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Weltwärts-Streit

16. September 2010

Tourismus-Programm auf Staatskosten oder sinnvolle Investition in Köpfe? Das Weltwärts-Programm des Entwicklungshilfe-Ministeriums ist umstritten. Einige Entwicklungsexperten fordern sein sofortiges Ende.

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Weltwärts-Freiwillige (Foto: dpa)
Tourismus auf Staatskosten? Die ersten Weltwärts-Freiwilligen im Jahr 2008Bild: picture-alliance/ dpa

Weltwärts ist Felix Hewel direkt nach dem Abitur gegangen. 2008 entsandte ihn die Organisation "Eirene" nach Marokko. In der Stadt Tanger half er im Kinderheim einer Partnerorganisation. "Die Mitarbeiter hatten einfach nicht die Zeit, sich mit der Persönlichkeit und der Geschichte der Kinder auseinanderzusetzen. Das konnte ich aber tun", sagt Hewel. Eine berufliche Qualifikation hatte er direkt nach der Schule natürlich nicht. Aber das sei für eine Weltwärts-Entsendung auch nicht wichtig, denn das zentrale Ziel des Programms habe sich auch in seinem Fall erfüllt: "Ich habe ein gewisses Gefühl bekommen für Ungerechtigkeit, die in unserer Welt herrscht. In Deutschland und auch global", sagt Hewel.

Weltwärts ist ein Programm des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Und dieser Name ist Programm: Junge Menschen bis 28 Jahre können für mindestens ein halbes Jahr in einem Projekt der Entwicklungszusammenarbeit im Ausland arbeiten. Dafür gibt´s ein Taschengeld von 100 Euro. Alle wesentlichen Kosten wie Reise und Unterkunft werden den Freiwilligen bezahlt. Drei Viertel dieser Kosten trägt der Staat, pro Freiwilligem sind das rund 7000 Euro. Fast 10.000 Freiwillige sind mit Weltwärts schon im Ausland gewesen. Kritiker nennen das Programm allerdings ein Tourismus-Programm für junge Schulabgänger – und fordern dessen Abschaffung.

Streit um den Sinn von Entwicklungshilfe

Rupert Neudeck (links) und Wilfried Pinger (Mitte) (Foto: dpa)
Sie fordern das Ende von Weltwärts: Rupert Neudeck (links) und Wilfried Pinger (Mitte)Bild: picture alliance / dpa

Zum Beispiel Rupert Neudeck und Wilfried Pinger, die beide Veteranen der Entwicklungshilfe sind. "Wir helfen mit dem Programm uns selbst. Wir helfen nicht den Menschen in Afrika, Asien, Lateinamerika", schreiben sie in einem Aufruf. Sie fordern das sofortige Ende von Weltwärts. Für Pinger, 25 Jahre lang Bundestagsabgeordneter der CDU und Entwicklungspolitiker, ist jeder Euro Steuergeld an dieser Stelle falsch ausgegeben. "Wir sind der Meinung, dass es durchaus sehr erstrebenswert ist, dass junge Leute rausgehen. Dann aber bitte nicht auf Kosten des Steuerzahlers. Und schon gar nicht auf Kosten der Entwicklungshilfe", sagt er.

Als das Entwicklungsministerium das Programm Weltwärts im Jahr 2008 startete, dachte es an Fördermittel von bis zu 70 Millionen Euro im Jahr. Rupert Neudeck, der sich seit mehr als 30 Jahren für Hilfsprojekte weltweit engagiert, verdeutlicht seine Weltwärts-Kritik deswegen gern mit einem Beispiel: "Ich bin tätig in Afghanistan, wo wir die zweiunddreißigste Dorfschule eröffnen. Das kann man dort mit 40.000 Euro schaffen. Eine richtige Schule, mit Fundament und allem was dazu gehört. Mit 70 Millionen hätten wir das Geld für 1750 Schulen ."

Das Ministerium will in Köpfe investieren

Weltwärts-Freiwillige
Investition in Köpfe? Weltwärts-Freiwillige in GuatemalaBild: dw/Boueke

Tatsächlich kostete Weltwärts den Steuerzahler im letzten Jahr allerdings nur 27,5 Millionen Euro. Der Regierungsentwurf für den Haushalt 2011 plant 30 Millionen Euro ein. Achim Mortier, im Entwicklungsministerium zuständig für Weltwärts, rechtfertigt das Programm gegen den Verschwendungs-Vorwurf. Einfach Schulen zu bauen löse nicht die Probleme Afghanistans, ist er überzeugt. "Das sind eben altbackene Ansätze. Wir gehen hier weiter. Wir wollen eben andere Veränderungen produzieren – Veränderungen in den Köpfen der Menschen, und keine Infrastruktur."

Weltwärts verändere die Rahmenbedingungen von Entwicklungshilfe – und das rechtfertige auch Fördergeld aus dem Entwicklungshilfe-Etat, sagt Mortier. Von den Welt erfahrenen Heimkehrern profitiere außerdem die Export orientierte deutsche Wirtschaft.

Bis Felix Hewel berufstätig ist, wird es noch ein paar Jahre dauern. Seit seiner Rückkehr studiert er Geografie in Bonn. Nebenbei unterstützt er eine algerische Familie, etwa bei Behördengängen. Er ist überzeugt: Ohne Weltwärts täte er das nicht.

Autor: Christian Siepmann
Redaktion: Katrin Ogunsade