss-Kahn zeigt keine Nervosität. Er ist öffentliche Auftritte gewohnt, aus seinem früheren Leben als Wirtschaftsberater der Regierung, graue Eminenz der französischen Politik und Präsidentschaftskandidat in spe, schließlich Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington. Von jenen Höhen in den Keller eines Provinzgerichtes war es ein langer Fall, und die französische Presse verfolgt den tiefen Sturz des DSK nach wie vor mit leicht angewiderter Faszination.

Dominique Strauss-Kahn (Foto: AP Photo/Darko Vojinovic)
Seine Karriere liegt in Trümmern: Ex-IWF-Chef Dominique Strauss-KahnBild: picture-alliance/AP Photo/D. Vojinovic

Der Vorsitzende Richter fragt sachlich nach dem Lebenslauf, dem Einkommen und den Umständen des Angeklagten. "Geschieden", gibt Strauss-Kahn zu Gericht, die nicht enden wollende Kette an Skandale hat ihn vor zwei Jahren auch seine Ehe mit der Journalistin Anne Sinclair gekostet. Ein Investmentunternehmen, das er nach dem Ende seiner politischen Karriere mit einem Kompagnon gegründet hatte, ging aus undurchsichtigen Gründen Pleite, sein Partner beging Selbstmord. Der tiefste Punkt in der Karriere ist jetzt mit diesem Prozess in der Provinzstadt Lille erreicht. Kleine Geschäftsleute, ein Polizeikommissar, Hotelangestellte und ein paar Halbweltgestalten aus dem französisch-belgischen Grenzgebiet sitzen hier mit Dominique Strauss-Kahn auf den Stühlen für die Angeklagten.

Swinger-Abende, Sex und Tränen

Einige von ihnen gehörten zu dem "Freundeskreis", der für die Organisation der Swinger-Abende zuständig war, bei denen es nach Aussagen der Mitangeklagten vor allem darum gegangen sein soll, dem wichtigsten Teilnehmer der Veranstaltungen Vergnügen zu bereiten: Dominique Strauss-Kahn. Nach der Anklageschrift geht es um insgesamt elf solcher Partys, das waren nur ungefähr vier im Jahr, sagt der frühere Politiker an einer Stelle nebenbei. Er habe schließlich nicht soviel Zeit gehabt in jenen Jahren nach der Finanzkrise als Chef des Internationalen Währungsfonds, schon gar nicht um solche Treffen zu organisieren.

Das Carlton Hotel in Lille von Außen (Foto: REUTERS/Pascal Rossignol)
Im Carlton Hotel in Lille sollen die Orgien stattgefunden habenBild: Reuters/P. Rossignol

Heute kann es für ihn nur noch darum gehen, seine eigene Haut zu retten. In einem Schreiben an das Gericht erhebt er den Vorwurf, das Verfahren sei politisch und durch Moralvorstellungen begründet, nicht durch das Strafrecht. Freimütig gibt der 65-Jährige Auskunft über seine sexuellen Vorlieben, um dem Vorwurf der Zuhälterei zu entkräften: Prostituierte seien überhaupt nicht sein Geschmack, er möge einen spielerischen Umgang mit Sex und Partys bei denen gefeiert werde. Diese Aussage steht in ziemlich direkten Gegensatz zur Aussage einer Frau, die bei einem dieser Abende im Pariser Hotel Murano beteiligt war. Mounia R. erzählt, sie sei nur wegen des Geldes dorthin gekommen, und bricht dabei in Tränen aus. Strauss-Kahn habe Praktiken von ihr verlangt, die sie nicht wollte, er sei ziemlich brutal vorgegangen. Hinterher habe einer der ebenfalls anwesenden Freunde von DSK ihr im Taxi das vereinbarte Honorar überreicht. Strauss-Kahn selbst habe von dieser und anderen Geldübergaben nach dem Sex nichts gewusst und bemerkt - seine Freunde hätten es wohl vor ihm verborgen, um ihm einen Gefallen zu tun, erklärt der Angeklagte.

Moralansichten in Frankreich haben sich verändert

Der Mann, der einst mit den Mächtigen dieser Welt an einem Tisch saß, muss sich heute mit den Aussagen von Escort-Mädchen und Prostituierten, sowie deren mehr oder minder zwielichtigen Begleitern auseinandersetzen. Dabei wird es der Staatsanwaltschaft nicht leicht fallen, den Strafvorwurf der Zuhälterei zu beweisen. Aber allein dieser wochenlange Prozess zerstört für Strauss-Kahn die letzten Illusionen eines politischen oder gesellschaftlichen Comebacks, selbst wenn er den Gerichtssaal am Ende als freier Mann verlassen sollte.

Die französische Öffentlichkeit verfolgt den Prozess mit einer Mischung aus Faszination, Neugier und leichter Abscheu. Denn der Skandal um den früheren sozialistischen Spitzenkandidaten hatte ein nationale Debatte ausgelöst: Über die Macho-Allüren mancher französischer Spitzenpolitiker, über das Schweigen der Presse was deren sogenanntes Privatleben anging und über den respektlosen Umgang mit Frauen. Die Ansichten über die Moral der Mächtigen haben sich in den letzten Jahren in Frankreich verändert - Dominique Strauss-Kahn erscheint in diesem Gerichtssaal bereits wie ein Relikt aus einer vergangenen Zeit.