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Der ukrainische Philosoph Gregorius Skoworoda

Torsten Landsberg
11. Mai 2022

Die Sowjetunion ehrte Gregorius Skoworoda mit einem Museum in der Ukraine. Nun wurde es durch russische Raketen zerstört. Skoworoda ist ein Symbol der Freiheit, sagt der Philologe Gasan Gusejnov.

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Eine alte Frau berührt die beschädigte Statue von Gregorius Skoworoda.
Symbol der Freiheitsliebe: die leicht beschädigte Statue Gregorius SkoworodasBild: Sergey Bobok/AFP/Getty Images

Gregorius Skoworoda ist in der Ukraine vielerorts präsent, im ganzen Land finden sich Würdigungen für den Philosophen und Dichter. Eine der ältesten Hochschulen des Landes, die Nationale Pädagogische Skoworoda Universität Charkiw, trägt seinen Namen ebenso wie die 1986 gegründete Gregorius Skoworoda Universität in Pereiaslav, knapp 100 Kilometer südlich von Kiew. Skoworodas Konterfei ziert 500-Hrywen-Banknoten.

Der nach seinem berühmten ehemaligen Einwohner benannte Ort Skovorodynikwa beherbergt zudem das Haus, in dem Skoworoda sein letztes Lebensjahr verbrachte. 1972 entstand dort zu Ehren des Dichters ein Literaturmuseum, das Hryhoriy Skovoroda Literary Memorial Museum.

Vor wenigen Tagen wurde dieses Gebäude nahe der ostukrainischen Stadt Charkiw bei einem russischen Raketenangriff schwer beschädigt. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von einem Anschlag auf das Gedenken Skoworodas, "der die Menschen gelehrt hat, was eine wahre christliche Lebenseinstellung ist und wie ein Mensch sich selbst erkennen kann".

Gregorius Skoworoda
Ein Paradiesvogel seiner Zeit: der Dichter und Philosoph Gregorius SkoworodaBild: public domain

Ein Mann wurde verletzt, die Objekte des Museums hingegen, darunter zahlreiche Manuskripte, waren zuvor bereits aus dem Gebiet in Sicherheit geschafft worden. Eine Statue Skoworodas überstand den Angriff nahezu unbeschädigt. 

Die Zerstörung des Museums hat Symbolkraft: Hier das Gedenken an ein Idol der individuellen Freiheit, dort die Angreifer, die Freiheit bekämpfen. Auch die Statue des vom russischen Präsidenten Wladimir Putin einst gewürdigten ukrainischen Lyrikers Taras Schewtschenko in der Nähe von Kiew ist mehrmals beschossen und schwer beschädigt worden. Seit Beginn der Invasion zählt die Ukraine Schäden an mehr als 200 Kulturstätten.

Bis heute ist Gregorius Skoworoda nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Russland eine bedeutende historische Figur. Im vergangenen Jahr schrieb Wladimir Putin in einem Beitrag mit dem Titel "Über die historische Einheit von Russen und Ukrainern" über Skoworoda und Künstler wie Schewtschenko: "Ihre Werke sind unser gemeinsames literarisches und kulturelles Erbe."

Die Sowjetunion ehrte Skoworoda anlässlich seines 250. Geburtstags 1972 mit einer Briefmarke. Im selben Jahr war auch das Museum gegründet worden.

"Für die Sowjets akzeptabel"

Gasan Gusejnov, Altphilologe am Osteuropa-Institut der FU Berlin, beschreibt im Gespräch mit der DW die Zeit nach dem Zerfall des Russischen Kaiserreichs und der Entstehung der Sowjetunion, deren Republiken eigene Nationalsprachen, Künstler und Schriftsteller hatten: "Aus diesen Republiken wurde das Gedenken an historische Personen bewahrt, die nicht kontrovers gewesen sind."

Skoworoda habe sich nie kritisch zum Zarentum oder Russischen Reich geäußert und meist in russischer Sprache geschrieben. "Er war für die Sowjets akzeptabel, sie sahen ihn nicht als gefährlichen Dichter", sagt Gusejnov.

