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Streit um "Veggie-Day"

Andreas Grigo9. August 2013

Rund 90 Kilo Fleisch verspeist jeder Deutsche im Jahr - mehr als die meisten Europäer und zehn Mal so viel wie Menschen in Indien. Die Grünen fordern jetzt einen vegetarischen Tag für Kantinen - und ernten Protest.

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Blick in die Anstaltsküche der Justizvollzugsanstalt (JVA) Plötzensee in Berlin (Foto: Hannibal/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Wer in diesen Tagen von außen auf Deutschland schaut, könnte sich wundern. Ein neues Schlagwort scheint die Gemüter zu erhitzen und führt vielerorts zum Aufschrei - droht bundesweit der "Veggie Day"? Von Bevormundung der Bürger in privaten Angelegenheiten ist die Rede, seit Grünen-Vorsitzende Renate Künast in dieser Woche medienwirksam für einen "Veggie-Day", einen vegetarischen Tag, in deutschen Kantinen geworben hat.

Spott beim politischen Gegner

Der Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten, Peer Steinbrück, spottete: "Die Grünen haben noch nicht mitgekriegt, dass es jetzt um die Wurst geht." Im Deutschen ist das ein scherzhafter Ausdruck dafür, dass es mit einer Sache ernst wird. Der Spitzenkandidat der Liberalen, Rainer Brüderle, fragte belustigt, ob als nächstes der Jute-Day, Bike-Day oder Green-Shirt-Day folgen sollte.

Die Fraktionsvorsitzende der Bundes-Grünen, Renate Künast (Foto:AP/Markus Schreiber)
Künast: politische Reaktionen gegen Veggie-Day "Wahlkampfgetöse"Bild: AP

Die Aufregung über ihren Vorschlag sei "Wahlkampfgetöse", sagt dagegen Renate Künast im DW-Interview. "Wir wollen gar kein Gesetz, das irgendwas verbietet. Wir sagen: Wir müssen eine öffentliche Auseinandersetzung darüber haben, dass wir zu viel Fleisch konsumieren. Das ist ungesund und eine Art Raubbau an der Natur, den wir uns in Zukunft nicht mehr erlauben können."

Es kocht - vor allem das Polit-Gemüt

Besuch in der Kantine der Deutschen Post in Bonn - Verköstigungsort vieler Mitarbeiter mit ebenso vielen Geschmäckern. Hier gehört der "Veggie-Day" bereits seit Anfang des Jahres zum Alltag dazu. Immer donnerstags, immer fünf vegetarische Gerichte zur Auswahl, und immer herrscht - Gelassenheit, von Besucherschwund: keine Spur.

"Das war am Anfang interessant", erinnert sich Kantinenbesucherin Dunja Kuhlmann. "Ich dachte: 'mal schauen, was es so gibt', und muss sagen - ich war positiv überrascht, weil es auch Gerichte gibt, bei denen man nicht auf die Idee kommen würde, die selber zu kochen."

Und das Fleisch? "Das esse ich auch gerne, gerade jetzt in der Grillsaison hat man ja ausgiebig die Gelegenheit, dem Fleisch zu frönen. Für mich hat der Veggie-Day nichts grundlegend verändert, aber ich finde die Idee, das wirklich einmal zu betonen, sehr gut."

Getreide und Gemüse auf einem Teller (Foto: DW)
Chance für frische Mischungen: bei der Post wird der Veggie-Day vor allem als als Möglichkeit gesehen

Abwechslung mit Gedankenanstoß

Um die Symbolkraft geht es auch Kantinenleiter Andreas Bilger. Natürlich soll auch am "Veggie-Day" das Essen vor allem eines: schmecken. Aber: "Mit diesem Tag kann man die Leute vielleicht auch ein wenig zum Nachdenken bringen, denn - das wissen wir alle - wir essen tatsächlich zu viel Fleisch."

