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Streit um Megaknast

Martin Kübler / cr13. August 2015

In Haren, einem Vorort von Brüssel, soll ein riesiges Gefängnis entstehen. Die Anwohner gehen dagegen auf die Barrikaden. Doch es könnte zu spät sein, um das Projekt zu stoppen, berichtet Martin Kübler aus Brüssel.

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Protestplakat auf dem Baugelände in Haren (Foto: DW/M. Kübler)
Bild: DW/M. Kübler

Wenn man mit dem Zug in den Bahnhof von Haren einfährt, einer Vorstadt von Brüssel, fällt einem sofort ein Satz auf, den jemand mit großen grünen Buchstaben an eine Betonwand neben den Gleisen gesprüht hat. "Ein Gefängnis ist keine Lösung", steht dort, und dieser Satz steht beispielhaft für das, was viele in der Gemeinde denken.

Doch es sieht so aus, als würde die Stadt Brüssel anders denken: dass ein Riesengefängnis in der kleinen Gemeinde im Nordosten der belgischen Hauptstadt die einzige Möglichkeit ist, um drei altmodische, überfüllte Gefängnisse nahe des Stadtzentrums zu ersetzen.

Zu Fuß dauert es fünf Minuten vom Bahnhof im Zentrum von Haren bis zu dem Gelände, auf dem der Megaknast enstehen soll. Der Weg führt durch ruhige Straßen, vorbei an einer kleinen Kirche, Läden und Gärten. Obwohl von Bahngleisen, mehrspurigen Straßen und ehemaligen Industrieanlagen umgeben, sind die 18 grasbewachsenen Hektar erstaunlich idyllisch.

Seit dem letzten Jahr wird die Fläche, die der belgischen Regierung gehört, von wechselnden Protestgruppen besetzt, die den Bau des geplanten Gefängnisses verhindern wollen. Sie haben Gärten angelegt, organisieren Konzerte und veranstalten gemeinsame Abendesen mit den Einwohnern, um Aufmerksamkeit für ihr Anliegen zu erregen.

Die Proteste waren jedoch nicht immer friedlich. Anfang des Jahres wurde das Privathaus von Rudi Vervoort, dem Regierungschef der Region Brüssel-Hauptstadt, verwüstet, ebenso wie die Häuser von anderen Personen, die mit dem Projekt zu tun haben. Eine Gruppe Anarchisten soll außerdem für Schäden am Büro eines der Architekten verantwortlich sein. Dort wurden Fensterscheiben eingeschlagen. Außerdem wurde ein Brand auf einer von dem Architekturbüro betreuten Baustelle gelegt.

Hütte auf dem Baugelände in Haren, in der Demonstranten ausharren (Foto: DW/M. Kübler)
In Hütten, Zelten und Wohnwagen harren die Demonstranten auf der Baufläche aus.Bild: DW/M. Kübler

An diesem Sommermorgen ist es jedoch ruhig und friedlich. Etwa zehn Menschen kriechen einer nach dem anderen aus ihren Zelten oder öffnen die Türen ihrer Wohnwagen, greifen sich Wasserbehälter und gehen in die Gemeinschaftsküche oder zum Gemeinschaftswaschplatz. Die meisten von ihnen wollen nicht mit der Presse sprechen, aber eine Sache machen sie deutlich: Es gibt keinen Platz in Haren für das Megagefängnis.

Zustände verschlechtern sich

Das Gefängnis für etwa 1200 Insassen soll drei veraltete Gefängnisse in der Nähe des Stadtzentrums, in den wohlhabenden Stadtteilen Saint-Gilles und Forest mit ihren Reihenhäusern aus der Gründerzeit, ersetzen. Obwohl Teile der Gefängnisse erst vor kurzem renoviert wurden, verfallen die beeindruckenden teilweise über 100 Jahre alten Gebäude zunehmend und sind völlig überfüllt.

"Es ist furchtbar, wirklich furchtbar", sagt Geoffrey Coomans de Brachene, Brüsseler Stadtrat und zuständig für Stadtplanung. "Internationale Institutionen haben die Zustände dort schon heftig verurteilt und sie mit Gefängnissen in der Türkei oder Mexiko vergleichen. Das ist wirklich schockierend."

Zurück auf dem besetzten Bauland. Einer der weniger Demonstranten, die bereit sind mit der DW zu sprechen, ist Gael, ein schlanker barfüßiger Mann in den Dreißigern.

Gael ist sich im Klaren darüber, dass ein neues Gefängnis gebraucht wird. Aber die drei alten Gefängnisse liegen in reicheren Gegenden, erklärt er. Das seien Grundstücke, auf denen die Stadt und Investoren liebend gern Appartments und öffentliche Einrichtungen, wie Kindergärten oder Schulen bauen würden. Eigentlich werden solche Einrichtungen dringend gebraucht. Doch Gael ist der Meinung, dass das Feld in Haren so bleiben soll wie es ist, ein natürlicher Rückzugsort und Treffpunkt der Anwohner.

