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Streit um Corona-Booster-Impfung

24. September 2021

Für wen ist die dritte Impfung gut? In Deutschland und den USA gibt es jetzt eine Empfehlung für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe. Die Experten sind sich aber noch uneinig, wer sie definitiv bekommen sollte.

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Symbolbild  Mu-Corona Variante
Bild: Bernd Weißbrod/dpa/picture alliance

Booster-Impfung oder nicht? Politik, Behörden und Wissenschaft sind noch uneins, wie sinnvoll eine dritte Corona-Impfung in der Bekämpfung der Pandemie ist. Im Streit um Corona-Auffrischungsimpfungen in den USA hat die Chefin der Gesundheitsbehörde CDC, Rochelle Walensky, nun ein Machtwort gesprochen - und sich über die Empfehlung eines Expertengremiums hinweggesetzt. Die CDC empfiehlt fortan eine Drittimpfung mit dem Vakzin von Biontech/Pfizer auch für Beschäftigte in Berufen mit hohem Ansteckungsrisiko. Damit kann die Auffrischungs-Impfkampagne in den USA beginnen.

Ein CDC-Ausschuss hatte am Donnerstag dafür gestimmt, eine sogenannte Booster-Impfung für Menschen ab 65 Jahren und für Menschen mit erhöhtem Risiko für eine schwere Erkrankung zu empfehlen. Das Gremium stimmte aber mit neun zu sechs Stimmen gegen eine Aufnahme von Beschäftigten in Berufen mit hohem Ansteckungsrisiko in die Impfkampagne.

USA Washington | Coronavirus | Rochelle Walensky
Rochelle Walensky ist Direktorin des US-Centers for Disease Control and Prevention (CDC)Bild: Stefani Reynolds/The New York Times/AP/picture alliance

Die Experten widersprachen damit der Arzneimittelbehörde FDA. Diese hatte am Mittwoch den Biontech/Pfizer-Impfstoff für die Auffrischungsimpfung auch bei Beschäftigten mit hohem Infektionsrisiko wie etwa Beschäftigte im Gesundheitswesen, Lehrer und Kindertagesstättenpersonal, Beschäftigte in Lebensmittelgeschäften und in Obdachlosenheimen oder Gefängnissen genehmigt.

Diskussion über Auffrischungsimpfung

Die Debatte spiegelt die gespaltene Expertenmeinung in der Frage der Sinnhaftigkeit von Auffrischungsimpfungen für jüngere Personengruppen wider.

Das letzte Wort lag nun bei CDC-Chefin Walensky - sie setzte sich in einem seltenen Schritt über die Empfehlung der Experten ihres Hauses hinweg und schloss sich der Auffassung der FDA an. "In einer Pandemie müssen wir, auch wenn es Unsicherheiten gibt, Schritte ergreifen, von denen wir annehmen, dass sie zum größten Allgemeinwohl führen", erklärte Walensky.

Mit der CDC-Empfehlung haben der Behörde zufolge rund 26 Millionen Menschen in den USA Anspruch auf eine Drittimpfung mit Biontech/Pfizer. Darunter sind rund 13 Millionen Menschen ab 65 Jahren. Die Booster-Impfung kann sechs Monate nach der zweiten Impfdosis verabreicht werden.

Biden will dritte Impfung

Präsident Joe Biden sagte, die Corona-Booster würden frei und leicht zu bekommen sein. Er selbst würde sich ebenfalls ein dritte Mal impfen lassen - sobald er könne. Biden hatte eigentlich bereits am vergangenen Montag mit der Auffrischungskampagne beginnen wollen - und zwar mit den Vakzinen von Biontech/Pfizer und Moderna.

USA Washington | Corona-Gipfel | Präsident Joe Biden
Präsident Biden bei einem virtuellen Covid-19-GipfelBild: Evan Vucci/AP Photo/picture alliance

Eine Empfehlung für eine Auffrischungsimfpung mit den Vakzinen von Moderna und Johnson & Johnson, die in den USA ebenfalls eingesetzt werden, gibt es noch nicht.

Stiko gibt keine generelle Booster-Empfehlung

In Deutschland hat die Ständige Impfkommission (Stiko) vorerst kein grünes Licht für eine generelle Empfehlung für Auffrischungsimpfungen bei Senioren gegeben. Das Gremium empfiehlt die sogenannten Booster bisher allein Menschen mit geschwächtem Immunsystem. Eine Empfehlung nach Altersgruppen gebe die Kommission derzeit noch nicht, sagte der Stiko-Vorsitzende Thomas Mertens.