Doch bei der Post bleibt es beim Angebot ohne Bevormunden: Eine kleine Extratheke bietet auch donnerstags Würstchen mit Pommes - doch das Gros der Speisenden gibt Bilgers Veggie-Kreationen den Vorzug: "Gnocci al Brodo", Asia-Omelette auf scharfem Mango-Gurkensalat, mariniert gebratener Kohlrabi mit Schmand auf einem Kartoffel-Kesselkuchen.

Andreas Bilger, Küchenleiter, Kantine im Firmensitz der Deutschen Post in Bonn (Foto: Andreas Grigo/DW)
Kantinen-Chef Bilger: "Wir essen zu viel Fleisch"Bild: DW/A. Grigo

Dabei ist die Deutsche Post mit ihrem Angebot nicht allein - auch bei anderen großen Unternehmen wie Siemens oder Puma gehören vegetarische Angebote mittlerweile zum Programm. Denn: Auch wenn dieses Thema vortrefflich das politisch-mediale Sommerloch bedient, so versteckt sich dahinter mehr als nur eine Debatte über Bevormundung und wie viele Rinder, Schweine und Hühner jeder Deutsche in seinem Leben verputzt.

Aufgeheizte Debatte mit ernstem Kern

300 bis 600 Gramm Fleisch oder Wurst pro Woche - das empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE); im Schnitt liegt der tatsächliche Verbrauch dagegen bei weit über einem Kilo - und das hat Folgen.

Stichwort Gesundheit: Übermäßiger Fleischkonsum ist ein Problem, um das sich auch die Krankenkassen sorgen und ganze Studien dazu in Auftrag geben. Für Michael Ihly von der Techniker Krankenkasse ist die Rechnung, ausgehend von der DGE-Empfehlung, einfach: "Das entspricht täglich 40 bis 80 Gramm Fleisch, und damit kann es sein, dass ich mit drei bis vier Scheiben Wurst bereits meinen Tagesbedarf und mit einem Steak meinen gesamten Wochenbedarf gedeckt habe."

Laut Ihly gehören neben Übergewicht auch handfeste Gesundheitsrisiken zu den Folgen: "Gicht, Stoffwechselerkrankungen, Herz-Kreislauf-Krankheiten - im Endeffekt kann es dazu führen, dass ich leichter einen Herzinfarkt bekomme."

Hoher Fleischkonsum belastet das Klima

Stichwort Umweltfolgen: Rechnungen wie "aus neun Kilo verfütterten Sojapflanzen wird ein Kilo Fleisch" mögen aktuell die Schlagzeilen dominieren. Doch auch für die Umwelt ist gesteigerter Fleischkonsum tatsächlich ein Risikofaktor, warnt das Institut für Klimafolgenforschung in Potsdam: "Die Landwirtschaft verursacht weltweit ein Drittel des Ausstoßes von Treibhausgasen - ein Großteil stammt aus der Fleischerzeugung."

Ein Steak mit einem Rosmarin-Zweig liegt auf einem Grill (Foto: DW)
Veggie Day: kein Fleischverbot, sondern größeres GemüseangebotBild: Fotolia/stockcreations

Die Haltung der Tiere und der Anbau von Futtermitteln führten zur Freisetzung der klimaschädlichen Gase, erklärt Hermann Lotze-Campen, selbst Landwirt und Leiter des Forschungsbereichs Klimafolgen und Vulnerabilität. Sein Fazit: "Weniger oft Fleisch essen, aber mit Genuss, das würde allen nützen. Auch den Bauern in vielen Weltregionen." Denn die Landwirtschaft sei nicht nur einer der Verursacher des Klimawandels - zugleich leide sie auch unter seinen möglichen Folgen, zum Beispiel mehr Dürren.

Kritisch sieht den Grünen-Vorschlag zum "Veggie-Day" die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie. Ihr Vorsitzender Wolfgang Ingold sieht hinter den Plänen ein "ganz seltsames Bevormundungsmodell". Deshalb könne man den Vorschlag nicht ernst nehmen. Den Besuchern der Postkantine scheint das politisch korrekte Essen an diesem Donnerstag jedoch geschmeckt zu haben - die Theken mit den "Veggie-Gerichten" sind gegen 14 Uhr fast leer.