"Außerdem ist es viel zu weit vom Stadtzentrum entfernt", sagt er. Die Entfernung halte Besucher davon ab, zum Gefängnis zu kommen. Die Fahrt mit Straßenbahn, Zug und Bus würde knapp eine Stunde dauern. "Die Gefangenen sind auch Menschen. Sie verdienen es, Kontakt zu ihrer Familie zu haben."

Pferde grasen auf dem Baugelände. Im Hintergrund ein Flugzeug am Himmel (Foto: DW/M. Kübler)
Wo heute noch Pferde grasen, soll demnächst ein Gefängnis für 1200 Insassen entstehen.Bild: DW/M. Kübler

Einige Straßen weiter putzt ein Mann um die 60 die Fenster seines Hauses. Seinen Namen will er nicht nennen, er wohne dort schon sein ganzes Leben lang, sagt er gegenüber der DW. "Es ist nicht so, dass wir ausdrücklich gegen dieses Gefängnis sind", stellt er klar. Allerdings seien viele seiner Nachbarn besorgt wegen des zusätzlichen Stresses, den ein Gefängnis dieser Größe auf die Gemeinde ausüben würde. In dem Stadtteil liege bereits das NATO-Hauptquartier, die europäische Flugsicherung Eurocontrol, ein Busdepot der Stadt, ein riesiges Bahnbetriebswerk, fast so groß wie das geplante Gefängnis, und nicht zu vergessen der Internationale Flughafen ganz in der Nähe. "An einem gewissen Punkt muss man sagen: Es reicht!"

Die Stadt und die Region hätten den zunehmenden Verkehr, der mit dem Gefängnis einherginge, nicht ausreichend bedacht, sagt er. Die täglichen Besucher, Anlieferungen, Gefangenentransporte und die Gefängnismitarbeiter würden die sowieso übervollen Straßen um das Gelände noch weiter verstopfen. Die Anwohner hätten ihre Sorgen der Stadt mitgeteilt, aber er erwarte nicht, dass das etwas bringen werde. Schließlich seien sie in der Innenstadt und weit weg vom Problem. "Aus den Augen, aus dem Sinn", sagt er und zuckt mit den Schultern.

Wie eine kleine Stadt

Es sei alles nicht so einfach, sagt Coomans de Brachene der DW. Das Projekt sei von der Vorgängerregierung an die jetzige Regierung übergeben worden. Wegen der Komplexität zwischen den verschiedenen politischen Ebenen in Belgien - das Gefängnis ist ein Bundesprojekt, aber die verschiedenen Genehmigungen müssen von der Region erteilt werden - sei so etwas nicht leicht zu stoppen.

Coomans de Brachene teilt die Verkehrssorgen der Anwohner. Ursprünglich sei das Gefängnis gar nicht in der Größe geplant gewesen. Nach den jetzigen Plänen sei das "wie eine kleine Stadt", zu der jeden Tag mehrere tausend Menschen Zugang haben, sagt er.

Wird der Megaknast so gebaut, wie er geplant ist, würde er auf 150.000 Quadratmetern acht Gebäude umfassen. Es gäbe drei Einrichtungen für Männer, zwei für Frauen, ein Forensisch-Psychatrisches Zentrum und eine Jugendeinrichtung. Die Pläne beinhalten außerdem einen Gerichtssaal, Sportplätze, ein Besucherzentrum, Sicherheitseinrichtungen und ein Krankenhaus, alles innerhalb einer "Dorfgemeinschaft", Ziel sei "Integration und Rehabilitation" und "nicht einfach nur Bestrafung", wie es in einer Pressemitteilung aus dem Jahr 2013 heißt.

Computerplan des Gefägnisses. Gebäude sind um einen Park angeordnet (Foto: Cafasso Consortium)
So soll das Gefängnis aussehen. Die Einrichtung ist so groß wie eine kleine Stadt.Bild: Cafasso

Coomans de Brachene sagt, es müssten bis Ende des Jahres noch einige Genehmigungen erteilt werden und es bestehe noch die Chance, dass die Bundesregierung noch etwas am Ausmaß des Projekts ändert. Aber er glaubt, dass mittlerweile zu viel Geld ausgegeben wurde, um noch etwas zu stoppen.

Kleine Gebäude, die Auswahl der Materialien wie Holz und Ziegelsteine und grüne Dächer sollen das Gefängnis optisch mit den umliegenden Häusern verschmelzen und für ein "menschlicheres" Umfeld sorgen. Ein Versuch die Gefängnismauern so gut wie möglich zu verbergen.

Aber das werde möglicherweise nicht ausreichen, um die zukünftigen Nachbarn des Megaknasts zu besänftigen, sagt der ältere Mann, der seine Fenster putzt. Die Gemeinde habe die Nase voll, sie "wollen nichts mehr mit Brüssel zu tun haben". Aber wahrscheinlich haben sie keine andere Wahl.