Bei der aktuellen Stiko-Empfehlung geht es laut Mertens um Menschen mit Immundefekten oder Erkrankungen, bei denen das Immunsystem medikamentös herunterreguliert wird, etwa bei Autoimmunerkrankungen oder nach einer Transplantation. Es soll aber innerhalb dieser Gruppen je nach Ausmaß der Immunsuppression differenziert werden, sagte Mertens. So solle sich der Zeitpunkt der Impfung danach richten, wie weit das Immunsystem geschwächt sei.

Stiko-Chef Thomas Mertens
Stiko-Chef Thomas Mertens fordert Geduld ein.Bild: teutopress/imago images

"Wann für Nichtrisikopatienten eine Auffrischungsimpfung nötig sein wird, ist wissenschaftlich deutlich schwerer zu beantworten", sagte Mertens. "Die Entscheidung über eine Empfehlung dazu wird zumindest noch etwas dauern." Stiko-Mitglied Fred Zepp ergänzte, die Impfkommission werde mit Unterstützung des Robert Koch-Instituts prüfen, wie häufig und wie ausgeprägt COVID-19-Erkrankungen aktuell in höheren Altersgruppen auftreten. "Sollte sich herausstellen, dass es ab einem bestimmten Alter gehäuft zu Impfdurchbrüchen kommt, könnte es auch zu einer allgemeinen Impf-Empfehlung etwa ab 60, 70 oder 80 Jahren kommen", sagte Zepp.

Politik fordert dritte Impfung

Für Auffrischungsimpfungen hatte sich Anfang August die Gesundheitsministerkonferenz ausgesprochen. Seit rund drei Wochen ist der dritte Piks für Senioren und immungeschwächte Menschen deshalb bereits ohne Stiko-Empfehlung bundesweit zu haben. Dabei erhalten vollständig geimpfte Menschen nach rund schs Monaten eine weitere Dosis eines zugelassenen Impfstoffs. Damit soll ihr Immunsystem nochmals gegen Sars-CoV-2-Viren gestärkt werden. Rund 486.500 Bundesbürger haben dieses Angebot bislang bereits angenommen.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) verteidigte diese Strategie Anfang September. Er wolle nicht warten, bis in den Pflegeheimen wieder Menschen sterben, sagte er. Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, kritisiert dagegen das Vorpreschen der Bundesländer. "Das Votum der Stiko galt es abzuwarten", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Er sei auch weiterhin kein Freund von ungeprüften Booster-Massenimpfungen. "Mit einer Blutuntersuchung lässt sich mit Blick auf SARS-CoV-2 der Immunstatus eines jeden Menschen checken", urteilte er.

Experten sind uneins

Der Charité-Infektiologe Leif Erik Sander hält Booster-Impfungen für Ältere sowie für Menschen aus anderen Risikogruppen medizinisch für sinnvoll. Im August veröffentlichte er Zwischenergebnisse seiner Forschungsgruppe. Diese bestätigten laut Sander, dass die Immunantwort von älteren Menschen auf die Impfung deutlich stärker nachlasse als bei jüngeren.

Carsten Watzl, Immunologe am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung der Technischen Universität Dortmund, sieht die Lage differenziert. "Aus immunologischer Sicht ist das sehr sinnvoll. Das Immunsystem verbessert bei jedem Kontakt mit einem Erreger die Immunreaktion auf diesen deutlich", sagte er kürzlich. Auch israelische Studien zeigten bei Senioren jüngst solche Effekte. Sowohl ethisch als auch virologisch stellten diese Impfungen indes Probleme dar, ergänzte Watzl. "Weltweit herrscht immer noch Impfstoffmangel. Durch diesen sterben mehr Menschen als hierzulande durch eine dritte Impfung gerettet würden."

Infografik Karte Weltweiter Impfortschritt Covid-19 DE

Für andere Experten ist es mit Blick auf das Infektionsgeschehen zudem wichtiger, auch in Deutschland erst einmal junge und gesunde Menschen zu impfen, die bislang noch gar kein Vakzin erhalten haben.

Noch ist die aktuelle Stiko-Empfehlung mit ihren Einschränkungen nicht publiziert. Gültig werde sie, sobald sie veröffentlicht sei, sagte Mertens. Er rechne damit in einigen Tagen. Das übliche Verfahren mit Stellungnahmen verschiedener Institutionen und Experten sei bereits gelaufen.

EMA entscheidet Anfang Oktober

In Europa will die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) voraussichtlich Anfang Oktober über Auffrischungsimpfungen mit dem Corona-Impfstoff von Biontech/Pfizer für Menschen ab 16 Jahren entscheiden.

Österreich, Tschechien, Ungarn, Russland und Serbien bieten bereits Booster-Impfungen an. Belgien, das Vereinigte Königreich, Dänemark, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Polen, Spanien und Schweden bieten sie nur für immungeschwächte oder ältere Menschen an.

jwa/fab (rtr, dpa, afp)