Helfer tragen eine Statue von Gregorius Skoworoda aus einem beschädigten Haus eine Treppe herunter.
Helfer tragen Skoworodas Statue aus dem stark beschädigten MuseumBild: Sergey Bobok/AFP/Getty Images

Gregorius Skoworoda kam am 3. Dezember 1722 im Russischen Kaiserreich zur Welt, im Ort Tschornuchy, heute Staatsgebiet der Ukraine. Ab den 1730er-Jahren studierte er an der Geistlichen Akademie in Kiew, später eignete er sich Kenntnisse in Latein, Griechisch und Deutsch an, interessierte sich für antike philosophische Literatur.

Skoworoda arbeitete als Lehrer für Dichtkunst, verlor die Stelle jedoch im Streit mit der Schulleitung und wurde Hauslehrer. 1760 ging er als Professor für Dichtkunst an ein Kollegium in Charkiw, lehrte auch Griechisch und Ethik, bis er sich 1769 von allen Tätigkeiten zurückzog, um sich seinen philosophischen Schriften zu widmen, die allesamt postum erschienen. Bis er sich im nun zerstörten Haus nahe Charkiw niederließ, wanderte er durch das Land. Am 9. November 1794 starb Skoworoda.

Ein Traum im Jahr 1758 soll seine spirituelle Ablehnung des Materiellen ausgelöst haben. Zu diesem Zeitpunkt war Skoworoda bereits viel gereist und sah sich in der Heimat der Herausforderung gegenüber, die Philosophie im Russischen Reich zu verbreiten, das so viel größer war als Griechenland, die Wiege der Philosophie.

Heute wird Skoworoda gerne als ukrainischer oder russischer Sokrates bezeichnet - was wohl vor allem auf ein Zitat von ihm zurückgeht, in dem er sich Gott als Sklave andient, der sich "vorgenommen und gewünscht hat, Sokrates in Russland zu sein".

Ukrainische Banknote mit Gregorius Skoworoda
Skoworodas Porträt auf einem ukrainischen GeldscheinBild: public domain

"Ein interessanter und freier Mensch"

"Tatsächlich ist er kein besonders bedeutender Philosoph gewesen", sagt Gasan Gusejnov. "Seine Texte waren nicht so wichtig, er überzeugte eher durch seine rednerische Kraft." Die Einordnung seines philosophischen Schaffens werde "ein bisschen übertrieben".

Das gelte allerdings ausdrücklich nicht für die Person Skoworodas. "Er war ein interessanter und freier Mensch und eine seltene Persönlichkeit, fast schon ein Paradiesvogel im Russland des 18. Jahrhunderts", sagt Gusejnov. Es sei unüblich gewesen, so viel zu reisen, nicht nur innerhalb des Russischen Reiches, sondern auch nach Wien und Budapest, möglicherweise nach Italien.

Durch seine Reiseerfahrungen habe Skoworoda später als Professor vor seinen Studenten eine Rolle als Vermittler zwischen Russland und Europa einnehmen können. "Er war den Menschen zugewandt und ist ein Lernender geblieben."

Streben nach Glück

Gregorius Skoworodas Kernthema war das Streben nach Glück und Freiheit durch Selbstfindung. Beides sollte in Einklang mit Gott erreicht werden. Mit der Kirche habe Skoworoda aber seine Probleme gehabt, sagt Gasan Gusejnov: "Für die damalige Zeit war er eher ein Dissident in der Kirche, weil er die religiöse Dichtung ablehnte und es dadurch in seinen Rhetorik-Kursen zu Konflikten kam." Skoworoda sei "ein friedensliebender Mensch mit einer Neigung zu Freiheit und Humor" gewesen - eine Kombination, die nicht so recht zur Strenge der Kirche gepasst habe.

Nach der Bombardierung des Museums hätten viele Menschen das Gefühl, die menschliche Seele sei getroffen worden, meint Gasan Gusejnov. "Skoworoda ist in der Ukraine, die so lange Zeit als 'Kleine Rus' unterdrückt war, ein wichtiges Symbol für Freiheitsliebe."